Wie ein Bollwerk gegen das Nichts

Wie ein Bollwerk gegen das Nichts

Schriftsteller Catalin Dorian Florescu über das Schreiben, den Menschen und die Magie des Ostens

29. 5. 2013 - Text: Franziska NeudertText: Franziska Neudert; Foto: Pia Grimbühler

 

„In jedem Sturm steckt ein Teufel.“ Mit einem Donnerschlag beginnt der jüngste Roman von Catalin Dorian Florescu „Jacob beschließt zu lieben“. Das Familienepos nimmt seinen Anfang mit dem rätselhaften Erscheinen eines Fremden, der genauso plötzlich in einem Dorf im rumänischen Banat aufschlägt, wie das Gewitter, das er mit sich bringt.

Wie ein Donnerschlag änderte sich auch das Leben Florescus, als er 1982 mit seinen Eltern aus dem Rumänien Ceauşescus floh. Innerhalb von zwei Minuten hätten sie damals entschieden, im Westen zu bleiben. Zwei Minuten, die über ein ganzes Leben entschieden. Seitdem – seit über 30 Jahren – lebt Florescu in Zürich. Sicher und glücklich lebt er dort, wie er selbst sagt. „Wer kann schon den Luxus genießen, von seiner Leidenschaft zu leben?“ Mit leuchtenden Augen berichtet der Schriftsteller bei der Präsentation der tschechischen Übersetzung seines Romans auf der Prager Buchmesse „Svět knihy“ von seiner großen Passion, dem Schreiben. Seit seinem Romandebüt „Wunderzeit“im Jahr 2001 wird der Autor als erzählerisches Ausnahmetalent gefeiert. Er erhielt zahlreiche Preise, darunter 2002 den Adelbert-von-Chamisso-Preis, der jährlich an Schriftsteller nichtdeutscher Sprachherkunft verliehen wird. Mittlerweile hat er fünf Romane veröffentlicht, ein weiterer ist in Arbeit. „In Rumänien wäre das nicht möglich gewesen.“ Den Stolz über sein Werk kann man Florescu regelrecht von den Lippen ablesen, als er den Zuhörern von seinem Leben erzählt. So klar und fokussiert, wie der Autor schreibt, so selbstbewusst und bestimmt ist jedes seiner Worte.

1967 kommt Florescu als Sohn eins Ingenieurs und einer Violonistin in Timișoara im multiethnischen Banat zur Welt. Im Alter von neun Jahren verlässt er mit seinem Vater das Land, zunächst nach Rom, dann weiter nach New York. In den USA aber wurde der Vater nicht glücklich. „Weil die Stadt zu rau war und es mit dem amerikanischen Traum nicht so funktionierte, wie er gedacht hatte“, erzählt Florescu. Also gingen die beiden zurück ins Banat, fünf Jahre später versuchten sie ihr Glück erneut. Diesmal blieben sie für immer.

In Zürich ging Florescu zur Schule, studierte Psychologie und Psychopathologie an der Universität. Als Psychotherapeut arbeitete er schließlich sechs Jahre in einer Rehabilitationsklinik für Drogenabhängige. Zum Schreiben fand Florescu mit 18 Jahren, vermutlich nachdem er die deutschen Romantiker gelesen hatte und aus „lauter Begeisterung dann selbst wie im Rausch Reime produzierte“. Aber diese seine Erklärung ist ihm zu oberflächlich. Letztlich verberge sich dahinter ein inneres Feuer, das Bedürfnis, der Welt etwas erzählen zu wollen. Zunächst schrieb Florescu Gedichte und Kurzgeschichten. Rückblickend hält er diese ersten Entwürfe für unreif. Er brauchte eine „Inkubationszeit“, wie er selbst sagt. So schrieb Florescu über zehn Jahre hinweg ohne öffentliches Echo, bis er von einem Schweizer Schriftsteller entdeckt wurde.

Der Frage nach seiner Heimat weicht Florescu aus. Er möchte vermeiden, im weiten Feld der Flüchtlingsmigration in eine Schublade gesteckt zu werden. Nach gut 30 Jahren in Zürich bezeichnet er sich selbst als gestandenen Schweizer Autor. Denn die Frage nach der Heimat, nach den Wurzeln ist viel komplexer als die nach der bloßen Sprach- oder Staatszugehörigkeit. „Was ist das für ein armer Mensch, der nur in seiner Sprache lebt?“, begegnet Florescu entschieden jedem Versuch, ihm eine Auskunft zu seiner Heimat zu entlocken. „Da gehört viel mehr dazu. Es ist die deutsche Sprache, es sind meine Eltern, meine Partnerin, der rumänische Humor, meine Freunde, die Zuverlässigkeit der Schweizer, das Verspielte der Rumänen, das Ego der rumänischen Männer, die Bescheidenheit der Schweizer – die Summe vieler Aspekte eben.“ Am Ende begreift sich Florescu als einen europäischen Schriftsteller deutscher Sprache, der in der Schweiz lebt und in Rumänien zur Welt kam.

Sein Geburtsland trägt er immer bei sich. „Der Knoblauch, die Karpaten, die Volkslieder und Mythen, das Gefühl der weiten trockenen Ebenen im Banat, die Dörfer, der Geruch der Wohnung meiner Großeltern, wenn ich am Sonntag zu ihnen essen ging, die erste Liebe, die Erinnerung an die Schule, die Freunde und die Sprache. Das ist alles geblieben. Das ist meine Nabelschnur, ohne die ich gar nicht so schreiben könnte“, bezeugt Florescu. Ohne die Magie des Ostens würde er allenfalls Züricher Kriminalromane verfassen. „Denn den magischen Realismus, den findet man nicht im reichen Zürich, den hole ich mir im Banat.“ In dieser archaischen bäuerlichen Welt spürt er die Legenden und Mythen auf, den Atem und die Poesie, die er für sein Schreiben braucht. Was ihn heute vor allem an Rumänien fasziniert, ist „diese Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“. Was nicht richtig zusammengehört, das existiere dort nebeneinander. Die endlosen Getreidefelder treffen auf knallbunte Industriegebäude, durch die Straßen der alten Plattenbausiedlungen rasen moderne Limousinen. „Zwar unterscheidet sich die Stadt dort nicht großartig von einer westeuropäischen, aber schon wenn man nur zehn Kilometer weiterfährt, befindet man sich in einer vollkommen anderen Welt.“

In diesem Spannungsfeld zwischen Modernität und Rückständigkeit entstehen die Romane Florescus. Sie seien wie eine Referenz an Bohumil Hrabal. Die sonderbaren Gestalten, die dessen Bücher bevölkern – die dumpfen Männer und die schwatzenden Frauen, die Säufer und die Alten – die finde man ebenso in seinen Geschichten. Hrabals „Das Städtchen, in dem die Zeit stehenblieb“ könnte genauso gut das Dorf sein, aus dem Jacob kommt. Für „Jacob beschließt zu lieben“ erhielt Florescu 2011 den Schweizer Buchpreis. Der Roman erzählt die tragische Geschichte des kränklichen Jacob, der von seinem mächtigen und skrupellosen Vater verachtet und schließlich an die Russen verraten wird, als diese nach Kriegsende 1945 durch das Banat stürmen. Mehrfach steht Jacob in seinem Leben an der Schwelle zum Tod; was ihn am Leben hält, ist seine unbändige Kraft zu lieben. Es ist eine Geschichte über den Abgrund im Menschen, aber auch über seine Fähigkeit zum Guten und Wunderbaren.

Was traut Catalin Dorian Florescu der Menschheit – deren Grausamkeit sich über die Zeiten hinweg nicht gemindert zu haben scheint – eigentlich noch zu? „Der Mensch ist tatsächlich fähig zum Besten und zum Schlimmsten. Was wir können, hat sich beschleunigt und ist viel vernichtender als früher. Viel Zeit haben wir nicht mehr, ich bin pessimistisch. Und doch gibt es die Kräfte des Guten“, so Florescu. Zu diesen zählt er auch das geschriebene Wort: „Wir Schriftsteller produzieren so viele Worte, wie ein Bollwerk gegen den Tod. Wir schaffen eine Mauer vor dem Nichts, vor dem Schweigen.“ An einen Gott glaubt Florescu nicht. Zwar schließe er ihn nicht aus und wünsche ihn sich, relevant aber sei die Frage nicht wirklich. Viel wirklicher ist die Selbstverantwortung, sind die Folgen des eigenen Handelns. Aber auch die Möglichkeit des Nichts und die Einsamkeit müsse man in Kauf nehmen. „Wenn man akzeptiert, dass womöglich nichts, was wir tun, am Ende Konsequenzen hat und trotzdem human ist, dann findet man Gott vielleicht doch.“ Für sich glaubt Florescu, dass er noch ein Buch zu schreiben hat. „Der Weltuntergang muss sich also noch ein bisschen gedulden.“

Catalin Dorian Florescu „Jacob beschließt zu lieben“. München 2011. DTV. 402 Seiten. 9,90 Euro, ISBN 978-3-423-14180-2

„Jacob se odhodlá milovat“. Tschechische Übersetzung von Jitka Nešporová. Prag 2013. Labyrinth-Verlag. 328 Seiten. 325 CZK, ISBN 978-80-87260-56-2