Zwei Tage Mai im November

Zwei Tage Mai im November

Vor 180 Jahren starb der Dichter Karel Hynek Mácha – wenige Tage vor seiner geplanten Hochzeit

10. 11. 2016 - Text: Corinna AntonText: ca/čtk; Fotos: APZ

Spätabend war’s – es war der erste Mai. Diese Zeilen kann wohl jeder Tscheche auswendig aufsagen. Schon in der Schule lernt man hierzulande das Gedicht „Máj“ von Karel Hynek Mácha. Der gebürtige Prager starb vor 180 Jahren, am 6. November 1836. Zehn Tage später hätte er seinen 26. Geburtstag gefeiert. Bis heute wird er verehrt – und inspiriert noch immer Schriftsteller genauso wie Wanderer und Pilger.

Die Britin Bernie Higgins lebt seit 1991 in Prag. Aus ihrer Heimat brachte sie 1999 das Festival „Tag der Poesie“ nach Tschechien, das zur Erinnerung an Máchas Geburtstag immer um den 16. November stattfindet. In diesem Jahr beteiligen sich 61 Städte und tschechische sowie ausländische Autoren. Wer in den nächsten Tagen in einem Krankenhaus, in einer Arztpraxis oder auf einem Amt sitzt und wartet, bis er an die Reihe kommt, wird möglicherweise mit einem Gedicht überrascht. Nachdem die Organisatoren des Festivals im vergangenen Jahr unter dem Motto „Poesie für Reisende“ Gedichte in die Prager Metro brachten, versprechen sie nun „Poesie für Wartende“.

Máchas Zeichnung der Hasenburg bei Lovosice (um 1833)Máchas Zeichnung der Hasenburg bei Lovosice (um 1833)

Mácha wird aber nicht nur als Dichter verehrt, sondern auch als Spaziergänger und Vagabund. Er hatte damit alles, was er als romantischer Autor haben sollte: „Rasende Leidenschaft und zugleich Empfindsamkeit, Tiefe, Wehmut, Fantasie und einen Sinn für das Geheimnisvolle“, so die Kulturwissenschaftlerin Soňa Fraňková. Besonders die dunklen Seiten der Natur und der menschlichen Seele hätten den Dichter fasziniert.

An Mácha als Wanderer erinnert heute zum Beispiel der Verein „Pilgrim“. Immer am Abend vor dem ersten Mai ruft er zu einer 37 Kilometer langen Tour von Mělník auf die Burg Bezděz, wo Informationstafeln und in Stein gemeißelte Verse vom Aufenthalt des Dichters dort zeugen.

Von Mácha weiß man, dass er ein geübter Wanderer war. Bis zu 50 Kilometer am Tag sollen kein Problem für ihn gewesen sein. Jiří Zemánek, der seit mehr als zehn Jahren die Touren auf den Spuren des Dichters organisiert, unterscheidet das Pilgern vom gewöhnlichen Wandern so: Ersteres sei „ein Versuch, sich mit der Landschaft zu vereinigen, und in ihr zu sich selbst zu finden“.

Besonders gut gefiel es Mácha zum Beispiel in der Region Kokořín und an der Sázava. Die Liste der Burgen, die er besichtigte, soll 90 Bauwerke umfassen. Allerdings weiß der Arzt und Bierkenner Zdeněk Susa aus Máchas Briefen auch, dass der Dichter unterwegs manchmal geschwankt haben muss. Auf dem Weg ins Riesengebirge zum Beispiel besuchte er doppelt so viele Brauereien wie Burgen.

Ein einziges Buch
Mácha war Sohn eines Müllersgehilfen und interessierte sich schon als Schüler für Poesie. Sein erstes Gedicht veröffentlichte er mit 21. Außerdem spielte er Thea­ter und malte, vor allem Burgen und Ruinen. Im Jahr 1836 beendete er sein Jurastudium und begann ein Praktikum in einer Rechtsanwaltskanzlei in Litoměřice. Im selben Jahr gab er das Gedicht „Máj“ im Selbstverlag heraus.

In seinem kurzen Leben veröffentlichte Mácha nur ein einziges Buch. Das war aber so erfolgreich wie kaum ein anderes gedrucktes tschechisches Werk. Seit dem Tod des Dichters ist es hierzulande in fast 300 Auflagen  erschienen. Außerdem wurde es etwa 50 Mal in verschiedenen Fremdsprachen herausgegeben.

Viele seiner Zeitgenossen verstanden Mácha zu dessen Lebzeiten nicht. Richtig geschätzt wurde er erst etwa 20 Jahre nach seinem Tod. Gestorben ist Mácha vermutlich an einer Unterkühlung, die er sich bei Löscharbeiten bei einem Großbrand in Litoměřice zugezogen hatte. Dort wurde der Dichter zunächst auch begraben, ausgerechnet an dem Tag, an dem er seine Geliebte Lori Šomková heiraten wollte – für einen romantischen Dichter könnte man es sich kaum passender vorstellen. Seit 7. Mai 1939 liegt er auf dem Ehrenfriedhof auf dem Vyšehrad.  

Das Grab des Dichters auf dem Vyšehrader Friedhof