Von wegen Herdprämie

Von wegen Herdprämie

Das Betreuungsgeld ist in Tschechien weitaus weniger umstritten als in Deutschland. Kindergartenplätze sind jedoch auch hierzulande rar

21. 11. 2012 - Text: n-ostText: Steffen Neumann (n-ost); Foto: Salih Ucar/pixelio.de

 

Während das jüngst von der deutschen Bundesregierung beschlossene Betreuungsgeld umstritten bleibt, gibt es ein solches in Tschechien schon längst. Hierzulande bleiben die meisten Frauen mit ihren Kindern drei Jahre zu Hause und kassieren dafür staatliche Unterstützung. Die Folge: Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren sind rar. Doch dafür gibt es ja die Oma.

Für Veronika Kindlová war von Anfang an klar: Sie wollte zu Hause bleiben, bis ihr Sohn Tomáš zwei Jahre alt ist. Inzwischen kann Tomáš schon einige Monate laufen, und das Sprechen klappt auch immer besser. Seine Mutter kann sich trotzdem nicht vorstellen, ihn jetzt schon in eine Betreuungseinrichtung zu geben. „Das würde mir leid tun, er ist doch noch so klein“, sagt sie. Ein bisschen bedauert sie sogar, nicht drei Jahre zu Hause bleiben zu können. „Ich musste zu Beginn festlegen, ob ich zwei, drei oder vier Jahre Elternzeit nehmen will. Wir entschieden uns für die kürzeste Zeit, da dann das Elterngeld pro Monat höher ist“, so die 35-Jährige. Damals konnte sie nicht ahnen, dass ihr Mann bald darauf eine besser bezahlte Stelle bekommt.

So wie Veronika Kindlová denken in Tschechien die meisten Frauen. Drei Jahre Elternzeit ist völlig normal. Es gibt zwar keine offizielle Statistik. Dafür aber ein nur rudimentäres Betreuungsangebot für Kinder unter drei Jahren. Der Bedarf ist schlicht zu gering. Vor allem aber macht es das für tschechische Verhältnisse großzügige Elterngeld leichter, Kinder bis zum dritten Lebensjahr zu Hause zu betreuen. Seit Januar bekommen Eltern je nach Einkommen maximal 220.000 Tschechische Kronen (ca. 8.800 Euro) zur Verfügung gestellt und können dann selbst entscheiden, wann sie wieder ins Arbeitsleben zurückkehren. Vor dem Elterngeld besteht zudem 28 Wochen Anspruch auf Mutterschutz, in dem 70 Prozent des letzten Gehalts ausbezahlt werden. Dieses System führt aber auch dazu, dass Frauen mit zwei Kindern eine berufliche Auszeit von bis zu sechs Jahren nehmen. Veronika Kindlová findet das nicht dramatisch. „Es gibt wichtigere Dinge als Karriere“, entgegnet sie.

Die Reporterin beim Tschechischen Rundfunk gibt jedoch zu, dass es bei einer so langen Zeit hilfreich ist, sich für den Beruf auf dem Laufenden zu halten. Deshalb produziert sie, seitdem ihr Sohn ein Jahr alt ist, wieder eine kleine Sendung. „Das kostet mich maximal einen Tag in der Woche“, sagt Kindlová. Dafür braucht sie ein intaktes Umfeld, das dank ihrem Mann möglich ist. „Montags ist immer Papa-Tag, da bin ich im Studio, während mein Mann so eine Art Heimbüro hat“, erklärt sie das Abkommen. In Wirklichkeit kümmert er sich um den kleinen Tomáš.

Das ist in Tschechien nicht selbstverständlich. Während Mütter bis zu vier Jahre unkündbar sind, haben Väter keinen Anspruch auf Elternzeit. Kein Wunder, dass nur ein Bruchteil der Väter das ihnen zustehende Elterngeld abruft. Doch ihr Anteil steigt stetig – wenn auch auf niedrigem Niveau. In den letzten zehn Jahren hat er sich mit 1,76 Prozent fast verdoppelt.

Mehr Geburten
Dafür steht ein anderes Familienmitglied anscheinend immer zur Verfügung: die Oma. Auf die „Babička“, wie sie auf Tschechisch heißt, ist quasi von Geburt an Verlass. Sie ist Teil der Lösung des Rätsels, warum es in Tschechien kaum Krippenplätze braucht. Auch Veronika Kindlová wird auf ihre Mutter zurückgreifen, sobald sie wieder arbeiten geht. „Sie ist schon in Rente und wohnt in der Nähe. Sie würde Tomáš zwei Tage die Woche nehmen, den Rest der Zeit will ich versuchen, ihn in einer privaten Krippe in der Nähe des Rundfunks unterzubringen“, plant sie. Und wenn das nicht klappt? Dann muss Oma wohl ganz ran.

Betreuungsplätze sind in Tschechien aber auch für Dreijährige rar. Vor allem in den Städten ist der Mangel groß. Veronika Kindlová betrifft das jedoch nicht. „Wir wohnen auf dem Dorf. In der dortigen Kita haben wir unseren Platz schon sicher“, sagt sie. Am liebsten wäre ihr aber, wenn sie ihren Job in Teilzeit machen könnte. „Das ist in Tschechien bisher unüblich“, so Kindlová.

Den Wirbel in Deutschland um das geplante Betreuungsgeld, das Eltern unterstützen soll, die länger mit den Kindern zu Hause bleiben wollen, kann sie nicht verstehen. „Wenn ich daran denke, dass meine Mutter nur wenige Wochen nach der Geburt schon wieder hätte arbeiten gehen müssen, dann geht es uns heute traumhaft“, findet sie. Auswirkungen auf die Geburtenzahl hat das übrigens nicht. Wie in anderen postkommunistischen Ländern brach diese nach 1989 zunächst ein. Heute liegt Tschechien mit einer Geburtenziffer von 1,5 im europäischen Mittelfeld.

Deutschland: BetreuungsGeld bleibt umstritten
Vor knapp zwei Wochen hat die Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP nach langjährigen und kontrovers geführten Diskussionen die Einführung des sogenannten Betreuungsgeldes beschlossen. Die Alternative zur Kinderkrippe soll ab August 2013 für Kinder zwischen 1 und 3 Jahren gelten. In der von der CSU ausgehenden Initiative heißt es: „Um Wahlfreiheit zu anderen öffentlichen Angeboten und Leistungen zu ermöglichen, wird […] ein Betreuungsgeld in Höhe von 150,- Euro pro Monat […] als Bundesleistung eingeführt.“ Die Opposition will nun Verfassungsklage einreichen. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi rief in der vorigen Woche SPD und Grüne dazu auf, gemeinsam zu klagen, um „einen solchen Rückfall ins 19. Jahrhundert“ zu verhindern. Im Streit um die Kinderbetreuung in Deutschland hat sich nun auch EU-Justizkommissarin Viviane Reding eingeschaltet und den schnellen Ausbau von Kindertagesstätten angemahnt. „Das Betreuungsgeld darf nicht dazu führen, dass die Anstrengungen in diesem Bereich verringert werden“, sagte die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission der „Passauer Neuen Presse“. Deutschland habe riesigen Nachholbedarf bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.