Das Tor zum Osten

Das Tor zum Osten

Das Internationale Filmfestival in Karlovy Vary präsentiert feinfühlige Dramen und Hollywoodstars

2. 7. 2014 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: Film Servis Festival Karlovy Vary

Was haben die Urenkelin eines US-amerikanischen Kriegsministers, die Tochter eines monegassischen Kavallerie-Offiziers und der Sohn eines Fernsehquiz-Gewinners gemeinsam? Eine seltsame Frage, die ab 4. Juli beim Filmfestival in Karlovy Vary (Karlsbad) beantwortet wird. Zum 49. Mal findet im westböhmischen Kurort das prestigeträchtige Stelldichein von nationalen und internationalen Filmschaffenden, etablierten Schauspielgrößen und hoffnungsvollen Regietalenten statt. Und auch in diesem Jahr mangelt es nicht an Topstars, die entweder ihre neuesten Filme vorstellen oder für ihr Lebenswerk ausgezeichnet werden.

Letztere Ehre wird dem eingangs erwähnten Sohn eines Quizshow-Gewinners zuteil. Ohne den finanziellen Ertrag aus der US-amerikanischen Sendung „Jeopardy!“ wären die Gibsons wohl nie nach Australien ausgewandert und Sohn Mel auch kein Filmheld geworden. Der inzwischen 58-jährige Schauspieler, Regisseur und Produzent wurde durch seine Rolle als apokalyptischer Rächer im futuristischen Streifen „Mad Max“ weltbekannt. Danach folgte eine steile Hollywoodkarriere, die in den vergangenen Jahren ins Stocken geriet, nicht zuletzt wegen privater Eskapaden und kontroverser Projekte. Dies hindert die Organisatoren des bedeutendsten tschechischen Filmfestivals allerdings nicht daran, Mel Gibson den Kristallglobus zur Würdigung seines bisherigen Schaffens zu überreichen.

Das Karlsbader Festival ist weit mehr als „nur“ ein Teil der schillernden Kinowelt. Eine Woche lang laufen dort in insgesamt 19 Haupt- und Nebenkategorien rund 240 Streifen aus aller Welt. Den geografischen Schwerpunkt bilden seit längerer Zeit Beiträge aus Osteuropa, was nicht nur an den vielen Filmen aus der traditionell hochstehenden einheimischen Szene liegt. In „East of the West“ laufen ein Dutzend Werke aus Serbien, Ungarn, Estland oder Polen sowie aus Aserbaidschan oder dem krisengeschüttelten Griechenland.

Regisseur Asif Rustamov beispielsweise erzählt in seiner aserbaidschanischen Produktion „Down the River“ eine berührende Familiengeschichte. Ruslan ist ein talentierter Ruderer, Vater Ali sein fordernder Trainer. Der übertrieben ehrgeizige Mann projiziert seine eigenen, geplatzten Träume auf den Sprössling, der sich seinerseits emanzipieren will. Rustamov gelang ein feinfühlig und dezent in Szene gesetztes Drama mit atemberaubenden Landschaftsbildern.

Auch in der Kategorie der sogenannten „Feature Films“ ist ein Beitrag aus einer ehemaligen Sowjetrepublik zu sehen. In „Corn Island“ (Originaltitel: „Simindis kundzuli“) kann sich der Liebhaber symbolbeladener Filme, in denen Dialoge an zweiter Stelle und das eindrückliche Schauspiel der Protagonisten im Mittelpunkt steht, einem bezaubernden Sozialdrama hingeben. George Owaschwili taucht dabei in das Grenzgebiet zwischen Abchasien und Georgien ein. Ebenfalls um den großen Kristallglobus kämpft der tschechische Streifen „Fair Play“ von Andrea Sedláčková über das systematische Doping in der ČSSR. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass eine einheimische Produktion den Hauptpreis abräumt. Dabei hätte es der Film, der ein hierzulande kaum diskutiertes Thema aus der Versenkung holte, dank einer geschickten Dramaturgie und tollen schauspielerischen Leistungen durchaus verdient.

David Lynchs Muse
In der Sparte „Special Events“ wird Stargast Mel Gibson eine Sonderversion seines Historienspektakels „Apokalypto“ zeigen, während eine weitere internationale Filmgröße ebenfalls eines ihrer seltenen Regiewerke präsentiert. Es ist die Offizierstochter aus Monaco Fanny Ardant, die in „Cadences obstinées“ von Margo (herzzerreißend: Asia Argento in der Hauptrolle) berichtet, einer von der Ehe und vom Leben enttäuschten Frau, die für den Mann die eigene Karriere aufgab. Die eingangs gestellte Frage nach der Gemeinsamkeit der genannten Personen löst sich mit dem dritten Stargast von internationalem Rang auf. Es ist Laura Dern, die frühe Muse von Kult-Regisseur David Lynch. Die Urenkelin des unter Roosevelt dienenden Ministers George Henry Dern ist in Karlovy Vary an der Seite von Nicolas Cage im modernen Klassiker „Wild at Heart“ aus dem Jahre 1990 zu bestaunen. Der Streifen wurde kurzfristig in das Programm aufgenommen.

Erstaunlich viele deutschsprachige Filme laufen in der Kategorie „Imagina“. In dieser Sparte wurde der Fokus auf unkonventionelle Beiträge mit einer radikal von der Norm abweichenden Bildsprache gelegt. So stellen unter anderem Ludwig Wüst („Abschied“), Moritz Uebele („Glue“) oder Sebastian Merz („Substanz“) eigenwillige Experimentalwerke vor. Ein erfreuliches Zeichen, das belegt, wie vor allem der deutsche Film von jungen Regisseuren weiterentwickelt wird.

So oder so werden es die Jurymitglieder um den spanischen Produzenten Luis Miñarro schwer haben, Sieger in den einzelnen Hauptkategorien zu küren. Dies vor allem deshalb, weil die Filmfestspiele von Karlsbad wie gewohnt nicht nur an der Spitze, sondern auch im breiten Feld aller Kategorien Qualität vom Feinsten bieten.
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