Gefühlte Unsicherheit

Gefühlte Unsicherheit

Warum die Tschechen Panzer bestaunen und Flüchtlinge fürchten

7. 9. 2016 - Text: Corinna AntonText: ca/čtk; Foto: Nato Days

Man stelle sich eine Frau vor: mittelgroß, um die 40 vielleicht, ein bisschen ausgezehrt. Sie trägt ein langes Kleid und ein Kopftuch. Und daneben einen Panzer. Ein beliebiges Modell mit Dieselmotor, Gleisketten und drehbarem Geschützturm. Wovor hat man Angst?

Für etliche Tschechen ist die Antwort klar: Flüchtlinge wollen sie in ihrem Land nicht haben, aber sie statten sich gerne in einem Armeeladen aus. Muslime kennen sie nicht persönlich, aber sie schauen sich Kampfflugzeuge an, wenn die Nato und die Tschechische Armee zum Tag der offenen Tür einladen. Etwa 220.000 Besucher kamen im vergangenen Jahr zu einer solchen Veranstaltung nach Mošnov bei Ostrava, ähnlich viele werden am 17. und 18. September am selben Ort erwartet.

„Die Besucher können sich auf den Einsatz des Flugzeugs JAS 39 Gripen freuen und auf die Demonstration eines Häuserkampfs, bei dem die Bodenkräfte aus der Luft unterstützt werden“, kündigt ein General an. Dass Freizeitparks mit Panzerfahrten locken – als Ausflugsziel für die ganze Familie – überrascht fast nicht mehr. Auch nicht, dass Ende August 25.000 Gäste zum „Panzer­tag“ nach Lešany zwischen Prag und Benešov kamen und dass am vergangenen Wochenende 40.000 in Hradec Králové militärische Hubschrauber und Flugzeuge besichtigten.

Viele Tschechen spielen offenbar gerne Krieg oder sehen sich zumindest die Ausrüstung aus der Nähe an. Das muss nicht heißen, dass sie sich gegen alles Fremde mit Gewalt verteidigen. Es zeigt jedoch, dass neben der Faszination für Militärtechnik das Thema Sicherheit eine wichtige Rolle spielt – wichtig genug, um Menschen auf die Straße zu bringen, die gewöhnlich lieber zu Hause bleiben, wenn für Frieden und Menschenrechte demonstriert wird.

Entscheidend ist dabei möglicherweise die gefühlte Unsicherheit. So bezeichnet der Extremismusexperte Miroslav Mareš von der Brünner Masaryk-Universität es als „großes Problem der tschechischen Gesellschaft, dass die Menschen kein Vertrauen in den Staat haben“. Denn genau diese Lücke nutzten extremistische Gruppen für ihre Zwecke. Sie behaupteten, der Staat sei nicht in der Lage, sich um die Bürger zu kümmern und sie vor Gefahren zu schützen, so Mareš.

Eine mögliche Lösung sieht er in einer Art Bürgerwehr, die mit der Polizei zusammenarbeiten sollte. „Viele haben das Gefühl, dass der Staat auf sie pfeift“, meint Mareš. „Wenn es gelänge, mit ihnen zu kooperieren, entstünde eine engere Bindung zwischen dem Staat und seinen Bürgern.“

Aber sind solche Wehren hierzulande nötig? Über tatsächliche Bedrohungen informieren zwei kürzlich veröffentlichte Dokumente. In Tschechien habe es 2015 keine Hinweise auf einen Terroranschlag gegeben, heißt es im Jahresbericht des Militäri­schen Nachrichtendienstes (VZ). Zugenommen habe jedoch die Cyberspionage. Außerdem haben einige Soldaten Nazi-­Symbole verwendet und sich im Internet rassistisch geäußert. Der tschechische Geheimdienst (BIS) warnt vor den Aktivitäten der Geheimdienste Russlands und Chinas. Außerdem seien wegen der Flüchtlingskrise Gruppen entstanden, die „Elemente paramilitärischer Bestrebungen“ aufweisen. Es sieht so aus, als müssten die Bürger ihr Land in erster Linie vor sich selbst verteidigen. Frauen mit Kopftuch stellen für Tschechien jedenfalls keine Gefahr dar.