Hafen im Dornröschenschlaf

Hafen im Dornröschenschlaf

Hamburgs Olympiabewerbung weckt Interesse an einem vergessenen Areal

22. 4. 2015 - Text: Arne WitteText. Arne Witte; Animation: Architekten von Gerkan, Marg und Partner

Erst vor einem Monat sprach Rainer Haseloff mit dem tschechischen Regierungschef Bohuslav Sobotka über die gemeinsame Nutzung der Elbe als Verkehrsweg. Nachdem von tschechischer Seite immer wieder Druck gemacht wurde, die Elbe für die Binnenschifffahrt ganzjährig nutzbar zu halten und auszubauen, wurde mit dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt ein Mitstreiter auf deutscher Seite gefunden.

Neben der schlechten Schiffbarkeit der Elbe kam für die Tschechen nun ein weiteres Problem hinzu: Ihr Zugang zu den Weltmeeren, ein kleines Stück Tschechien mitten in Hamburg, drohte mit den olympischen Plänen der Hansestadt blockiert zu werden. Dabei sah es bis vor kurzem so aus, als bestünde überhaupt kein Interesse an dem Areal: Seit längerer Zeit verfällt es zunehmend.

Nach dem Ersten Weltkrieg musste Deutschland dem neu gegründeten Nachbarstaat Zugang zu den Häfen in Stettin und Hamburg gewähren.

Direkt auf dem Kleinen Grasbrook in Hamburg, der für die Olympiabewerbung eine zentrale Rolle spielt, liegen daher der Moldau- und der Saalehafen unter tschechischer Verwaltung, und das mindestens bis 2028. Denn der Pachtvertrag wurde wegen wiederkehrender Unstimmigkeiten erst 1929 mit einer Laufzeit von 99 Jahren geschlossen. Und mit einer einseitigen Option für die Tschechoslowakei auf Verlängerung um 50 Jahre. Seitdem verfügt das Land über die beiden Hafenbecken. Über Jahrzehnte lief ein reger Warenverkehr über die Elbe nach Hamburg, selbst durch den Eisernen Vorhang hindurch. Dutzende Tschechoslowaken arbeiteten in der Hansestadt. Ein Werkstattschiff und das Clubschiff „Praha“ lagen vor Anker, um ihnen mit böhmischer Küche und tschechischem Bier ein Gefühl von Heimat zu geben.

Heute erinnern nur noch verrostete Schilder mit tschechischer Aufschrift an die einst geschäftigen Zeiten in den beiden Hafenbecken. Nach der Samtenen Revolution wurde es stetig ruhiger, seit fast 15 Jahren liegen sie ungenutzt brach. Obwohl es immer wieder Überlegungen über die Zukunft des Geländes gab, passierte nur wenig. Das will das tschechische Verkehrsministerium jetzt ändern. Im Januar begannen erste Bauarbeiten.

Die Wasserstraßendirektion (ŘVC), die mit der Aufgabe betraut wurde, möchte das gesamte Areal bis 2018 renovieren. An den Umschlag- und Lagerflächen und Hallen bestehe „schon jetzt großes Interesse“, erklärte ein Sprecher der Behörde. Medienberichten zufolge könnte der Hafen künftig vor allem für den Export von Schwergut und Düngemitteln sowie für den Import von Futtermitteln genutzt werden. „In den Verwaltungsgebäuden sollen nach der Renovierung Büros und weitere Flächen für Logistikfirmen entstehen“, so der Sprecher der ŘVC. „Nicht zu vergessen natürlich die Liegeplätze für Binnenschiffe, ihre Beladung und gegebenenfalls kleinere Reparaturen.“

Allerdings fielen die tschechischen Pläne zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Im März entschied sich der Deutsche Olympische Sportbund für Hamburg als Bewerber um die Spiele 2024. Sie sollen nach dem Willen der Stadtregierung auf dem Kleinen Grasbrook stattfinden. In direkter Nachbarschaft zu den tschechischen Häfen sollen Stadien und das Olympische Dorf entstehen. Auch wenn noch vollkommen unklar ist, ob die Spiele überhaupt in Hamburg ausgetragen werden – zunächst muss der Bürgerentscheid positiv ausfallen und die Stadt sich gegen internationale Mitbewerber wie Paris, Boston und Rom durchsetzen: Die tschechischen Behörden fürchteten, dass die Ambitionen der Hafenstadt ihren Schifffahrtsplänen in die Quere kommen könnten und protestierten.

Blockierter Zugang
Das Gelände um die beiden Hafenbecken ist laut derzeitigem Stand fast vollständig für das Olympiakonzept eingeplant, lediglich das Ostufer des Saale­hafens stünde noch zur Verfügung. Außerdem sollen drei neue Brücken das Becken des Moldauhafens queren, der in den weitaus größeren Saalehafen führt. Weil die Brücken nicht hoch genug seien, könnten Schiffe nicht mehr passieren, der Zugang zum Moldauhafen womöglich sogar blockiert werden, sorgte sich die ŘVC. Außerdem war sie verwundert, dass es seitens der Hamburger „noch keine offizielle Kommunikation mit den tschechischen Behörden“ gegeben habe.

In der Hansestadt versuchte man zu beschwichtigen: Die derzeitigen Pläne seien keineswegs in Stein gemeißelt. „Es spricht vieles dafür, dass sich die Pläne für die Olympia-Bewerbung noch mehrfach ändern“, versicherte die Hafenbehörde. Am Montag klärte sich die anfängliche Aufregung bei einem Besuch des tschechischen Botschafters in Hamburg. Die Brücken werden ausreichend hoch sein, um Binnenschiffen die Zufahrt weiterhin zu ermöglichen und auch die restlichen Olympiabauten werden den Hafenbetrieb nicht einschränken, sagte Tschechiens Honorarkonsul Christian Ancker dem „Hamburger Abendblatt“.

Neben all der Aufregung verwundert es, dass Tschechien nach jahrelanger Untätigkeit plötzlich so vehementes Interesse am Gebiet in Hamburg bekundet. Der Nachbarstaat ist für den Hamburger Hafen schon immer eine wichtige Hinterlandregion gewesen, umgekehrt ist er für Tschechien bis heute ein Tor zur Welt: Über 60 Prozent der tschechischen Ein- und Ausfuhren von und nach Übersee wurden im Jahr 2013 über den Hamburger Hafen abgefertigt. Die Binnenschifffahrt kam trotzdem nahezu vollständig zum Erliegen. Zahlen der Hafenbehörde zufolge legten 2010 ungefähr 80 Prozent der Güter den Weg auf der Schiene zurück. Wöchentlich verkehren 80 direkte Güterzugverbindung zwischen der Hansestadt und Tschechien. Fährt man per Bahn von Prag nach Ost- oder Norddeutschland, sind die mit Škodas und Containern beladenen Waggons kaum zu übersehen. Die restlichen 20 Prozent der Waren wurden fast alle per Lkw transportiert.

Es bleibt also die Frage, ob sich die Marktbedingungen so stark geändert haben, dass Unternehmen wieder auf die Elbe als Transportweg setzen würden, sobald die tschechische Regierung die nötige Infrastruktur schafft. Sollte Prag den Pachtvertrag nicht um weitere 50 Jahre verlängern, bleiben 13 Jahre, um Saale- und Moldauhafen neues Leben einzuhauchen.