Wo es um den Anderen geht

Wo es um den Anderen geht

Zum Thema „Welche Bildung brauchen wir?“ erarbeiten Jugendliche aus Tschechien und Deutschland eigene Ideen

9. 4. 2014 - Text: Franziska BenkelText und Foto: Franziska Benkel

„Irgendwie hängt Demokratie doch auch immer von den jeweils eigenen Vorstellungen ab“, sagt der 21-jährige Dimitrij. Er ist einer von insgesamt 30 Jugendlichen, die in der aktuellen Amtszeit im deutsch-tschechischen Jugendforum (Česko-německé fórum mládeže) aktiv sind. Seit 2001 macht sich dieses als Projekt des deutsch-tschechischen Gesprächsforums für ein besseres Verhältnis zwischen den beiden Nachbarländern stark. So organisiert es Projektarbeiten und Diskussionsrunden für junge Leute im Alter zwischen 16 und 26 Jahren.

Ende März haben sich die Teilnehmer der momentan achten Amtszeit des deutsch-tschechischen Jugendforums zum ersten Mal in Prag getroffen, um über „Politische Bildung und ihre Rolle in einer gesunden Demokratie“ zu diskutieren. Bis Ende Juli 2015 werden sie sich noch viermal abwechselnd in Deutschland und Tschechien zu Plenarsitzungen und Workshops treffen.

Bei ihrem ersten Treffen gingen die jungen Leute der Frage nach, ob demokratisches Handeln erlernbar oder etwas Natürliches sei. Eine deutsche Schülerin beispielsweise beschreibt demokratisches Verständnis als etwas, „das da beginnt, wo ich feststelle, dass es nicht nur um mich geht, dass mein Handeln andere beeinflussen kann und ich deswegen beginne, Fragen zu stellen.“

Die Gruppe erörterte daraufhin, was Toleranz und Respekt für eine Demokratie bedeuten. Sabine Kirst von der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen erklärt augenzwinkernd, „als Teil einer Demokratie muss ich auch ertragen können, dass zum Beispiel die NPD im sächsischen Landtag sitzt.“ Auf die Frage, wo man demokratisches Verständnis erlernen könne, ist sich die Mehrheit der Anwesenden einig: in der Familie und in der Schule.

Die Journalistin Bára Procházková fasst zusammen: „Die Demokratie ist die einzige Staatsform, die der Einzelne auch erlernen muss, eine Diktatur dagegen wird einfach von oben vorgegeben.“ Zustimmendes Raunen. Wie sieht es aber in der Realität aus? ­Michaela Cvachová vom Tschechischen Rat der Kinder und Jugend (Česká rada dětí a mládeže) skizziert die Unterschiede zwischen Deutschland und Tschechien im Bereich der politischen Schulbildung.

Sie zitiert eine Studie, laut der „80 Prozent der tschechischen Jugendlichen das Gefühl haben, nichts im Land ändern zu können.“ Eine tschechische Studentin fügt ergänzend hinzu, dass dies nicht nur an der mangelnden politischen Bildung in Tschechien liege, „sondern an der Basis – den Lehrern“. Diese würden die Kinder zu selten zum Reflektieren und selbständigen Fragen anregen.

Wie unterschiedlich die Wahrnehmungen tatsächlich sind, zeigt sich in den Erwartungen der jungen Teilnehmer: Für die 18-jährige Sophie, die gerade ihren Freiwilligendienst in Tschechien ableistet, bietet das Jugendforum eine Möglichkeit, Freunde zu finden, um „auch in Zukunft mit dem Land in Kontakt zu bleiben.“ Die 22-jährige Anežka dagegen sieht in solch einer Gruppe „eine Möglichkeit, dass den jungen Leuten auch mal zugehört wird.“