Originell, progressiv und frisch

Originell, progressiv und frisch

Die zehnte Ausgabe des „Fresh Film Fest“ zeugt von Qualität und Dichte jungen Filmschaffens

21. 8. 2013 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: FFF

Nachwuchs braucht besondere Pflege. Dieser Grundsatz gilt nicht nur im Privatleben, im Sport oder der Bildung. Auch und vor allem in der Kunst stellt das „Fußfassen“ in der Erwachsenenwelt ein kompliziertes Unterfangen dar. In westlichen Kulturszenen wähnen viele Menschen sämtliche Tabus gebrochen, die Bandbreite der Ideen und Ideologien für erschöpft und das Publikum für überwiegend schockresistent. In der Filmbranche kommt ein unüberschaubar großer und umkämpfter Markt hinzu, in dem es erst recht schwierig ist, sich zu etablieren. Und doch überraschen uns immer wieder junge Regisseure mit neuartigen cineastischen Konzepten und unkonventionellen Blickwinkeln.

In Prag feiert nun eine Institution Geburtstag, die sich speziell den Newcomern widmet und ihnen eine Plattform bietet. In den Kinos Světozor, Kino 35 (Französisches Institut), Ponrepo, Studio Béla (Bulgarisches Institut) sowie den Gratis-Einrichtungen an der Filmhochschule FAMU, dem Bio Illusion und einer Freiluft-Anlage im Rieger-Park laufen im Rahmen des „Fresh Film Fest“ mehr als 140 Beiträge über die Leinwände.

Sinn, Zweck und selbsternannte Aufgabe des Festivals ist es, Erst- und Zweitwerke sowie Studenten-Beiträge aus den renommiertesten Filmschulen der Welt zu präsentieren. In Workshops, Diskussions- und Vortragsrunden werden diese besprochen, erklärt, analysiert und eingeordnet. Aber natürlich richtet sich dieses Angebot vor allem an die fanatischen Cineasten unter den Festivalbesuchern. Man kann sich die bittertraurigen bis heiter-harmlosen Werke auch nur zum Zeitvertreib anschauen. Ein äußerst vielseitiges Angebot bietet für jeden etwas Passendes. Nur eines haben (fast) alle Beiträge gemein: „Die Filme, die wir auswählen und zeigen sind progressiv, innovativ, originell und ja, einfach frisch“, bringt es Festivaldirektorin Radka Weiserová auf den Punkt. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Tim Roth als Skinhead

Eine solche bietet die Alan-Clarke-Retrospektive. Der 1990 verstorbene britische Regisseur war das Fernsehfilm-Gegenstück zu Ken Loach, dem romantischen Realisten unter den Filmemachern. Unter anderem steht das 1982 entstandene Sozialdrama „Made in Britain“ auf dem Programm. Darin kommt der Zuschauer in den Genuss, Tim Roth in seiner ersten Hauptrolle als jugendlicher Neonazi-Skinhead zu sehen.

Doch im Scheinwerferlicht der Aufmerksamkeit sollen aktuelle Werke erstrahlen. In drei Wettbewerbskategorien streiten 49 Streifen um die Gunst einer neunköpfigen Jury. In der Sparte „Fresh Generation“, in der die Erst- und Zweit-Langzeit-Werke prämiert werden, findet sich ein äußerst eigenwilliger deutscher Beitrag. Roman Zürchers „Das merkwürdige Kätzchen“ wird unter anderem auch an der kommenden Berlinale Anfang nächsten Jahres zu sehen sein. Das Kammerspiel erzählt von einer bizarren Familienzusammenkunft. Zürcher verwandelt Alltägliches in Wundersames, Gegenstände werden lebendig, banale Begegnungen zu magischen Erlebnissen. Ein an sich unspektakuläres Drama gewinnt damit im Gewand einer traumwandlerischen, kindlich anmutenden Interpretation eine seltsame und spannende Dynamik.

Der argentinische Film „Leones“ reiht sich nahtlos in die Road-Movie-Tradition des lateinamerikanischen Kinos ein. Obwohl der Genre-Begriff Road-Movie den Kern der Erzählstruktur nicht ganz trifft. Viel eher verhält es sich beim „Feature“-Erstling der 29-jährigen Jazmín López um einen halluzinogenen Selbstfindungstrip im Kleid eines Thrillers a la „Stand by me“ von Rob Reiner. López lässt fünf Jugendliche durch einen nebelverhangenen Wald stapfen und sich in Darwinschen Machtkämpfen aufreiben. Die Art der Bildsprache erinnert schwer an Pino Solanas modernen Klassiker „El viaje“. Reminiszenzen sind wohl eher gewollt denn zufällig.

Fern des Massengeschmacks

In der Kategorie „Confrontations“ laufen 21 Dokumentar- sowie Kurz-Spielfilme von Studenten aus aller Welt. Für einige nostalgische Lacher wird hier wohl der Schweizer Jörg Hurschler sorgen. Sein Dok-Kurzfilm „Me, Nobody and I“ wühlt in der Medien-Mottenkiste der achtziger und neunziger Jahre. Die sehr persönliche Zeitreise zu den Fernsehhelden seiner Kindheit lässt Hurschler um die Frage der Identifikation mit Klischees und der Romantisierung der Vergangenheit als Ganzes kreisen.

Zum Wettbewerb „Theatre Optique“ erhalten nur Arbeiten Zugang, die mit speziellen Animations- oder experimentellen Multi-Media-Techniken erstellt worden sind. Hier darf man sich auf Trick- und Konzeptfilme freuen, die noch weiter von jeglicher Mainstream-Kompatibilität entfernt sind als die übrigen Festivalbeiträge. Spätestens mit dem finnischen „Hänen tilanne“ von Jenni Rahkonnen sind wir bei der jungen nordischen Avantgarde angekommen. Wer Kaurismäki-Filme kennt, weiß wovon die Rede ist.

Außer Konkurrenz legt das „Fresh Film Fest“ in den Kategorien „Fanaticism“ oder „Bright Future“ zudem thematische Schwerpunkte. Unter ersterer laufen Filme, die sich mit fanatisch religiösem oder ideologischem Eifer auseinandersetzen. So werden wir in Heidi Hewings und Rachel Gradys „Jesus Camp“ so eindrücklich wie niederschmetternd Zeugen davon, wie Kinder zu missionarischen Christen „herangezüchtet“ werden. In der Sparte „Bright Future“ begegnen wir dem Spielfilm-Debüt von Brandon Cronenberg. Der Sohn von Regie-Legende David Cronenberg („A History of Violence“, „Eastern Promises“) kombiniert in „Antiviral“ Horror, Science-Fiction und Drama mit anscheinend familientypischen Bildkompositionen. Ob er letztendlich die großen Fußstapfen des Altmeisters ausfüllen kann – davon sollte sich jeder Kinofan ein eigenes Bild machen.

Der eine oder andere Film wie zum Beispiel „To the Wonder“ des 69-jährigen Terrence Malick in der Kategorie „Break Rules“ hat kaum etwas mit dem Konzept der Veranstaltung zu tun und steht deswegen ein bisschen quer in der Festival-Landschaft. So soll wohl ein Gegengewicht zu den vielen Grünschnäbeln entstehen – doch diese brauchen diesen Konterpart nicht, sondern einfach nur etwas Pflege und Aufmerksamkeit. Man sollte sie ihnen schenken, und man wird selbst seine helle Freude daran haben.

Fresh Film Fest, 28. August bis 1. September, genauere Informationen zum Programm und den Beiträgen unter
www.freshfilmfest.net