Der lange Weg zum Mars

Der lange Weg zum Mars

Lucie Ferstová will die Erde für immer verlassen und ein neues Leben auf einem anderen Planeten beginnen

22. 6. 2016 - Text: Philipp SchönerInterview: Philipp Schöner; Fotos: Mars Society/MDRS, ČTK/Kateřina Šulová und NASA

„Mars One“ hat große Pläne. Die private Stiftung möchte Menschen auf den Mars schicken, um dort die erste menschliche Kolonie außerhalb der Erde zu gründen. In zehn Jahren soll die erste Crew starten. Die Auswahl der Astronauten hat bereits begonnen. Sie kommen nicht etwa von der ESA oder der NASA. Jeder konnte sich für das Vorhaben ganz einfach bewerben. Unter die letzten 100 von Zehntausenden Bewerbern hat es die 26-jährige Tschechin Lucie Ferstová geschafft. Im Interview mit PZ-Autor Philipp Schöner spricht sie über ihre Motivation und darüber, wie sie sich ihr Leben auf dem Mars vorstellt.

Wenn alles nach Plan läuft, werden Sie für immer zum Mars fliegen. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, an der Mission teilzunehmen?
Ich habe auf Facebook zufällig einen Link zu Mars One gefunden. Das war im Jahr 2012, ungefähr vier Monate bevor das Bewerbungsverfahren begann. Ich fand den Gedanken an ein so großes, weltweites Projekt einfach großartig und habe beschlossen, dass ich ein Teil davon sein möchte.

Wie haben Sie sich beworben?
Das Verfahren bestand aus zwei Runden. Im ersten Schritt musste ich ein Formular mit einigen Standardfragen ausfüllen, zum Beispiel wie ich mit Stress umgehe und wie ich mich beim Zusammentreffen mit Menschen aus anderen Ländern und Kulturen verhalte. Dann habe ich ganz normal – wie man es bei einer Bewerbung eben macht – meinen Lebenslauf an die Verantwortlichen geschickt und ein Motivationsschreiben eingereicht, in dem ich erläutert habe, warum ich unbedingt in das Programm will. Außerdem musste ich ein Video von mir selbst drehen, in dem ich erkläre, was für eine Art von Humor ich habe, was mich zum perfekten Teilnehmer macht und warum ausgerechnet ich die Reise antreten sollte.

Wie ging es dann weiter?
Ich kam als eine von Tausend in die zweite Runde. Dafür musste ich zunächst zum Arzt gehen und mir bescheinigen lassen, dass ich rundum gesund bin. Danach bekam ich Studienmaterial, über das ich in einem Gespräch befragt wurde. Man stellte mir persönliche Fragen und ich wurde vor verschiedene Szenarien gestellt. Man wollte sehen, wie ich reagiere und wie meine Einstellung zum Projekt ist. Letztes Jahr im Februar habe ich die Nachricht bekommen, dass ich unter den letzten Hundert bin.

Wie haben Sie reagiert?
Ich habe mich gefreut.

Das klingt aber nüchtern.
Es ist noch ein langer Weg bis zum Mars. Die erste Mission startet nach dem ursprünglichen Zeitplan 2026. Auch wenn ich jetzt unter den 100 Ausgewählten für die künftigen Missionen bin, heißt das noch nicht, dass ich jemals für eine Mission zum Mars nominiert werde. Es ist zwar wahrscheinlich, aber nicht sicher. Deswegen gibt es jetzt noch keinen Grund, sehr aufgeregt zu sein.

Lucie Ferstová am „Denkmal der Kosmonauten“ – zwischen Vladimír Remek (links) und Alexei Gubarew – vor der Prager U-Bahn-Station Háje, die bis 1990 "Kosmonautů" hieß

Das hört sich nach einer langwierigen und strapaziösen Prozedur an. Was genau treibt Sie an, das auf sich zu nehmen?
Ich denke, dass wir konstruktiver und globaler über die Zukunft nachdenken sollten als bisher. Dazu gehört auch, unseren Horizont wörtlich über die Erde hinaus zu erweitern. Mars One kann das leisten. Das Projekt bringt Leute aus aller Welt zusammen und lässt Ländergrenzen oder politische Interessen verblassen. Die Leute eint die Vorstellung, gemeinsam eine Kolonie auf dem Mars zu errichten. Mich motiviert der Gedanke, zusammen mit solchen Menschen an unser aller Zukunft zu arbeiten. Meine Entscheidung dafür kam deshalb auch von Herzen.

Wie haben Ihre Familie und Ihre Freunde reagiert, als Sie ihnen erzählt haben, dass Sie die Erde für immer verlassen wollen?
Ich habe es ihnen nicht direkt erzählt. Es war eher so, dass sie es nach und nach herausgefunden haben. Die Reaktionen auf meine Entscheidung waren unterschiedlich. Die meisten unterstützen mich, einige waren sehr aufgeregt, als sie es gehört haben. Andere belächeln es und nehmen es nicht ernst. Aber es ist nicht so, dass meine Familie aus allen Wolken gefallen ist, als sie davon erfahren hat. Die Leute haben gemerkt, dass es mir wichtig ist, dass ich das wirklich machen möchte, und unterstützen mich deshalb. Auch wenn die Mission für immer ist.

Sie wären der zweite Mensch aus Tschechien im Weltall.
Ja, aber das bedeutet mir nicht viel. Ich sehe diese Mission nicht als individuellen Triumph für mich oder für Tschechien. Es geht mir um das große Ganze. Ich möchte zum Mars fliegen, um für uns alle etwas zu tun, für die gesamte Menschheit, nicht für mich als Individuum. Persönliche Ambitionen sind hier nicht angebracht.

Die Reise zum Mars dauert sieben Monate, da kann man nicht mal eben zurück nach Hause fliegen. Haben Sie nicht auch ein wenig Angst vor dem Abenteuer?
Eigentlich nicht. Wir werden uns gut auf die Reise vorbereiten. Jeder hat eine bestimmte Aufgabe. Deswegen könnte man sagen, meine größte Angst ist es, meine Crew-Mitglieder zu enttäuschen. Man ist schließlich abhängig voneinander und muss darauf vertrauen können, dass jeder alles so ausführt, dass es funktioniert. Deswegen möchte ich nichts falsch machen, nichts in den Sand setzen, wodurch die anderen mehr Arbeit hätten. Egal ob es ein großer oder ein kleiner Fehler ist, oder ob die anderen dadurch in Gefahr geraten. Durch einen Fehler schwächt man das Team.

Hatten Sie schon Gelegenheit, ein paar Ihrer möglichen Crew-Mitglieder kennenzulernen?
Bei meinem Aufenthalt in Großbritannien konnte ich insgesamt sechs Leute persönlich treffen, die es auch unter die letzten Hundert geschafft haben. Mit anderen war ich über das Internet in Kontakt.

Wie stellen Sie sich das Leben auf dem Mars vor?
Am Anfang wird es sicher schwierig und ungewohnt sein. Aber ich werde mich daran gewöhnen. Wir Menschen sind erstaunlich. Wir können uns fast allen Umständen anpassen, wenn es die Situation erfordert. Man muss nur erst mal seine Routinen entwickeln und sehen, was man für Arbeit hat. Es kommt natürlich auch darauf an, mit wem man hochgeschickt wird. Aber die Psychologen von Mars One werden die Teams auch danach konzipieren, wie die Leute harmonieren. Letztendlich wird alles so sein, dass wir gut miteinander arbeiten können. Auch so wird das Leben auf dem Mars noch schwer genug sein und viel von uns fordern. Wir müssen uns zum Beispiel um die Wartung der Anlagen kümmern. Manche Systeme werden noch nicht optimal konfiguriert sein und müssen angepasst werden. Und wenn die ersten Schwierigkeiten überwunden sind, folgt das nächste anspruchsvolle Ziel – die Kolonie unabhängig machen. Langweilig wird es sicher nicht.

Die rote Färbung verdankt der Mars dem Eisenoxid-Staub, der sich auf der Oberfläche und in der Atmosphäre verteilt hat.

Was denken Sie, wie Sie sich auf dem Mars fühlen werden?
Ich denke, dass es dort nicht anders sein wird als auf der Erde. Meine Stimmung, genau wie die aller anderen Menschen, ändert sich von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde. Sie hängt davon ab, was man tagsüber erreicht, ob man mit einer persönlichen Niederlage konfrontiert ist, ob man mit jemandem Streit hat. Ich denke nur, dass auf dem Mars ein anderes Stresslevel herrschen wird. Durch den höheren Druck muss man darauf achten, den Stress entsprechend abzubauen. Ich denke, dass ich viel mehr auf meine Stimmung und ihre Entwicklung achten werde. Es gibt viele Science-Fiction-Szenarien über Menschen, die im Weltraum verrückt werden. All das könnte geschehen, wenn man nicht reflektiert genug mit der eigenen Stimmungslage und der der anderen umgeht und auf sie eingeht.

Mir fallen viele Dinge ein, die ich hier noch erleben möchte, wenn ich die Erde für immer verlassen würde.
Ich möchte auch noch etwas machen, bevor ich zum Mars fliege – das entsprechende Training dafür bekommen, dass ich die Reise antreten kann. Mir fallen keine 50 Dinge ein, um ehrlich zu sein. Es wäre schön, noch ein bisschen durch die Welt zu reisen. Ich war noch nie in den USA, Thailand, China, in der Mongolei. Reisefreudig war ich schon immer. Aber ich muss das nicht noch unbedingt machen. Priorität hat für mich die Mission. Mit meinen Urlaubsreisen erreiche ich ja nicht wirklich etwas.

Was wird Ihnen am meisten fehlen?
Ich weiß nicht – ein gutes Steak vielleicht? Draußen an der frischen Luft rumlaufen, insgesamt irgendwelche Dinge draußen unternehmen. Das kann ich auf dem Mars zwar auch, aber nicht mit einem blauen Himmel und einer Sonne wie ich sie kenne über mir, nicht ohne Raumanzug.

Ich meine, aus diesen Worten eine Spur Wehmut herauszuhören. Hat sich seit Ihrer Nominierung etwas an Ihrer Einstellung zu Mars One geändert?
Im Grunde nicht. Zweifel hat jeder. Ich zweifle immer wieder an mir selbst, versuche dabei aber, konstruktiv zu sein und mich zu verbessern. Ich frage mich nicht, ob es immer noch das Richtige für mich ist. Man lernt mehr über die Mission, über die anderen Crew-Mitglieder, über die Technologie. Die Einstellung ändert sich nicht, sie weitet sich aus. Ich bin immer noch absolut überzeugt davon, an der Mission teilzunehmen.

Das Projekt hat viele international renommierte Wissenschaftler als Paten. Viele zweifeln das Projekt aber auch an. Wie begegnen Sie der Skepsis?
Skepsis ist gut. So funktioniert Wissenschaft im Grunde. Jemand stellt eine Theorie auf, entwickelt etwas. Jemand anderes zweifelt das an. Wenn dieser jemand Recht hat, dann stimmte die Theorie nicht oder die Entwicklung war noch nicht ausgereift. Man arbeitet weiter daran oder macht etwas Neues. Fundierte Skepsis ist gut. Anders ist es, wenn man destruktive Kritik übt, unberechtigte Skepsis hegt, die auf unsoliden Annahmen, unbegründeten Ängsten basiert. Wenn man vorher die Fakten studiert hat und zurecht skeptisch ist, begrüße ich das.

 


Ein Tscheche im Weltall
„Es gibt kein Fleisch, es gibt keine Autos, aber wir haben einen Kosmonauten“, so spottet man in der Tschechoslowakei Ende der Siebzigerjahre. Vladimír Remek war 1978 der erste Mensch im Weltraum, der weder aus den USA noch aus der Sowjetunion kam. Und er ist bis heute der einzige Tscheche, der es ins All geschafft hat. Der 1948 in České Budějovice geborene Sohn eines Slowaken und einer Tschechin musste sich damals gegen einige Mitbewerber durchsetzen. Anfang des Jahres 1976 war die Nachricht aus Moskau gekommen, dass Kosmonauten gesucht würden. In die vorläufige Auswahl gelangten zunächst 24 Männer – allesamt Piloten der Armee. Nach und nach reduzierte sich die Gruppe durch Diagnosen von Übergewicht und Krankheiten. Übrig blieben neben Remek noch drei weitere Kandidaten.

Sie reisten ins Trainingszentrum in die Sowjetunion. Dort kam Remek zusammen mit Oldřich Pelčák in die letzte Auswahlrunde. Im November 1976 wurde er zum Kapitän der Mission Sojus 28 befördert. Deren Ziel war es, mit der Sojuskapsel an die sowjetische Raumstation Saljut 6 anzudocken und im All Materialforschung zu betreiben. Remek war sieben Tage, 22 Stunden und 17 Minuten im Weltraum, ehe er mit der Sojuskapsel am 10. März wieder in die Erdatmosphäre eintrat. Remek soll während seines Aufenthalts im Weltraum permanent übel gewesen sein. Aufgrund seiner schlechten körperlichen Verfassung konnte er bei der Pressekonferenz nach seiner Landung kaum mit Journalisten sprechen. Später wurde er unter anderem Leiter des Museums für Luft- und Raumfahrt in Prag. 2004 wurde er Abgeordneter des Europäischen Parlaments für die Kommunistische Partei und gehörte der Fraktion der Europäischen Linken an. Von Januar 2014 bis Januar 2018 war Remek Botschafter der Tschechischen Republik in Moskau.   (PZ)