
Zu jung, zu wild, zu ehrgeizig
Seit fünf Jahren erlebt Wolfsburg ein kleines Eishockey-Wunder. Einen großen Anteil daran hat Pavel Gross, der trotz beeindruckender Erfolge jeden Tag um seinen Job kämpft
15. 4. 2015 - Text: Klaus Hanisch, Foto: EHC Grizzlys Wolfsburg
So etwas hat selbst Pavel Gross (46) in seiner langen Eishockey-Karriere noch nicht erlebt: In drei der vier Play-offs um die deutsche Meisterschaft führten seine Wolfsburger Grizzly Adams schon mit 3:0 – und verloren am Ende alle vier Partien gegen Mannheim. Trotzdem bleibt Wolfsburg der Trost, zum dritten Mal in Folge das Halbfinale (und 2011 sogar das Endspiel) erreicht zu haben. Der Vater dieses Erfolges wurde in Ústí nad Labem geboren. Unter seiner Regie mischt der Klub aus Niedersachsen seit 2010 das über Jahrzehnte von Vereinen aus Bayern, dem Rheinland, Berlin und Mannheim dominierte deutsche Eishockey auf.
Dreimal mit 3:0 vorn gelegen und am Ende doch ausgeschieden. Bei einem gebürtigen Tschechen sei die Frage erlaubt: Wie viel Pilsner braucht man, um diesen Schock zu verdauen?
Pavel Gross: Den kann man nicht einmal mit Pilsner verdauen. Wir waren aber auch nicht clever genug, haben uns dumme Strafzeiten eingefangen, und das hat eine so gute Mannschaft wie Mannheim ausgenutzt. Wir haben sogar drei Tore beim Überzahlspiel fünf gegen drei bekommen. Wir lernen daraus, dass man in Play-offs mit viel mehr Disziplin spielen muss.
Gleichwohl bescheren Sie Wolfsburg seit fünf Jahren ein kleines Eishockey-Wunder. Experten loben, dass Sie sehr schnelles Eishockey spielen lassen und auch mit psychologischen Tricks arbeiten.
Gross: Psychologische Tricks? Weiß ich nicht. Da muss man die Mannschaft fragen. Ich mache in jedem Fall nichts Illegales …
Was ist also Ihr Erfolgsgeheimnis?
Gross: Heute gibt es keine Geheimnisse mehr im professionellen Eishockey. Es geht um die tägliche Arbeit, also nicht damit zufrieden zu sein, wenn es gut läuft und die Zeiten zu verkürzen, in denen es schlecht läuft. Ich weiß nicht, was wir besser machen als die Konkurrenz. Oft sind es nur Kleinigkeiten, manchmal hat man auch einfach mehr Glück. Wir sind nicht die Mannschaft, die das meiste Geld hat, sondern in dieser Hinsicht nur die Nummer acht in der Liga. Trotzdem wollen wir immer besser abschneiden, als unser Etat ist.
Konkret: Wie sehr hilft Škoda dabei, dass Eishockey nun in Wolfsburg so aufblüht – ist die Unterstützung vergleichbar mit der von VW für den Fußball-Bundesligisten VfL?
Gross: Wir müssen ehrlich sein: Ohne Škoda und VW wäre es für uns nicht möglich, in der ersten Liga zu spielen. Aber klar, wir wollen immer besser werden und wissen, dass wir dafür auch andere Sponsoren brauchen. Wir spielen erst etwa neun Jahre oben mit, davon etwa sieben Jahre weit oben. Und die Tradition ist hier nicht so entwickelt wie in Köln, Düsseldorf oder Mannheim.
Sie kennen das Eishockey in beiden Ländern so gut wie kaum ein anderer. Worin sehen Sie die wesentlichen Unterschiede zwischen Deutschland und Tschechien?
Gross: In Deutschland ist Fußball die Nummer eins, dann kommt lange nichts – und zwar sehr lange. Erst dann zählen andere Sportarten, je nachdem, wie gut eine Mannschaft oder ein Sportler darin ist. Das deutsche Eishockey hat in den letzten Jahren gute Besucherzahlen erzielt, in Mannheim, Berlin oder Köln kommen bis zu 17.000 Zuschauer in die Hallen. In Tschechien sind die Leute gespalten: Eine Hälfte ist für Fußball, die andere für Eishockey. Wenn dort in ein paar Tagen die WM stattfindet, dann sind das Feiertage, auf die sich beinahe jeder freut. Überall wird es Public Viewing geben. Wenn die WM 2017 in Deutschland stattfindet, werden das vielleicht zehn Prozent der Bevölkerung wissen. In Tschechien weiß so etwas jeder.
Wieso gelingt es dem kleinen Land, seit Jahrzehnten immer wieder so viele erstklassige Spieler hervorzubringen?
Gross: Das beginnt schon bei der Unterstützung der jüngsten Teams im Kinder- und Jugendbereich. Vor allem, weil sie sehr gute Trainer haben. Ehemalige Spieler werden dort zu Trainern. Das ist in Deutschland nicht möglich, hier verdient man als Jugendtrainer vielleicht 300 oder 400 Euro. In Tschechien gibt es viele Nachwuchstrainer, die davon leben können. Und sie können Jungs so weit bringen, dass sie irgendwann professionelle Eishockeyspieler werden. Von klein auf ist alles geregelt, schon in den Jugendbereichen herrscht große Konkurrenz. Es gibt eine Menge Spieler, und aus 100 Talenten lässt sich eher ein Superstar finden als in Deutschland, wo es vielleicht 20 Talente sind. Allerdings jammern tschechische Trainer mittlerweile auch, dass es bei ihnen immer weniger Nachwuchs gibt. Und wer nach oben kommt, hat nicht mehr die Qualität wie früher. Auch tschechischen Kindern sind Computer und Playstation jetzt oft wichtiger als Eishockey. Doch in Tschechien heult man immer noch auf sehr hohem Niveau, kein Vergleich zu Deutschland.
Sie spielten in den späten Achtzigern für Sparta Prag – zur gleichen Zeit wie Jaromír Jágr für Kladno, Robert Reichel für Litvínov oder Vladimír Růžička für Trenčín. Haben Sie damals geahnt, dass dies eine „goldene Generation“ wird?
Gross: Eigentlich nicht, obwohl es eine sehr, sehr gute Liga war, weil damals noch kein Spieler ins Ausland gehen durfte. Bis auf wenige Ausnahmen, die in Holland, Deutschland oder Norwegen spielten. Die Besten waren jedoch in der heimischen Liga, und trotzdem dachte ich nicht, dass sich die Reichels oder Jágrs zu solch einer Generation zusammenfinden. Sie sind zwei, drei Jahre jünger als ich, aber natürlich habe ich gesehen, dass das tolle Eishockeyspieler sind und gedacht: Wow, da wächst etwas heran.
Auch Sie waren auf dem Sprung in die NHL, nachdem die New York Islanders Rechte an Ihnen erwarben. Doch der Wechsel kam nicht zustande. Ist für Sie damals ein Traum geplatzt?
Gross: Nein, es lag an mir selbst. Ich war mir nicht sicher, ob ich dorthin gehen sollte, obwohl es schon einen Vorvertrag gab. Ich war nicht unbedingt der Spieler-Typ für die NHL. Ich wog nur 85 und nicht 100 Kilo, war ein technischer Spieler und keiner, der nur die Bande hin und her gelaufen ist und viel gecheckt hat. Im Nachhinein könnte man sich vorwerfen, dass man es nicht probiert hat. Aber meine Entscheidung von damals habe ich nie bereut.
Stattdessen gingen Sie 1990 nach Deutschland. Warum ausgerechnet Deutschland – und wieso bis heute?
Gross: Ich wollte damals weg aus dem Land, da kam ein Angebot aus Freiburg. Dort suchte ein Eishockey-Funktionär nach tschechischen Spielern, die deutsche Vorfahren hatten. Mein Vater ist Deutscher, er heißt Dietmar Gross – wirklich kein tschechischer Name. Bei den Großeltern wurde zuhause noch Deutsch gesprochen, was später verboten war. Deshalb konnte ich leider kein Wort, als ich nach Deutschland ging. Ich bekam schnell die deutsche Staatsangehörigkeit und das Land wurde sofort meine zweite Heimat, die Leute haben uns gut aufgenommen, meiner Frau gefällt es gut. Meine beiden Töchter wurden hier geboren, eine in Freiburg und die andere in Mannheim. Daher habe ich gleich nach der aktiven Zeit auch weiter an einer Trainer-Karriere in Deutschland gearbeitet.
Sie haben jedoch drei Länderspiele für Tschechien absolviert und keines für Deutschland, trotz Ihrer langen Karriere hier.
Gross: Ich hatte für die Tschechen bereits bei einer Junioren-Weltmeisterschaft gespielt. Danach durfte man damals nicht mehr für ein anderes Land bei einer WM antreten.
Jetzt steht die WM in Ihrem Geburtsland an. Werden Sie nach Prag und Ostrava fahren?
Gross: Nein. Ich war letztes Jahr in Minsk dabei. In Tschechien wird es sicher schön werden, aber diesmal sind mir einfach zu viele Leute dort. Vielleicht werde ich mir ein paar Spiele im Fernsehen ansehen.
Kann man als Vereinstrainer etwas bei einer WM lernen?
Gross: Hundertprozentig! Aus jedem Spiel kann man etwas lernen – wenn man will. Ich lerne jeden Tag. Vor wenigen Tagen habe ich mir das österreichische Finale zwischen Salzburg und Wien im Fernsehen angesehen, und selbst da konnte ich was lernen.
Ist Tschechien bei der WM schon wegen des Heimvorteils ein Favorit?
Gross: Auf jeden Fall. Aber man weiß nie, mit welcher Mannschaft die Amerikaner und Kanadier anreisen. Manchmal ist eine WM für sie nur ein Ausflug mit ihren Familien, um das schöne Prag zu sehen. Manchmal nehmen sie es ernst und geben Gas, dann sind sie natürlich gefährlich. Außerdem sind Schweden, Russland oder Finnland immer für eine Überraschung gut. Auch die Slowaken und die Schweiz sind nicht zu unterschätzen.
Bei einer WM in Prag denken deutsche Nostalgiker gerne an 1978 zurück, als Spieler wie Erich Kühnhackl und Alois Schloder dem deutschen Eishockey einen nie gekannten Popularitätsschub verschafften. Wo landet Deutschland diesmal?
Gross: Ich würde ihnen das Viertelfinale wünschen. Aber es gab viele Absagen von Spielern. Daher muss man ehrlich sein und sagen, wenn sie nicht absteigen, wäre es diesmal schon ein Erfolg.
Würde Sie ein Job im deutschen Nationalteam reizen?
Gross: Solch eine Anfrage gab es schon vor zwei Jahren. Aber das in einer Doppelfunktion als Trainer sowohl des Nationalteams als auch des Vereins auszuüben, ist nicht möglich. Um Trainer einer Nationalmannschaft zu werden, bin ich jedoch zu jung, zu wild und zu ehrgeizig. Ich brauche einfach die tägliche Arbeit.
Auch keine Aufgabe im tschechischen Nationalteam oder in der dortigen Liga?
Gross: Darüber habe ich noch nie richtig nachgedacht. Es gab auch bisher keine Nachfragen. Ich bin aber zufrieden, denn ich weiß, dass es nicht einfach ist, als Trainer in die DEL zu kommen. Diese Liga wird zu einem großen Teil von Nordamerikanern beherrscht, sowohl auf dem Eis als auch im Management. Ich arbeite jeden Tag und versuche mich zu verbessern, damit ich meinen Job behalten kann.
Das Gespräch führte Klaus Hanisch.
ZUR PERSON
Zwischen 1987 und 1990 spielte Pavel Gross für den HC Sparta Prag in der ersten tschechoslowakischen Liga, damals eine der besten in der Welt. Mit Sparta wurde er 1990 Meister. Anschließend wechselte Gross zum EHC Freiburg und 1993 zum Mannheimer ERC. Mit den Adlern gewann Gross zwischen 1996 und 1999 dreimal die Meisterschaft. Ab 1999 stand der Center weitere fünf Jahre für die Berlin Capitals auf dem Eis. Die damalige Tschechoslowakei berief ihn zu Auswahlspielen in die U18 und in die U20, für Tschechien absolvierte er später drei Länderspiele. Nach Stationen als Co-Trainer in Frankfurt und bei Wolfsburg ist Pavel Gross seit August 2010 Cheftrainer der Grizzly Adams.
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