Zwei unverrückbare Grundsätze

Zwei unverrückbare Grundsätze

In seinen Erinnerungen blickt Historiker Toman Brod auf eine unmenschliche Zeit zurück

19. 12. 2013 - Text: Volker StrebelText: Volker Strebel; Foto: Pablo Nicoás Taibi Cicare

 

Die hervorragend übersetzten Lebenserinnerungen des 1929 geborenen Prager Historikers Toman Brod bündeln wie durch ein Brennglas die brutalen und widersprüchlichen Jahrzehnte des vergangenen 20. Jahrhunderts in Mitteleuropa. Für die Nachgeborenen der heutigen schnelllebigen Zeit ist es kaum vorstellbar, welchen Höhen und Tiefen eine Biographie wie jene des Toman Brod ausgesetzt war. Umso verdienstvoller wiegt die vorliegende Unternehmung, die mit angemessenem Ernst, aber zuweilen auch hintergründiger Ironie authentische Einblicke in ein außergewöhnliches Leben gewährt.

Toman Brod beginnt seine Erzählung mit den Erinnerungen an seine behütete Kindheit in Prag. Zusammen mit seinem älteren Bruder Hanuš verbrachte er sorglose Jahre in einem bürgerlichen Elternhaus. Die Familie sprach Tschechisch, war wenig religiös, feierte jedoch Feste wie Weihnachten. Dass Brod aus einer jüdischen Familie entstammt, wurde ihm erst ab März 1939 in der Zeit des Protektorats bewusst, als sich die Sondervorschriften für Juden schrittweise verschärften. Die schikanöse Regelungswut umfasste den Zugang zu öffentlichen Parks oder Spielplätzen für Kinder ebenso, wie den Aufenthaltsbereich in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Ab September 1941 wurde das Tragen des „Gelben Sterns“ obligatorisch. Es folgten erste Abtransporte in errichtete Ghettos.

Eindrucksvoll schildert Brod den Mechanismus einer ständigen Hoffnung, an die sich viele klammerten. Dies traf auch auf ihn selbst zu, als er mit Bruder und Mutter nach Theresienstadt deportiert wurde. Danach, im Dezember 1943, gelangte Brod nach Auschwitz-Birkenau. Er hat genug gesehen und erlebt, um den Unterschied zwischen dem von den Nazis als „Vorzeigelager“ geführten Ghetto in Theresienstadt und einem Vernichtungslager zu verstehen. Die Verlegung in das Arbeitslager Märzbachtal in Niederschlesien im Oktober 1944 setzte dem jungen Toman Brod am nachhaltigsten zu: „Es reichten bloß drei Monate in Märzbachtal, um mich in ein Wrack zu verwandeln.“

Hoffnung und Skepsis
Körperlich und seelisch schwer angeschlagen erlebte Brod seine Befreiung. Bald nach seiner Heimkehr nach Prag wandte er sich den Kommunisten zu. Von ihnen versprach er sich, dass sie am konsequentesten eine Wiederholung der schrecklichen Ereignisse verhindern würden.

Es zeichnet diese Erinnerungen aus, dass Brod mit großer Offenheit von seinen Hoffnungen, aber auch von seiner bald einsetzenden Skepsis berichtet. Bereits während der ersten Jahre in der sozialistischen Tschechoslowakei zweifelte er, ob er denn „ein richtiger Kommunist“ sei.

„Kommunistischer Morast“
Wenn kritikloser Kadavergehorsam darunter zu verstehen ist, dann hatte er bereits damals als promovierter Historiker im militärgeschichtlichen Institut innerlich die Gefolgschaft aufgegeben. Konflikte mit dogmatischen Parteileuten folgten. Brod hatte die Reformbestrebungen der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei unter Alexander Dubček im Jahr 1968 zwar begrüßt, war aber bereits stark desillusioniert. Dass die Reformkommunisten nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ im August 1968 einknickten, hatte ihn nicht mehr verwundert. Was war schon vom „kommunistischen Morast“ zu erwarten?

Brod teilte das Schicksal mit tausenden von marginalisierten Intellektuellen, die ihre Berufe aufgeben mussten und nur mit Mühe ihre Familien ernähren konnten. Folgerichtig gehörte er zu den ersten, die mit ihrer Unterschrift für die Bürgerrechtsbewegung Charta 77 einstanden. Es folgten die bleiernen Jahre der „Normalisierung“ mit zum Teil absurden Formen gesellschaftlicher Ausgrenzung. Brod nutzte die Zeit, um sich als Zeitzeuge und Historiker eigene Gedanken über gesellschaftliche Tabus wie den Antisemitismus in Böhmen, die Deutschen und auch ihre Vertreibung nach dem Krieg zu machen.

Die Länder des „real existierenden Sozialismus“ hatten sich als die legitimen Erben des Widerstandes gegen die nationalsozialistische Diktatur verstanden. Als Historiker rückt Brod die häufig anzufindende Formulierung vom „faschistischen Deutschland“ zurecht, indem er auf die spezifische Form des Nationalsozialismus verweist, die es nur in Deutschland gegeben hatte: „Wäre Deutschland faschistisch gewesen, hätte es keinen Holocaust gegeben“.

An derlei Stellungnahmen lässt sich das gesellschaftspolitische Temperament Brods erkennen, das ihn im Laufe seines langen Lebens immer wieder tapfer das Wort ergreifen ließ, wenngleich schmerzhafte Sanktionen absehbar waren.

Am Ende seines Buches zieht Brod in einem kurzen Ausblick noch einmal Bilanz über die jüngsten Entwicklungen in seinem Land. Kritisch und engagiert knöpft er sich Fehlentwicklungen wie auch haarsträubende Missstände vor. Unnachsichtig geißelt er unter anderem die allgemeine Korruption, Verschwendung von öffentlichen Geldern und ärgert sich über „die überbordende Vulgarität der Medien, die allerdings auch die Öffentlichkeit übernommen hat“. Dennoch weiß er die neuen Möglichkeiten eines Lebens in Freiheit entschieden zu würdigen.

Vor dem Hintergrund seiner brutalen Erlebnisse und einer atemberaubenden Lebenserfahrung gerinnen zwei Merksätze Brods zu einer Art zivilgesellschaftlichem Testament: „Von meinem Golgotha unter den Nationalsozialisten sind mir zwei unverrückbare Grundsätze im Sinn geblieben, die ich zu meiner Überzeugung gemacht habe: die Menschen in meiner Umgebung nicht etwa nach Religion, Nationalität oder Hautfarbe einzuteilen, sondern anständige Menschen von Übeltätern zu unterscheiden. Und zu protestieren, wenn Unschuldige von Bosheit und Sanktionen getroffen werden“.

Toman Brod: „Gut, dass man nicht weiß, was kommt“ (aus dem Tschechischen von Gudrun Heißig und Anna Knechtel). Herget Verlag, Weßling 2013, 420 Seiten, 29,50 Euro, ISBN 978-3-9810192-5-4