Urbane Sozialstudie

Urbane Sozialstudie

Der Film „Dva nula“ erzählt von der Atmosphäre und den Menschen beim Prager Fußball-Derby

14. 11. 2012 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: AČFK

Es gibt eigentlich nur ein richtiges Derby in der tschechischen Hauptstadt: das große! Und das bedeutet Sparta gegen Slavia. Zwar gibt es noch einige bedeutende Fußballklubs mehr in Prag, doch Spiele jener Kontrahenten werden lediglich als kleine Derbys bezeichnet. Die beiden erfolgreichsten und reichsten Vereine der Stadt elektrisieren Fans und Medien gleichermaßen. Für die meisten Anhänger dieser Klubs sind die beiden Begegnungen innerhalb einer Saison die wichtigsten – ihrem Ausgang messen sie beinahe mehr Bedeutung bei als demjenigen der gesamten Meisterschaft.

Für die beiden Prager Filmemacher Pavel Abrahám und Tomáš Bojar war das Derby des 11. April 2011 der Tag, um nach rund zwei Jahren Vorbereitung die Aufnahmen für ein außergewöhnliches Projekt zu machen. In dieser Zeit hatten sie so gut wie jedes Aufeinandertreffen der Kontrahenten besucht. In der Generali Arena, der Heimstätte von Sparta Prag, positionierten sie rund 30 Kameras und 60 Mikrofone, um den Stoff für eine Dokumentation der speziellen Art zu sammeln. Was dabei heraus gekommen ist, kann man einen der spannendsten und ungewöhnlichsten Dokumentarfilme der jüngeren europäischen Filmgeschichte nennen. Das würdigte diesen Sommer auch das renommierte Filmfestival in Karlsbad: Der Film war als Wettbewerbsbeitrag zu sehen.

Weites Panoptikum
Gänzlich unterschiedliche Zeugen des Derbys werden in den 108 Minuten von „Dva nula“ („Zwei zu null“) vorgestellt: Sicherheitsleute vor und während dem Spiel genauso wie die sogenannten Ultras im Fanblock, Kinder bei der Diskussion um ihre Zahnlücken oder italienische Touristen, die sich als Fans des „Calcio“ eine kleine Exkursion in die fremdländische Arena gönnen. Das Werk kann durchaus als Sozialstudie verstanden werden. Abrahám und Bojar wehren sich zwar gegen klare Kategorisierungen; mit ihrem Vorgängerwerk „Česká RAPublika“ über die tschechische Hip-Hop-Szene verdeutlichten sie aber ihr Gespür für die gekonnte Inszenierung aktueller sozialer Themen. An dem Fußballprojekt faszinierte sie auch der Gedanke des gesellschaftlichen Schmelztiegels Stadion. Dort treffen sich rauchend und trinkend Leute aus den unterschiedlichsten Schichten und Gründen. So variieren die Inhalte der aufgenommenen Konversationen von gehoben über amüsiert lapidar bis vulgär und primitiv – eines sind sie aber immer: stark emotional. Die Leidenschaft Fußball packt alle im weiten Rund. Bojar definiert den Film deshalb auch als Komödie. Und in der Tat, es gibt so einiges zum Schmunzeln in „Dva nula“. Besonders das Leiden eines alteingesessenen Sparta-Fans im Ultra-Sektor hat es den Filmemachern angetan. Ein auffälliges Merkmal des Films ist das Fehlen jeglichen Kommentars. Jener Aspekt verstärkt das Gefühl des Zuschauers, unmittelbar Zeuge eines erstaunlich vielseitigen Ereignisses zu werden.

„Dva nula“ ist nicht einfach ein Beitrag zur sogenannten Neuen Welle des tschechischen Films. Vielmehr ist der Streifen ein feiner Ausschnitt und ein weites Panoptikum des gesellschaftlichen Ist-Zustandes, versehen mit dem typischen Humor und Wesenszügen der Prager Seele. Somit können sich auch Fußball-Desinteressierte eine moderne und reale Geschichte aus dem Herzen Prags erzählen lassen – Fans des Spiels mit dem runden Leders sollten sie sich sowieso nicht entgehen lassen. Allerdings finden alle Vorführungen in den Prager Sälen, ob in den Programm- oder großen kommerziellen Kinos, nur auf Tschechisch und ohne englische Untertitel statt. Ein Minimum an Sprachkenntnissen kann aber bereits helfen, das Wesentliche aus einem tollen Stück hiesigen Filmschaffens zu verstehen. Und eines wird weltweit immer wieder gerne betont: Die Sprache des Fußballs ist sowieso universal.