Die gläserne Stadt

Die gläserne Stadt

Trotz Leerstand entstehen in Prag neue Bürokomplexe. Oft passen sie nicht in die Umgebung des Viertels. Dabei stellt sich die Frage nach einer sinnvollen Stadtplanung

12. 12. 2012 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: CMC architects

Wie die Goldene Stadt sieht das nicht aus. Gläsern und stählern sind die Gebäude, auf die Vít Máslo durch das Fenster seines Architekturbüros deutet. Office-Komplexe, wie sie überall auf der Welt stehen. „Die Stadt wandelt sich“, sagt der Architekt. Anfang der neunziger Jahre seien die ersten Büroflächen in alten Wohnhäusern entstanden. Dann, während des Wirtschaftsbooms seien überdimensionierte Glaspaläste gebaut worden. „Heute ist eine Größenordnung von rund 10.000 Quadratmeter interessant“, glaubt Máslo, der im Studio „CMC architects“ für Design und urbane Strategien zuständig ist.

Viele der Projekte von CMC befinden sich in Sichtweite des Großraumbüros im sechsten Stock. Meist handelt es sich um umgebaute  Industrieanlagen. Wie die einstige Dampfmühle etwa. Die zwei monumentalen Backsteinflügel mit Speicherturm vom Anfang des 20. Jahrhunderts verbinden heute gläserne Korridore. In der Mitte ist ein öffentlicher Platz entstanden, der teils mit dunklen Holzplanken ausgelegt ist. Von Fachleuten wird das „Classic 7“, so der offizielle Name des Projekts, gelobt. Weil er einen Dialog zwischen industrieller Tradition, Menschen und dem Flussufer anrege.

Normalzustand Leerstand
Nur ist der Weg zur Moldau, die hier einen Bogen um die Landzunge der einstigen Industrievorstadt Holešovice schlägt, von einem weiteren Büropalast versperrt. Dessen rhythmisch gegliederte Fassade ziert ein großes Plakat mit der Aufschrift „Büroräume zu vermieten“. Das  „Prague Marina Office Center“ steht seit 2009, die rund 13.000 Quadratmeter Bürofläche sind nur zum Teil besetzt.

Die Prager Büroräume erstrecken sich im Moment auf eine Fläche von rund 2,9 Millionen Quadratmeter. Knapp 12 Prozent davon stehen leer. Und dennoch, im nächsten Jahr sollen laut Marktanalysen der Immobilienberater von „Jones Lang LaSalle“ weitere 100.000 Quadratmeter Office-Landschaft aus dem Boden gestampft werden.

„Der Bürostandort Prag hat großes Potential“, lautet die überraschende Schlussfolgerung von Ondřej Novotný, Leiter der Marktforschungsabteilung des tschechischen Ablegers von „Jones Lang LaSalle“. Seine Aussage untermauert er mit Zahlen: Auf jeden Bewohner der Moldaumetropole entfallen derzeit im Durchschnitt zwei Quadratmeter Bürofläche. In München liegt der Schnitt bei rund 15 Quadratmetern. „Allerdings muss es in Prag noch zu einer Stärkung des Dienstleistungssektors kommen.“ Erst dann würde sich laut Novotný ein massiver Ausbau wirklich lohnen. Rund ein Achtel Leerstand, das sei in Europa Normalzustand. In der Bankenmetropole Frankfurt etwa waren Ende 2011 etwa 18 Prozent unbesetzt, in Wien hingegen nur rund 8 Prozent.

Bei Karel Bok schlägt der Normalzustand gehörig auf die Stimmung. Der Makler mit dem lichten Haar bringt seit drei Jahren Prager Immobilien im Namen des US-amerikanischen Franchisingunternehmens „Re/max“ an den Kunden. Oder versucht es zumindest. „Büroräume sind das schlimmste“, sagt der der 56-Jährige ohne Vorbehalt. Seine Erklärung ist eindeutig: „Das Angebot übersteigt die Nachfrage um ein Vielfaches. Außerdem kommen kaum mehr neue Firmen aus dem Ausland hierher.“

Die Stagnation von Neuzugängen von jenseits der Landesgrenze kann angesichts der Euro-Krise auch der Analyst Novotný bestätigen. Neubauten machen für ihn aber trotzdem Sinn. „Neue Projekte sind wichtig für Kunden, die sich bereits in Prag befinden. Die Ansprüche an Gebäude haben sich nicht nur hinsichtlich ästhetischer Maßstäbe geändert. Die Mieter fordern heute flexible Innenräume“, erklärt Novotný und verweist darauf, dass nach den überwundenen Krisenjahren 2008 bis 2010 nun viele Firmen aufgeschobene Investitionen tätigen.

Gemischte Sphären
Am Reißbrett entstehen also weitere Prager Büropaläste. So etwa das geplante AFI Business Center am Fuße des Vítkov-Hügels. Seine geschwungene Glasfassade stammt aus der Feder von CMC architects und hat im Sommer zu Protesten im einstigen Arbeiterviertel Karlín geführt. Die Anwohner fürchten einen Anstieg des Verkehrsaufkommens in ihrem Viertel, dass nach dem Hochwasser von 2002 zum neuen Zentrum für den Dienstleistungssektor wurde.

Das geplante Business Center taucht auch auf den Seiten der Bürgerinitiative „Praguewatch“ auf, die problematische Bauvorhaben in der tschechischen Hauptstadt digital kartiert. „Ein Problem der oftmals überdimensionierten Projekte ist, dass sie rücksichtslos in die bestehenden Verhältnisse in den Vierteln eingreifen“, erklärt Martin Veselý, Spezialist für Stadtplanung bei „Praguewatch“. Auch architektonisch gelungene Projekte würden oftmals nicht im Bezug zu ihrem Umfeld konzipiert. „Für sich alleine mögen sie funktionieren, sie schaffen aber nicht die Bedingungen für eine Symbiose mit einer lebendigen Umgebung“, so Veselý.

Genau hier, da sind sich alle Spezialisten einig, hat Prag lange die Zeit verschlafen. „Die Entwicklung einer Stadt nach einer rigiden Aufteilung von Funktionen zu bestimmen ist Schwachsinn, davon müssen wir wegkommen“, sagt Máslo. In dieser Hinsicht sei Prag gerade erst im 21. Jahrhundert angekommen. Erst in diesem Jahr wurde nämlich eine Reform in der Stadtplanung angeregt. Der sogenannte Metropolplan, der zu einer Verflechtung der früher streng getrennten Sphären von Arbeits-, Wohn- und Freizeitwelt führen soll.

„Statt toter Büroviertel soll eine kompakte, lebendige Stadt entstehen“, sagt der stellvertretende Oberbürgermeister und Verkehrsgeograf Tomáš Hudeček (TOP 09), der hinter der Planungsreform steht. Bei Projekten, die bereits in der vorangegangenen Legislaturperiode beschlossen wurden, seien der Stadt jedoch die Hände gebunden.
Genau das ist auch ein Grund für Skepsis bei „Praguewatch“. „Im Moment gilt immer noch der Bebauungsplan vom Ende der neunziger Jahre und so wie es aussieht wird er auch noch bis 2020 gelten“, sagt Martin Veselý. Es werde also noch viel nach den alten Richtlinien gebaut werden.

Hauptsache Shopping
„Prag ist eine extrem zentralisierte Stadt“, sagt Máslo. Entwicklungspotential sieht er etwa in verwahrlosten Bahngeländen, da pflichtet ihm auch der Stadtrat Hudeček bei. Ein solches Großprojekt beschäftigt Máslo im Moment. Er entwickelt ein urbanes Konzept für die Neubebauung der Brachfläche rund um die Gleisanlagen des Bahnhofs Bubny. Auf über hundert Hektar Freifläche soll, ein neues Viertel entstehen, dass den Ansprüchen einer modernen Metropole gerecht wird.

Für Ernüchterung sorgt allerdings der finanziell angeschlagene Hauptinvestor „Orco Property Group“. Der ließ nach der Veröffentlichung der Konzepte von CMC, die im Auftrag der Stadt entstanden sind, hören, dass hinsichtlich der unsicheren Marktentwicklung noch nicht klar ist, ob auf der Brachfläche eher Büros oder Wohnhäuser stehen sollen. Auf jeden Fall aber wolle man ein Shopping Center bauen.