„Das tschechische Kurwesen führt ein Aschenputtel-Dasein“

„Das tschechische Kurwesen führt ein Aschenputtel-Dasein“

Ein Gespräch mit Martin Plachý, Präsident des Europäischen Heilbäderverbandes, über die Lage in Tschechien

6. 11. 2013 - Interview: Klaus Hanisch

Namen wie Karlsbad und Marienbad stehen für eine große Tradition im tschechischen Kurwesen. Doch die Zukunft der Heilbäder sieht düster aus. Obwohl sie auch in Tschechien einen wesentlichen Wirtschaftszweig darstellen, fehlt den Kurorten eine Lobby, die sich nachhaltig für ihre Interessen einsetzt. Das beklagt Martin Plachý, der Kur­einrichtungen und Hotels in Tschechien betreibt. Plachý ist zudem Präsident des Europäischen Heilbäderverbandes. Mit ihm sprach Klaus Hanisch am Rande des Deutschen Bädertages in Bad Kissingen.

Herr Plachý, Sie führten auf dem Bädertag aus, dass tschechische Kurorte ums nackte Überleben kämpfen. Wie dramatisch ist die Lage?

Martin Plachý: Zwei Kurorte haben schon ihren Betrieb eingestellt, zuerst Velichovky in Mittelböhmen und am 13. Oktober auch Lipová-lázně im Altvatergebirge. Dort werden die Anlagen verkauft, dem Personal wurde gekündigt. In den übrigen Staatskurbetrieben gibt es teilweise ebenfalls große Probleme, zum Beispiel in Janské Lázně. Ohne Hilfe aus dem Gesundheitsministerium werden auch sie schließen müssen.

Kuren werden in Tschechien für immer weniger Krankheiten verordnet. Liegt darin die tiefere Ursache für den Existenzkampf?  

Plachý: Das Hauptproblem liegt daran, dass etliche Bäder zu mehr als 90 Prozent von den Krankenkassen abhängig sind. Wenn in sehr kurzer Zeit plötzlich 50 Prozent weniger Gäste von den Kassen geschickt werden, wie in den letzten 18 Monaten geschehen, dann kann man nicht überleben. Einige haben das unterschätzt, sie glaubten, dass der Staat über die Kassen immer genug Kurgäste schicken wird. Wenn der Staat sparen will, ist es für ihn jedoch einfacher, bei Kuren zu streichen als bei der Akutpflege, obwohl die Ausgaben für Kurmaßnahmen in Tschechien nur ungefähr ein Prozent der gesamten Gesundheitskosten ausmachen. Nach den letzten Einsparungen liegen sie nun sogar darunter.

Welche Erwartungen haben Sie an die neue Regierung?

Plachý: Keine! Ich bin schon glücklich, wenn sie keinen neuen Schaden anrichtet. Aber ich habe keinerlei Erwartung, dass die Regierung mit irgendetwas helfen wird. Das Kurwesen und der Tourismus generell führen in Tschechien ein Aschenputtel-Dasein: Sie interessieren ganz wenige Leute. Nur wenn etwas übrigbleibt, erinnert man sich in Tschechien an das Kurwesen.

Dabei wurde auf dem Deutschen Bädertag nachdrücklich betont, wie wichtig die Kur in Deutschland als Wirtschaftsfaktor mit 400.000 Beschäftigten und 30 Milliarden Euro Umsatz im Jahr ist. Zudem ist sie in ländlichen Gebieten ein wichtiger Arbeitgeber. Gilt das nicht für Tschechien?

Plachý: Doch, auch in Tschechien gibt das Kurwesen vielen Menschen eine Arbeit, nicht zuletzt in Berufen, die indirekt damit zu tun haben. Und es hat Potenzial, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Nur durch Investitionen in die Infrastruktur der Bäder hat man verschiedene Regionen entlang der tschechischen Grenze überhaupt am Leben erhalten. Wenn die Bäder nicht mehr existieren, sind dort einige Städte tot!

Wird die tschechische Politik angesichts dieser strukturellen Perspektiven nicht hellhörig? In Bayern wurde nach der Wahl ein neues Heimatministerium errichtet, um gleichwertige Lebensbedingungen in allen Landesteilen zu schaffen.

Plachý: In Tschechien interessieren solche Argumente niemanden. Die meisten Politiker interessieren sich nur für Probleme im Gesundheitswesen generell, für solche in großen Krankenhäusern oder Unternehmen wie im Moment bei OKD, weil dort möglicherweise Hunderte von Bergarbeitern ihre Arbeit verlieren. Dass in den Heilbädern aber vielleicht noch mehr Leute bald ohne Arbeit sind, interessiert nicht. Ich weiß nicht, ob das Ignoranz ist oder mangelnde Kompetenz. Oder ob unsere Stimme einfach weniger zählt als die von großen Betrieben und Gewerkschaften.

Vermissen Sie mehr Zusammenhalt unter den tschechischen Kurbädern, um mit einer Stimme gegenüber der Politik aufzutreten und somit das eigene Gewicht zu stärken?

Plachý: Nein, die meisten Bäder sind in unserem Verband und unterstützen uns. Wir klopfen ja an alle Türen, waren mehrmals im Senat und im Parlament. Doch die, die die Macht haben, machen nichts! Kreishauptmänner unterstützen uns, auch Senatoren und Parlamentarier. Aber verbale Unterstützung reicht mir nicht, wenn ich keine Gäste habe. Deutschland hat einen großen Vorteil: Dort sind alle davon überzeugt, dass Kurbäder für die Regionen eine große Bedeutung haben. Deshalb wird dort investiert. Diese Last tragen in Tschechien zu 90 Prozent private Betreiber, und das ist nicht gut. Wir können uns weder mit deutschen noch mit österreichischen oder ungarischen Bädern vergleichen, weil ihnen der öffentliche Sektor den Rücken stärkt. Wir haben ihn vor der Brust…

Sie erwähnten auf dem Bädertag, dass nicht einmal jeder tschechische Bürgermeister stolz darauf ist, ein Kurort zu sein. Beginnt der Widerstand also schon an der Basis?

Plachý: Das ist ein Ausdruck des gesellschaftlichen Bewusstseins. Wir sind weitgehend allein auf uns gestellt. Die Leute verstehen einfach nicht die Bedeutung des Kurwesens, auch nicht die des touristischen Aspekts von Bädern. Sie verschließen sich selbst unseren medizinischen Argumenten. Und selbst ein großer Teil der Mediziner redet über Kurmaßnahmen und Rehabilitation in Kuren despektierlich. Nur Akutmediziner mit Skalpell wissen offenbar genau, was am besten ist…

Sie nannten Deutschland auf dem Kongress eine „Kur-Großmacht“. Könnte Ihnen deutsche Unterstützung helfen?

Plachý: Ich nenne deutsche Kurstädte immer als Beispiele, wenn ich mit Bürgermeistern oder Politikern rede. Nicht nur, was sie dort machen, sondern was auch die Städte selbst durch das Kurwesen zurückbekommen. Doch oft höre ich tschechische Stimmen sagen, dass die Mehrheit der Länder auf der Welt überhaupt keine Heilbäder besitzt. Ganz Amerika oder Asien haben kein Kurbad. Es mache also für Tschechien keinen Unterschied, ob man hier Bäder betreibe oder nicht. Für mich ist Deutschland mit seiner Zusammenarbeit zwischen privaten Unternehmen und öffentlichem Sektor immer ein Vorbild, aber das vermittle ich in Tschechien leider nur mit geringem Erfolg.

Verschafft der Kur keine Anerkennung, dass Tschechien mit Ihnen sogar den Vorsitzenden des Europäischen Heilbäderverbandes stellt?

Plachý: Dieser Posten hat bisher niemanden in Tschechien beeindruckt. Niemand hat auch verstanden, dass dies als Anerkennung für die große Bäder-Tradition in unserem Land zu sehen ist. 90 Prozent der Tschechen kümmern sich um Probleme zuhause. Was jenseits der Grenze geschieht, ist sehr weit weg.

Mehrere Kurorte in Tschechien, Deutschland und anderen europäischen Ländern wollen gemeinsam als Unesco-Weltkulturerbe anerkannt werden. Spielt das für Sie angesichts der akuten Existenzprobleme von Bädern in Tschechien noch eine Rolle?

Plachý: Das könnte helfen. Doch ich will dies weder über- noch unterschätzen. Tschechien hat schon rund ein Dutzend Unesco-Stätten. Umgerechnet auf die Zahl der Einwohner sind wir somit bereits bestens ausgestattet.
Doch wie nutzen wir dieses Potenzial? Ich war zu Ostern in Holašovice, ein wunderschönes Dorf – und alles war geschlossen. Keine Restaurants, keine Geschäfte. Und welcher Tscheche interessiert sich schon für Telč? Wenn ich das alles betrachte, bin ich skeptisch, ob es uns wirklich etwas bringt.

ZUR PERSON
Martin Plachý (43) beendete sein Studium an der Prager Hochschule für Ökonomie mit einem Masterabschluss. Seit 2001 arbeitet er für das tschechische Bäderunternehmen „Royal Spa – Kur & Medical Spa Hotels“, eine der größten Kurgesellschaften im Land. Vor drei Jahren übernahm er dort den Posten als Direktor und Vorstandsvorsitzender. Sein Unternehmen betreibt Kureinrichtungen in vier tschechischen Kurorten: Marienbad, Luhačovice, Ostrožská Nová Ves und Velké Losiny. „Royal Spa“ wurde von Plachýs Vater gegründet und ist zu 50 Prozent in Familienbesitz. Daneben ist Martin Plachý in Tschechien Honorarkonsul für die Republik Singapur, wo er drei Jahre lang lebte. Im Mai 2012 wurde er in Jūrmala (Lettland) für vier Jahre zum Vorsitzenden des Europäischen Heilbäderverbandes (EHV) gewählt. Ihm gehören Mitglieder aus 22 Staaten mit rund 1.200 Heilbädern und Kurorten an.  (khan)