Von Adolf bis Winnetou
Kino

Von Adolf bis Winnetou

„Das Filmfest“ präsentiert über 70 deutschsprachige Filme – neben aktuellen Streifen auch echte Klassiker

16. 10. 2019 - Text: Marcus Hundt, Titelbild: Constantin Filmverleih GmbH (Szene aus „Der Vorname“)

Wie viele deutschsprachige Filme kamen in diesem Jahr in die tschechischen Kinos? Die Antwort lässt sich an einer Hand abzählen. Laut dem Portal Fdb.cz feierten mit „Werk ohne Autor“, „In den Gängen“, „Transit“, „Trautmann“ und „100 Dinge“ bis Mitte Oktober genau fünf Filme ihre Tschechien-Premiere. Im Jahr 2018 kamen insgesamt neun, 2017 nur acht Produktionen in deutscher Sprache in den tschechischen Verleih. Wer in Tschechien mehr sehen will, hat drei Optionen: entweder er fährt über die Grenze, schaut sich später Videos an oder aber er besucht DAS FILMFEST.

Vom 16. bis 25. Oktober werden in Prag, Brünn, Pilsen und Iglau (Jihlava) insgesamt 77 Filme (darunter 27 Kurzfilme) aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gezeigt. Und das zum Preis von jeweils 120 Kronen (knapp 4,50 Euro).

Die offizielle Eröffnung findet wie in den vergangenen Jahren im Prager Kino Lucerna statt. Zu Gast sind unter anderem der langjährige Berlinale-Chef Dieter Kosslick und Regisseur Sönke Wortmann, der seinen jüngsten Film „Der Vorname“ vorstellt. Die Komödie, deren tschechischer Titel „A co třeba Adolf“ (übersetzt etwa „Wie wär’s mit Adolf?“) schon etwas mehr über den Inhalt verrät, ist eine Neuverfilmung des französischen Kinoerfolgs „Le Prénom“ aus dem Jahr 2012. Bei einem Abendessen verkündet Thomas, dass sein ungeborener Sohn „Adolf“ heißen soll. Was als Scherz gemeint war, artet in einen gewaltigen Streit zwischen den Gastgebern (Christoph Maria Herbst, Caroline Peters), den werdenden Eltern (Florian David Fitz, Janina Uhse) und einem Freund der Familie (Justus von Dohnányi) aus.

In Prag läuft das Festival deutschsprachiger Filme eine Woche lang – bis Dienstag, 22. Oktober: in der Lucerna, im Kino Atlas und dem Kino 35 im Französischen Institut (Institut français de Prague). Die Brünner Kinos Art und No Art zeigen vom 21. bis 25. Oktober genau 30 Vorstellungen. Eine kleinere Auswahl wird vom 16. bis 18. Oktober in Pilsen (Depo 2015) und Iglau (Kino Dukla) präsentiert.

Jakob ist 17 und kämpft mit einer Angststörung. | © Orbrock Filmproduktion

Das vom Goethe-Institut, dem Österreichischen Kulturforum und der Schweizerischen Botschaft organisierte FILMFEST bietet „eine Auswahl der aktuellsten Filme aus Deutschland, Österreich und der Schweiz – ob hochwertiger Mainstream, Dokumentationen oder Filme, die auf internationalen Festivals erfolgreich waren“. In diesem Jahr sind die Beiträge in acht Sektionen aufgeteilt. Zu den „neuesten und vielversprechendsten Produktionen“ gehört etwa „Nevrland“, das Spielfilm-Debüt des erst 34-jährigen Österreichers Gregor Schmidinger. Der Film, der in diesen Tagen auch in den deutschen Kinos anläuft, erzählt laut einer Rezension auf zeit.de „in symbolisch hoch aufgeladenen, schön fotografierten und rhythmisierten Bildern von der Sinn-, Selbst- und Sexsuche eines heranwachsenden [und unter Angststörungen leidenden] Mannes“. Am 22. Oktober stehen sowohl Regisseur Schmidinger als auch Hauptdarsteller Simon Frühwirth dem Publikum im Kino Atlas Rede und Antwort.

In die Spezial-Sektion fallen auch „Der Goldene Handschuh“ von Fatih Akin über einen Frauenmörder im Hamburg der Siebziger, der feministische Experimentalfilm „Das melancholische Mädchen“ oder die österreichische Komödie „Love Machine“ über einen verliebten Callboy. Von politischen Kämpfen der achtziger Jahre handelt der Spielfilm „Wackersdorf“.

Protest gegen „Wackersdorf“ | © Alamode Film / Erik Mosoni

Im Mittelpunkt steht der damalige Landrat Hans Schuierer, der erst Befürworter der nuklearen Wiederaufbereitungsanlage war und später zur Galionsfigur des Widerstands gegen sie wurde. Sascha Westphal vom Freitag wertete die Filmbiographie als „äußerst kenntnisreiche und bewundernswert detailgetreue Rekonstruktion eines gesellschaftlichen Konflikts“. Bei der Vorstellung am 21. Oktober im Kino Lucerna sind Regisseur Oliver Haffner und Tschechiens ehemaliger Regierungschef Vladimír Špidla zu Gast.

Angesichts des runden Mauerfall-Jubiläums am 9. November bezieht sich knapp jeder vierte Festivalbeitrag auf die deutsche Teilung. Und der offizielle Trailer zum FILMFEST 2019 spielt auf die Ereignisse vor 30 Jahren in der deutschen Botschaft an:

Unter dem Motto Es war einmal im Osten laufen unter anderem „Als wir träumten“, „Ballon“, „Coming Out“, „Die Stille nach dem Schuss“, „Westen“ und „Das schweigende Klassenzimmer“ über die Leinwand. Der biografische Musikfilm „Gundermann“, der große Gewinner beim Deutschen Filmpreis 2019, wird ebenso gezeigt wie „Das Leben der Anderen“. Das Stasi-Drama mit Ulrich Mühe eröffnete den ersten Jahrgang von DAS FILMFEST im Jahr 2006 (das damals noch „Der Film“ hieß) und gewann kurze Zeit später den Oscar für den besten fremdsprachigen Film.

Gundermann (Alexander Scheer) und Führungsoffizier (Axel Prahl) | © Pandora / Peter Hartwig

Zwei von sieben Dokumentarfilmen (in der Sektion: Die Doku) handeln vom Berliner Nachtleben. „Schönheit und Vergänglichkeit“ zeigt die „milde Seite eines Mannes, den man als härtesten Türsteher Europas kennt“ (rbb-online.de): Heute arbeitet Sven Marquardt für den Technoclub Berghain, vor der Wende porträtierte er die subkulturelle Ost-Berliner Szene in ausdrucksstarken Schwarz-Weiß-Fotografien. Mit Kameramann Martin Farkas spricht er am 17. Oktober im Kino Atlas über den Film und den Wandel der Hauptstadt. Einen Tag später steht Marquardt (gemeinsam mit Regisseur David Dietl und Produzent Martin Heisler) erneut in dem Kinosaal. Diesmal wegen „Berlin Bouncer“. In der Doku über den Wandel Berlins – von der geteilten Stadt über die Clubszene der Neunziger bis zur heutigen Partymetropole – ist der frühere Punk einer von drei Protagonisten.

Sven Marquardt in „Berlin Bouncer“ | © farbfilm verleih

Die Sektion Rebellion und Revolte präsentiert aktuelle Filme, die von Menschen handeln, die sich auflehnen: gegen die Gesellschaft, gegen Autoritäten, gegen Konformität. Unter den elf Titeln befinden sich gleich fünf Komödien. Zum Beispiel „Kaviar“. Die in Russland aufgewachsene Regisseurin Elena Tikhonova (zu Gast am 19. Oktober) nutzt dabei ihren Insider-Blick auf die russische Schickeria in Wien. Die Ibiza-Affäre, die zum Bruch der Regierungskoalition in Österreich führte und bei der die angebliche Nichte eines russischen Oligarchen eine wesentliche Rolle spielte, kam dem Spielfilmdebüt von Tikhonova gerade recht …

Insgesamt 23 Gäste haben sich zum 14. FILMFEST angekündigt – so viel wie noch nie. Dazu zählt auch die ostdeutsche Band „Keimzeit“, die 1993 mit „Kling Klang“ ihren größten Hit feierte. Mit dem tschechischen Liedermacher Jan Řepka (PZ-Interview: „Ein kritischer Poet“) tritt sie am Sonntag, 20. Oktober im Prager Rock Café auf (Eintritt: 110 Kronen).

Blutsbrüder Winnetou (Pierre Brice) und Old Shatterhand (Lex Barker) | © Degeto Film GmbH

Die Retrospektive: Bruno Ganz zeigt neben der Dokumentation „Behind Me“ die beiden erfolgreichsten Filme des im Februar verstorbenen Schweizer Schauspielers: „Der Himmel über Berlin“ (1987) und „Der Untergang“ (2004). Weitere Sektionen sind dem Kult Karl May (mit den ersten beiden Teilen von „Winnetou“ und zwei DEFA-Produktionen), dem Kinderfilm (mit „Die kleine Hexe“ nach dem Buch von Otfried Preußler, und der Hape-Kerkeling-Story „Der Junge muss an die frische Luft“) und dem Kurzfilm (vier Blöcke mit insgesamt 27 Beiträgen) gewidmet.

Die kleine Hexe (Karoline Herfurth) fliegt zum Blocksberg. | © Studiocanal

DAS FILMFEST, 16. bis 25. Oktober, weitere Infos zum Programm und den Gästen unter www.dasfilmfest.cz

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