Von null auf hundert Milliarden

Von null auf hundert Milliarden

Wie der Unternehmer Daniel Křetínský Kraftwerke und Kohlegruben sammelt

24. 11. 2016 - Text: Robert ČásenskýText: Robert Čásenský; Foto: ČTK/Michal Kamaryt, Mibrag

 

Es könnte sein, dass 2016 als Jahr des Daniel Křetínský in die Geschichte der tschechischen Wirtschaft eingeht. Der 41-jährige Jurist und Investor hat in den vergangenen Monaten Geschäfte gemacht, deren Wert sich auf dutzende Milliarden Kronen beläuft – auch in Deutschland. Im Frühjahr gelang es ihm mit dem Unternehmen PPF, einen riesigen Abbau- und Kraftwerksbetreiber in der Lausitz zu übernehmen. Und vor ein paar Wochen kündigte er an, Anteile seiner Partner bei EPH zu erwerben – eine Transaktion, die das Unternehmen formal auf fünf Milliarden Euro beziffert. Křetínskýs Vermögen könnte demnach geschätzt auf über hundert Milliarden Kronen steigen. Wer ist der Mann, der durch Europa zieht und Kohlegruben und Kraftwerke sammelt, die andere loswerden wollen?

Křetínský ist ein Jurist, der schnell rechnen kann und sich traut, viel zu riskieren. Am Anfang seiner Karriere steht jedoch eine Frau. Genauer gesagt, beginnt die Geschichte mit zwei Frauen, zwei Mitschülerinnen. Eine ist Klára, die Freundin und mittlerweile langjährige Lebens­gefährtin Křetínskýs, die andere Iva, heute Ehefrau von Dušan Palcr, Miteigentümer der Finanzgruppe J&T. Durch die beiden Frauen lernten sich Křetínský und Palcr Mitte der neunziger Jahre kennen und wurden Freunde.

Křetínský studierte damals noch, Palcr hatte gerade begonnen, im Bereich Bankenaufsicht bei der Tschechischen Nationalbank zu arbeiten. Dort wurde er unter anderem zur „Podnikatelská banka“ („Unternehmensbank“) geschickt. Im Jahr 1998 wurde sie von der slowakischen Gruppe J&T übernommen. Palcr kündigte bei der Nationalbank und blieb bei der nun slowakisch beherrschten „Unternehmensbank“. Als dort ein paar Monate später fähige Leute gesucht wurden, empfahl er seinen Freund Křetínský. Der trat als knapp 25-Jähriger in den Dienst der Finanz­gruppe.

Das Einstiegsgehalt des Juristen Křetínský betrug damals 22.000 Kronen (etwa 800 Euro). Aber schon nach weniger als einem Jahr verdiente er seine erste Million. Das sei eine Belohnung für einen gewonnenen Fall gewesen, erzählte er vor einiger Zeit Studenten der Prager Wirtschafts­universität VŠE.

Der junge Mann setzte sich im Unternehmen schnell durch und beschäftigte sich bald mit großen, komplizierten Transaktionen. Er war unter anderem für die Unternehmen zuständig, die J&T erworben hatte, als es Investmentfonds der Brünner Messe und der Tschechoslowakischen Handelsbank (ČSOB) kaufte. Damals kam Křetínský erstmals in engen Kontakt mir der Industrie.

Bei der Akquisition der Fonds hatte der slowakische Finanzier Michal Šnobr geholfen. Er stand auch hinter dem größten und erfolgreichsten Geschäft dieser Zeit, dem Kauf von Aktien des staatlichen Energieunternehmens ČEZ.

Weil beim Geschäft mit den ČEZ-Aktien sehr viel Geld floss, wurde die Firma J&T Investment Advisors gegründet, deren Geschäftsführer Šnobr und Křetínský wurden. Weitere Aktiengeschäfte gelangen und man diskutierte, wie es weitergehen sollte. „Daniel erwies sich als der mit Abstand Ehrgeizigste“, erinnert sich Šnobr. Křetínský habe sich durch eine klare Vorstellung, in was man investieren sollte, und seinen Mut ausgezeichnet. Schon damals entwickelte er Eigenschaften, von denen auch seine heutigen Geschäftspartner und Gegner sprechen: seine außergewöhnliche Überzeugungskraft und das Talent, seine Geschäftsvisionen zu präsentieren.

Im Jahr 2003 hatte Křetínský in der Gruppe J&T die Position eines Partners inne, er konnte also an den Gewinnen der Geschäfte beteiligt werden. Im selben Jahr begann er auch, sich für Energie zu interessieren. Einen Beitrag dazu leisteten Vladimír Špidla und seine Regierung, als sie die staatlichen Anteile am Unternehmen „Severočeské doly“ („Nordböhmische Gruben“) zum Verkauf ausschrieben. Dafür interessierte sich unter anderem J&T. Im folgenden Jahr verkaufte der halbstaatliche Konzern ČEZ seine Anteile am Unternehmen „Pražská energetika“ – an die Finanzgruppe J&T.

Bevor wir die Energie-Geschichte weitererzählen, werfen wir einen Blick auf den Kauf des Sportvereins Sparta Prag. Er gehörte bis 2004 der Passauer Verlegerfamilie Diekmann, die in Tschechien die Regional­zeitungen der Gruppe „Deník“ herausgab. Daniel Křetínský interessierte sich dafür überhaupt nicht, er begeisterte sich damals keineswegs für Sport. Das änderte sich erst, als er erfuhr, dass der Klub zum Verkauf stand. „Er begriff sofort, dass das eine gute Marketing-Investition sein kann“, sagt Palcr, der seitdem im Aufsichtsrat des Vereins sitzt.

Der Kauf kostete Křetínský eine Menge Geld, dennoch sind seine Kollegen von J&T überzeugt, dass es eine sehr gute Investition war. Das Unternehmen und vor allem Křetínský haben sich dadurch einen Namen gemacht. Zu einem Sparta-Spiel kann man wichtige Partner einladen. Und Eigentümer des Vereins zu sein, hilft auch bei Verhandlungen im Ausland.

Zu den Eigenschaften Křetín-skýs gehören auch Fleiß und die Fähigkeit, große und mutige Geschäftskonstrukte aufzubauen. Als er mit ČEZ verhandelte, habe er sich die Entscheidungsstrukturen vorher genau angeschaut, sagt ein damaliger ČEZ-Manager. Seine Zeit sei ihm nicht zu schade gewesen, mit den Verantwortlichen zum Mittagessen oder auf ein Bier zu gehen, um sie von seinen Vorschlägen zu überzeugen. Man muss aber auch dazusagen, dass er kaum eine Chance gehabt hätte, wenn ihm Unternehmenschef Martin Roman nicht wohlgesonnen gewesen wäre.

Křetínský vereinbarte mit ČEZ zuerst den gemeinsamen Kauf der deutschen Mibrag-Gruben. Später ermittelte die Polizei wegen des Verdachts, dass ČEZ absichtlich Verlust gemacht habe. Sowohl Křetínský als auch der halbstaatliche Energieriese haben das jedoch immer vehement abgestritten und der Fall wurde nach einigen Jahren zu den Akten gelegt.

Auch die Mibrag-Gruben sind in Křetínskýs Händen.

Křetínskýs Fähigkeit, gut zu kombinieren, entfaltete sich vollständig bei einem komplizierten Deal im Jahr 2009, als mitten in der Wirtschaftskrise ein weiterer internationaler Akteur den tschechischen Energiemarkt verließ: die britische Gruppe International Power. Kurz lässt sich die Transaktion so zusammenfassen: Am meisten Geld gab ČEZ, den größten Gewinn machte aber J&T.

Sowohl die Unternehmensgruppe als auch Křetínský selbst steigerten durch die beiden Geschäfte mit ČEZ ihre Mitgift, die sie in die bereits vereinbarte „Energetický a průmyslový holding“ (EPH) einbrachten, in der sie sich mit PPF zusammenschlossen.

Im September 2009 entstand die Firma EPH – und die Karriere Daniel Křetínskýs erreichte eine neue Etappe. Neben PPF (40 Prozent), Patrik Tkáč und weiteren Investoren von J&T (zusammen 40 Prozent) erhielt Křetínský 20 Prozent der Unternehmensanteile. Damals fragten sich viele, weshalb Křetínský ein Fünftel der Firma bekam. Die Antwort ist angeblich einfach: Die Eigentümer von J&T wissen es zu schätzen, wenn jemand sehr viel Geld für sie verdient.

Nach der Gründung von EPH konzentrierte sich Křetínský vor allem auf die Expansion im Ausland. Im Jahr 2010 erwarb das Unternehmen Bergwerke in Polen und 2011 kaufte EPH auch die zweite Hälfte der deutschen Mibrag-Gruben. Es folgten 2012 Anteile am deutschen Kraftwerk Schkopau und die Beteiligung am solwakischen Unternehmen „Slovenský Plynárenský Priemysl“. Damit hörten Křetínský und seine Mitstreiter auf, in Milliarden Kronen zu rechnen und gingen zu Milliarden Euro über.

EPH gewann weiter an Wert. Das nutzte Petr Kellner, um mit seinem Unternehmen PPF aus der Gruppe auszusteigen. Im Juni 2014 kaufte die Holding Kellners Anteile und PPF schied mit insgesamt knapp 30 Milliarden Kronen aus. Beide Seiten waren offenkundig zufrieden, denn ein Jahr später bemühten sie sich gemeinsam um die deutsche Braunkohlesparte der Firma Vattenfall.

Die Notwendigkeit riesiger Investitionen hat EPH nie gebremst. Im Laufe des folgenden Jahres kaufte die Holding Kraftwerke in Großbritannien und Italien und eine Fernwärmefirma in Budapest. Vor Weihnachten 2015 wurde ein Abkommen über den Kauf von Anteilen am Unternehmen „Slovenské elektrárne“ unterzeichnet. Nach Neujahr kamen weitere Kraftwerke in Nordengland hinzu.

Operation Vattenfall
Ein richtig großes Geschäft gelang EPH zusammen mit PPF Investments in Deutschland – die Übernahme der Aktiva von Vattenfall. In Tschechiens Nachbarland werden jährlich etwa 180 Millionen Tonnen Kohle gefördert. Etwa 100 Millionen entfallen auf die Abbaugebiete von RWE im Ruhrgebiet, weitere 20 auf Křetínskýs Mibrag und die übrigen 60 bis vor der Übernahme auf Vattenfall.

Die Schweden überließen den tschechischen Eigentümern Gruben und Kraftwerke im Wert von 3,4 Milliarden Euro und Verbindlichkeiten in Höhe von zwei Milliarden, außerdem etwa 1,7 Milliarden Euro in Bar, damit sie im Fall niedriger Kohle- und Strompreise den Betrieb aufrechterhalten können. Unter den neuen Eigentümern tragen die Anlagen seit Oktober den Namen LEAG (Lausitz Energie AG). Sie gehören EPF und PPF jeweils zur Hälfte. Mit dem Braunkohlegeschäft haben die Tschechen auch das Sponsoring des Fußball­vereins FC Energie Cottbus und des Eishockeyteams Lausitzer Füchse übernommen.

Großer Ausverkauf
In der Prager EPH-Zentrale in der Pariser Straße wurden in der Zwischenzeit große Eigentümerwechsel vorbereitet. Chinesische Investoren der Firma CEFC interessierten sich schon länger für die Holding, die Křetínský repräsentiert. Doch er wollte nicht mit den Asiaten ins Geschäft kommen. Stattdessen wurde Mitte Oktober eine weitere große Transaktion verkündet. Ein Konsortium unter der Leitung der australischen Firma Macquarie Infrastructure and Real Assets (MIRA) kauft 30 Prozent der Sparte EP Infrastructure. Außerdem sollen bisherige Aktionäre ausgezahlt werden. Es wird erwartet, dass Anfang des kommenden Jahres die Minderheitsaktionäre aus den Reihen der J&T-Partner auf diese Weise ausscheiden.

Überraschend war die Mitteilung, dass längerfristig auch Patrik Tkáč aussteigt. Über die Gründe wird spekuliert. Für Křetínský heißt das auf jeden Fall, dass er wieder dutzende Milliarden Kronen aufbringen muss, um seinen langjährigen Partner auszuzahlen. Zugleich kündigten Křetínský und Tkáč an, weiterhin gemeinsam Geschäfte zu machen.

In der Erfolgsgeschichte von EPH spielt natürlich auch die Politik eine Rolle. Ohne sie wären zum Beispiel die Geschäfte mit ČEZ nicht möglich gewesen. Bis heute arbeitet Křetínský an seinen Kontakten. Informierten Quellen zufolge hat er ein ziemlich gutes Verhältnis zu Vizepremier Andrej Babiš (ANO). EPH-Sprecher Daniel Častvaj dementiert jedoch: „Daniel Křetínský pflegt keinen regelmäßigen oder sehr häufigen Kontakt zu führenden tschechischen Politikern, auch nicht zu Andrej Babiš.“

Aber Kontakte allein machen noch keinen erfolgreichen Geschäftsmann. Partner und Konkurrenten berichten unter anderem, dass Křetínský wie ein Schachspieler immer mehrere Züge vorausdenke, um sich sorgfältig in die richtige Position zu bringen. „Als wir mit ihm um Vattenfall konkurrierten, hatte er alles vorbereitet. Wo wir auch hingefahren sind, um zu verhandeln – nach Deutschland oder nach Schweden – immer war schon einer seiner Mitarbeiter da“, erzählt Jan Dienstl vom Konkurrenten Czech Coal.

Seine wohl größte Stärke ist allen Befragten aus der tschechischen Wirtschaft zufolge seine Kommunikationsfähigkeit. „Er kann sich jeder Situation perfekt anpassen. Er wird vollkommen überzeugend sein, wenn er freche Witze mit einem Fußballfunktionär macht. Und zehn Minuten später kann er durchaus zum zartbesaiteten Kenner des Impressionismus geworden sein“, erzählt ein Geschäftsmann, der ihn kennt.
Typisch für Daniel Křetínský soll auch sein: Wenn er nicht nur Partner, sondern auch sich von einer Idee überzeugt hat, weicht er nicht mehr davon ab. Wenn man sich anschaut, wie sich das Imperium des dynamischsten und zugleich am stärksten verschuldeten tschechischen Geschäftsmannes entwickelt, dann gehen seine Wetten bisher offenbar ganz gut auf.

Der Text erschien zuerst im Magazin „Reportér“ Nr. 27 (November 2016). Übersetzung: Corinna Anton