Zäune, Hanf und Menschlichkeit

Zäune, Hanf und Menschlichkeit

Politiker und Veteranen feiern den Tag des Sieges – die Bürger bewegt etwas anderes

11. 5. 2016 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Foto: APZ

Mehr als 5.000 Menschen haben am Wochenende in Prag für die Legalisierung von Marihuana demonstriert. In Tschechien leben nur noch etwa 700 Veteranen des Zweiten Weltkriegs. Und die Polizei registrierte im vergangenen Jahr mehr als 300 extremistische Aktionen. Drei Meldungen vom vergangenen Wochenende, unabhängig voneinander veröffentlicht von der Tschechischen Nachrichtenagentur: Man muss ein Anhänger von Verschwörungstheorien sein, um einen Zusammenhang zu konstruieren – oder?

Zunächst die Veteranen. Die feierten am 8. Mai mit Bürgern und Politikern den Tag des Sieges. Während die Zeitzeugen immer weniger werden, liegt es an den Nachgeborenen, das Gedenken zu gestalten und das Vergange­ne zu interpretieren. Wie unterschiedlich man das machen kann, demonstrierten der Premier und der Präsident. Bohuslav Sobotka (ČSSD) warnte vor politischen Ideologien, die sich auf das Denken in den Kategorien „wir“ und „die anderen“ gründen. „Pauschale Urteile und die Verbreitung von Vorurteilen auf Grundlage von Geschlecht, Religion, politischer Anschauung, sexueller Orientierung oder Herkunft erzeugen am Ende nur Unheil und Gewalt.“ Miloš Zeman dagegen forderte gemeinsam mit dem russischen Botschafter in Tschechien eine „breite Koalition gegen den Terrorismus“. Er warnte vor einem „Vernichtungs­krieg“ und davor, dass sich die Geschichte des Zweiten Weltkriegs wiederholen könne, wenn auch auf andere Art. Diesmal gehe es nicht um territoriale oder wirtschaftliche Interessen, sondern um die „Liquidierung der Feinde auf Grundlage der Religion“, sagte Zeman. Er sprach damit genau in den Freund-Feind-Kategorien, die Sobotka ablehnte – und mit denen auch die Anhänger der rechtsextremen Partei Národní demokracie arbeiten. Sie stellten am Wochenende einen symbolischen Zaun gegen Migranten an der deutsch-tschechischen Grenze auf.

Das führt zum aktuellen Extre­mismusbericht, aus dem hervorgeht, dass die Národní demokracie, die mit anderen migrationsfeindlichen Gruppen zusammenarbeitet, an Zustimmung gewinnt. Hauptthema aller politisch motivierten extremistischen Gruppierungen war demnach im vergangenen Jahr die Zuwanderung. Diejenigen, die sich den Fremdenfeinden entgegenstellen, machten am Wochenende auch auf sich aufmerksam. In Prag versammelten sich einige Hunderte, um ein Zeichen gegen wachsenden Antisemitismus und Rassismus in Tschechien zu setzen. Bemerkens­wert selbstkritische Worte fand Václav Láska, der für die Grünen und die Christdemokraten im Senat sitzt. Er entschuldigte sich für die aufgeheizte Atmosphäre: „Die Menschen haben aufgehört, sich für ihren Hass zu schämen. Schuld daran sind wir Politiker. Wir haben der Gesellschaft in unseren Debatten signalisiert, dass grobes Handeln normal ist.“

Und die Legalisierung von Marihuana? Die hängt damit nicht direkt zusammen. Aber es stellt sich die Frage, warum mehr als 5.000 Menschen auf die Straße gehen, damit sie legal Hanftee trinken dürfen, während sich höchstens ein paar Hundert versammeln, um für Solidarität, Menschlichkeit und Toleranz zu demonstrieren. Die Bürger müssten die demokratischen Werte aktiv verteidigen, hatte der Premier zum Tag des Sieges gesagt. Für den Erfolg der National­sozialisten seien „nicht nur die Gleichgültigkeit gegenüber der Verfolgung der anderen“ verantwortlich gewesen, sondern auch „die Unfähigkeit der Demokraten, sich den damaligen Nazisten gemeinsam entgegenzustellen“. Es könnte sein, dass es wichtigere Werte gibt als legalen Hanfkonsum. Vielleicht kann darüber mal jemand nachdenken.