Was meins ist, ist auch deins

Was meins ist, ist auch deins

Sharing Economy: ein Modell, das die Welt verändern soll und schon jetzt an seine Grenzen stößt. Das Prinzip Carsharing interessiert inzwischen auch Strategen am Verkehrsministerium

25. 7. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba, Foto: Vojtěch Bojda

 

Das Prinzip ist einfach und vertraut: Benutzen statt besitzen, teilen statt kaufen. Und trotzdem: Was altbekannt klingt, soll weltweit Wirtschaft und Gesellschaft umkrempeln und wird als „Megatrend“ gefeiert. Entsprechend viele englische Bezeichnungen trägt das Phänomen: Collaborative Consumption, Peer-to-Peer-Rental oder auch Sharing Economy. Im März stand auch die deutsche Computermesse Cebit unter dem Motto der Ökonomie des Teilens. Die erstreckt sich inzwischen auf so gut wie alles: Wohnungen, Heckenscheren, Gemüsegärten, Autos, Fahrräder, Bücher, Parkplätze, Küchengeräte.

Entstanden sind solche Communities in den USA, viele um das Jahr 2008. Das kommt nicht von ungefähr. Die globale Wirtschaftskrise hat die Menschen sparsam und erfinderisch gemacht. Eine wichtige Komponente des kollaborativen Konsums stand auch schon bereit: soziale Netzwerke. Das Internet bringt den größten Unterschied zum Klopfen an Nachbars Tür, um freundlich nach der Bohrmaschine zu fragen. Soziale Netzwerke erlauben es, gezielt nach den Dingen zu suchen, die man gerade braucht, jedoch nicht selber kaufen möchte. „95 Prozent der Zeit, in der Ihr Dinge besitzt, benutzt Ihr sie nicht“, schreibt Marián Repáň in seinem Blog. Der Slowake ist Gründer der Tausch- und Verleih-Plattform „Odkomunity“. Übersetzt heißt das so viel wie „Von der Community“ und existiert in einer slowakischen und tschechischen Version. Kollaborativer Konsum, nach Repáň und anderen Verfechtern der Sharing Economy ist dieser Trend nicht aufzuhalten und bringt Lösungen für so manch drängendes Problem. „Gemeinsames Benutzen führt zum effektivsten Nutzen von Dingen, indem wir sie mehreren Leuten zur Verfügung stellen“, erklärt der Slowake und verweist auf die Vorteile: weniger Ressourcen und damit weniger Geld werden verbraucht, die Umwelt wird geschont. Ein weiterer Mehrwert der Tauschbörsen ist laut der Autorin des Buches „What’s Mine Is Yours: The Rise of Collaborative Consumption“ Rachel Botsman ein sozialer. Wenn sich Nachbarn zum Beispiel eine Bohrmaschine gemeinsam zulegen, entstehen Gemeinschaften in einer von Individualität und Anonymität geplagten Gesellschaft.

Ideale Lösung

Diese These kann Lenka Fernandez bestätigen. „Inzwischen ist das Übergeben der Autoschlüssel eine familiäre und persönliche Sache geworden“, sagt die Fitnesstrainerin über ihre Erfahrung mit dem ersten tschechischen Carsharing-Dienstleister „Autonapůl“ (zu Deutsch bedeutet der Name so viel wie „Halbes Auto“). Wenn Fernandez gerade ein ganz bestimmtes Modell benötige, lasse sich das meistens einrichten. Zu ihrer Hochzeit am vergangenen Wochenende zum Beispiel. Ein wenig Blumenschmuck auf die Motorhaube und der weiße Kia von „Autonapůl“ war fertig fürs Fest.

Fernandez ist Weltenbummlerin. Ihre Arbeit führt sie mal auf die Malediven, mal in die Vereinigten Arabischen Emirate. Nach Mähren kehrt sie mehrmals im Jahr zurück, um Freunde und Familie zu treffen. „Nachdem mein Auto in letzter Zeit sechsmal abgeschleppt wurde und ich die Nerven für die ständige Suche nach Leihwagen nicht mehr hatte, kam mir Carsharing wie die ideale Lösung für mich vor“, erzählt die frischgebackene Ehefrau.

Laut Stanislav Kutáček, Gründer von „Autonapůl“ (siehe Interview unten), steht Fernandez exemplarisch für die Klientel seines Dienstes. In ihrem Alltag kämen diese Leute mit dem Fahrrad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln zurecht, ein Auto bräuchten sie nur manchmal. Finanziell, so Kutáček lohne sich das „halbe Auto“ für Fahrer, die im Jahr weniger als 10.000 Kilometer zurücklegen. In Brünn teilen sich mehr als 80 Carsharer elf Autos, in Prag kommen auf zwei Gefährte zehn Nutzer und in Liberec gibt es bislang nur ein „halbes Auto“.

Carsharer wie Fernandez hinterlegen eine einmalige Kaution von 5.000 Kronen (rund 190 Euro), zahlen 100 Kronen monatlich (knapp 3,90 Euro) und eine Nutzungsgebühr pro gefahrenen Kilometer. Das soll nicht nur den Geldbeutel von Wenigfahrern schonen, nach der Carsharing-Philosophie soll so auch vor jeder Fahrt gründlich überlegt werden, ob sich eine Fahrt mit dem Auto lohnt. Auch Fernandez tut das, denn es kann schon einmal vorkommen, dass sie vor dem Wochenendausflug 20 Minuten mit der Straßenbahn zurücklegen müsse, bevor sie überhaupt ins Auto steigen kann.

Noch in den Kinderschuhen

Wegen solcher Effekte spitzten auch Städte die Ohren beim Wörtchen Carsharing. Es könnte eine künftige Lösung für zugeparkte Innenstädte und verstopfte Straßen bringen. „Carsharing ist eines der Themen, die wir in Zukunft weiter entwickeln und systematisch unterstützen möchten“, verkündete unlängst Luděk Sosna, Leiter der Abteilung für strategische Entwicklung am Prager Verkehrsministerium. Carsharing taucht auch in der Verkehrsstrategie 2020 des Ministeriums auf. Zudem brüstet sich das Rathaus der Hauptstadt auf seiner Homepage damit, dass es Carsharing nun auch in Prag gibt. Finanzielle Unterstützung – wie es in einer Reihe anderer europäischer Städten der Fall ist – gibt es aber weder vom Staat noch von den Stadtregierungen. Der Carsharing-Dienst, so wie andere Mitbenutzer-Plattformen, finanziert sich weitestgehend aus eigenen Mitteln.

Zu den Dingen, die in Tschechien zum Mitbenutzen angeboten werden, zählen Wochenendhäuser, Fahrräder oder Werkzeuge. Odkomunity-Gründer Repáň erzählt stolz, dass auf seiner Plattform seit kurzem auch ein Bagger zum Mitbenutzen angeboten wird. Er muss aber eingestehen, dass die Ökonomie des Teilens in der Slowakei wie in Tschechien noch in den Kinderschuhen steckt. „Ich denke, dass es schwerer ist, dieses Modell in postsozialistischen Ländern durchzusetzen“, erklärt Repáň. Share Economy, das klinge für die meisten im ehemaligen Ostblock nach dem sozialistischen Modell des Volkseigentums. Aber die Zurückhaltung werde sich legen, da ist sich Repáň sicher. Bei „Odkomunity“ zählt er bislang nur 2.000 Profile.

Für den Markt entdeckt

Besser ergeht es da globalen Netzwerken wie „Airbnb“. Auf dieser Plattform aus den USA können Privatpersonen ihre Wohnungen mit Urlaubern teilen. Wenn gerade ein Zimmer oder die ganze Wohnung frei ist, werden sie einfach untervermietet. Allein im Jahr 2012 fanden über das Netzwerk 21.000 Touristen eine Bleibe in Prag. Tendenz stark steigend.

Auch in der Moldaumetropole verdienen sich so einige Nutzer einen beachtlichen Nebenverdienst über diese Form der Sharing Economy. Und genau hier gerät das idyllische Konzept an seine Grenzen. Der geschätzte Marktwert von „Airbnb“ liegt inzwischen bei 2,5 Milliarden US-Dollar, längst stecken professionelle Anbieter hinter manchen Profilen. Mit der wachsenden User-Zahl werden komplizierte Haftungs-, Rechts- und Steuerfragen aufgeworfen und der ursprüngliche Reiz des authentischen und familiären Austauschs von Mensch zu Mensch geht verloren.

„Wenn neue Märkte auftauchen, versprechen sie oft mehr Demokratisierung als sie letztendlich bringen“, lautet das nüchterne Fazit des Web-2.0-Gurus und Medienexperten Tim O’Reilly. Nichtsdestotrotz: Dass große Investoren, Steuerbehörden und Gesetzgeber sich für die Sharing Economy interessieren, spricht letztendlich für das Potenzial und für die wachsende Bedeutung des Modells.