Zwischen politischem Zaudern und Zivilcourage

Zwischen politischem Zaudern und Zivilcourage

Tschechiens Politik reagiert unentschlossen auf die Krise in der Ukraine. Unterstützung kommt aus der Bevölkerung

13. 2. 2014 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: Evgeny Feldmann

Ein paar Rundmails, zweieinhalb Stunden im Flieger und drei eisige Nächte auf dem Maidan. Während die europäischen Politiker hadern, wie man die ukrainische Opposition stärken kann, verzichtete das Ehepaar Jakimtschuk auf Bürokratie. Ein Schreiben mit dem Betreff „Ukraine – Schnelle Hilfe für Demonstranten“ reichte aus: Freunde und Bekannte spendeten innerhalb weniger Tage rund 1.000 Euro.

Auf dem seit Monaten belagerten Kiewer Hauptplatz machten sich die Tschechin Pavla Jakimtschuk und ihr ukrainischer Ehemann Sergej ein Bild von der Lage. Das Geld übergaben sie an eine Anwältin, die die juristische Unterstützung festgenommener Aktivisten koordiniert, und an einen der prominentesten Bürgerrechtskämpfer. Namen wollen die beiden nicht nennen. Noch immer gehe die Furcht um, durch die Notstandsgesetze könnten Bürgerrechtsbewegungen als feindliche Spionage eingestuft und von der Polizei kassiert werden. Die Rücknahme der Gesetze sei mit noch heißerer Nadel gestrickt als die Anti-Protestverordnungen selbst. Man wisse nie, wann sie wieder aktuell würden.

80 Euro behielten die Jakimtschuks und kauften das, was die Maidan-Aktivisten vor Ort brauchen: Zutaten für den täglichen „Euro-Borschtsch“, Zigaretten, Honig, Tee. „Alle husten und schnupfen dort, von der Kälte und vom Rauch“, beschreibt die 29-jährige Pavla. Von der Stimmung in Kiew ist sie schwer begeistert, berichtet von Diskussionsabenden in der Offenen Maidan-Universität, von ukrainischen Rückkehrern aus Tschechien, die ihre Aufenthaltsgenehmigungen auslaufen ließen, weil sie an eine bessere Zukunft für ihr Land glauben. „Ich glaube nicht, dass diese Energie einfach verpufft.“ Pavla Jakimtschuk glaubt an die Reformen.

Ein Ausweg aus dem Patt in Kiew ist nicht in Sicht. Nachdem Ende November Präsident Janukowitsch auf Druck von Russland das Assoziierungsabkommen Östliche Partnerschaft mit der EU überraschend abgelehnt hatte, gingen immer wieder Hunderttausende auf die Straßen. Viele wurden verletzt, gefoltert und getötet. Zugeständnisse von Janukowitsch, wie ein Amnestiegesetz bei Räumung der besetzten Regierungs­gebäude und des Maidan, lehnt die Opposition ab. Sie fordert den kompletten Neustart der Ukraine – ohne Janukowitsch, ohne das korrupte Geklüngel aus Politikern und Oligarchen. Ein immenser Kraftakt in einem Land, das in einer tiefen Krise steckt und in dem auch die fraktionierte Opposition bei vielen Misstrauen weckt.

Uneins zeigen sich auch die europäischen Spitzenpolitiker. Bisher haben sie keine gemeinsame Strategie für die Ukraine verabschiedet. In Tschechien herrscht ebenfalls Ratlosigkeit. Präsident Miloš Zeman möchte trotz Druck aus der Bevölkerung den für April angesetzten Prag-Besuch Janukowitschs nicht absagen. Der tschechische Präsident suche den Dialog mit allen Beteiligten, hieß es in einer Mitteilung von der Burg. Premier Sobotka (ČSSD) sprach sich auf einem Visegrád-Gipfel in Budapest für eine besonnene, demokratische Lösung der Situation in der Ukraine aus. Am Rande der Verhandlungen in Brüssel forderte Außenminister Zaorálek (ČSSD) von der EU eine klare Verurteilung der Menschenrechtsverletzungen. Zugleich sagte er jedoch, die Ukrainer müssten ihre Probleme selber lösen.

Dass die politischen Signale aus Tschechien vor allem auf die Stimmung bei den Aktivisten Auswirkung haben, darauf weist die Ukraine-Expertin von Radio Free Europe Natalia Tschurikowa im PZ-Gespräch hin. Sergej Jakimtschuk hat das in Kiew erlebt. Eigens eingerichtete Medien-Stäbe würden in den Zelten auf dem Maidan rund um die Uhr die Nachrichten aus aller Welt auswerten. Die Meldung, die Stadt Prag würde den Besuch Janukowitschs boykottieren, sei dort im Freudentaumel gleich zu einem Boykott seitens der tschechischen Regierung uminterpretiert worden.

Entgegen der eher nüchternen Reaktionen aus der tschechischen Politik zeigt die tschechische Bevölkerung Solidarität mit dem Freiheitskampf der Ukrainer. So käme nach Kanada der größte Anteil an materieller Unterstützung aus Tschechien, heißt es in einem Bericht des Internetportals „ihned.cz“. Die Bürgerrechtsorganisation „Člověk v tísni“ spendete eine halbe Millionen Kronen (etwa 18.000 Euro) für die Behandlung verletzter Aktivisten. Auf dem Altstädter Ring gaben neben ukrainischen Auswanderern auch Tschechen ihre Unterstützung für den „Euromaidan“ kund. Private Sammlungen und Sachspenden werden täglich in Bussen und Zügen nach Kiew gebracht. Auch das Ehepaar Jakimtschuk denkt bereits an die nächste Spendenaktion.

Ukrainische Minderheit in Tschechien
Ende 2011 lebten laut dem Statistikamt knapp 120.000 Ukrainer in Tschechien. Somit war in etwa jeder vierte Einwanderer ukrainischer Herkunft. Jedoch wird die Dunkelziffer als wesentlich höher eingeschätzt. Trotz ihrer vergleichsweise guten Ausbildung sind sie vor allem in schlecht bezahlten Berufen tätig. Die Arbeitsmigranten sind meist männlich und oft über einen längeren Zeitraum in Tschechien tätig. Die ukrainische Minderheit in Tschechien ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Erste Migranten kamen bereits in den zwanziger Jahren in die damalige Tschechoslowakei  – wegen politischer Verfolgung in ihrer Heimat. Eigens wurden für sie ukrainische Bildungs- und Kultureinrichtungen eröffnet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese wieder geschlossen. Die Ukrainer sind in der Tschechischen Republik als nationale Minderheit anerkannt.