Eitle Pläne in Plan
Genius Loci

Eitle Pläne in Plan

Zu Besuch im westböhmischen Planá: Eine Stadt, die mehr zu bieten hat, als man vielleicht denkt

6. 2. 2020 - Text: Jiří Peňás, Übersetzung: Josef Füllenbach, Titelbild: Bergbaumuseum in Plan

Informationen zum Autor und der Serie „Genius loci“

In Plan (Planá) wollte ich eigentlich nur umsteigen und dann weiterfahren, doch blieb ich dort bis zum Abend. Seit meiner Jugend war ich nicht mehr dort. Damals blieb ich als Anhalter auf dem Weg nach Pilsen in Plan stecken, denn niemand nahm mich mit, also bin ich in Plan herumspaziert.

Es war eine graue und verfallende Stadt mit einem langgestreckten Marktplatz, gesäumt von baufälligen historischen Häusern, mit einem Brunnen und einer Pestsäule, nur dass sie über sich nichts wusste, und ich wusste auch nichts über die Stadt, außer dass es besser ist, sie rasch hinter sich zu lassen und weiterzukommen. Doch weil ich aus dieser Region stamme und oft mit dem Zug von Eger über Pilsen nach Prag hier durchgefahren bin, kannte ich natürlich diese Haltestelle und diesen traurigen Bahnhof Plan bei Marienbad (Planá u Mariánských Lázní), was einen besseren Klang hatte als bloß Plan oder Plan bei Tachau (Tachov), auch wenn es genau genommen nach Tachau ein wenig näher ist.

Bahnhof in Plan | © JP

Der Bahnhof ist heute noch immer um vieles hässlicher, als sie ihn einst unter Österreich errichteten, das ist halt das Los unserer Bahnhöfe, doch im Übrigen hat sich fast alles geändert. Eigentlich habe ich schon lange kein böhmisches Nest mehr gesehen, das so angenehm und sympathisch wäre, beinahe möchte ich sagen eine vorbildliche Kleinstadt (sechseinhalb Tausend Seelen), von der man keine Wunder erwarten darf, etwa ein nettes Restaurant am Marktplatz, obgleich ich am Ende in einer schäbigen Spelunke landete (an einem Tisch war die Gesellschaft schon schwer auf Schnaps abgefahren und sang) und mich das dortige Gericht – Schweinebraten, Knödel und Kraut – wieder versöhnte.

Immerhin sind wir hier in Westböhmen, tief in den Sudeten, so dass man seine Ansprüche herunterschrauben und Verständnis dafür haben sollte, dass sich hier einmal etwas sehr Grundlegendes zugetragen hat. Von dem Vorzeigestädtchen Plan, von dessen Prosperität man sich zum Beispiel anhand der Schule vom Beginn des 20. Jahrhunderts ein Bild machen kann (die man zunächst für ein Schloss halten mag), überlebte nur die Form, denn der Inhalt mitsamt den Einwohnern verschwand. Viele der ursprünglichen Einwohner ließen sich gleich hinter der Grenze in der Oberpfalz nieder, hauptsächlich in Tirschenreuth, von wo seit 1990 regelmäßig Pilgerfahrten zur Wallfahrtskirche St. Anna stattfinden, einem weithin bekannten Wallfahrtsort wenige Kilometer nördlich von Plan. Inzwischen wird der Pilgerzug, der Ende Juli 2019 zum dreißigsten Mal über die Grenze nach St. Anna kam, schon von den Nachkommen der ehemaligen Bewohner aus Plan und Umgebung gebildet.

Ringplatz (Postkarte, um 1910)

Neue Bewohner kamen danach aus den unterschiedlichsten Regionen hierher, nicht nur aus Böhmen. Plan wurde zur Stadt der Bergleute (dazu später) und vor allem der Grenzschützer, auch wenn es von hier noch 25 Kilometer bis zur Grenze sind, denn in den Wäldern verlief schon der Grenzstreifen, über dem der Tillenberg (Dyleň) emporragte mit dem drohenden Vampirauge des Beobachtungsturms auf seinem Gipfel. Aus diesen Zeiten stammt auf dem Marktplatz ein Kaufhaus (wenn man den Bau so bezeichnen kann), jetzt gibt es dort, wie überall bei uns, einen „Asia Market“. Die Aufschrift „Grenzschützer“ aber blieb mit dem schönen Relief eines Schäferhundes auf der Stirnseite erhalten: Den Kasten errichteten sie in den 1970er Jahren an der Stelle, wo zuvor zwei Renaissance-Häuser standen, angeblich die wertvollsten auf dem ganzen Marktplatz.

Zum Glück ist der Marktplatz in Plan trotz dieses Verlusts wirklich schön, neu gepflastert, gesäumt von zwei langgezogenen Reihen von Bürgerhäusern, an der Ecke steht ein barockes Rathaus mit allegorischen Malereien, zu denen wohl nur die wenigsten aufschauen. Viele der Häuser haben Grundmauern aus der Renaissance, einige überstanden auch Feuersbrünste und verschiedene Heimsuchungen der Geschichte, zum Beispiel Truppenlager während des Dreißigjährigen Krieges, der sich hier auch durch zwei interessante Episoden einschrieb: Einmal übernachtete hier Wallenstein im Februar 1634 zwei Nächte vor seinem Tod, der schon in Eger auf ihn wartete, und zum anderen sollen in der Kirche Mariä Himmelfahrt die Gebeine von Joachim Andreas von Schlick bestattet sein, der von dem Henker Mydlář bei der berüchtigten Altstädter Exekution am 21. Juni 1621 um einen Kopf und eine Hand kürzer gemacht worden war.

Doch weiß man das nicht so genau, denn die Verwandten des unglücklichen Joachim, dessen Kopf zusammen mit der Hand zwei Jahre am Altstädter Brückenturm aufgehängt war und verweste, fügten beides mit dem Rest des Körpers wieder zusammen und bestatteten ihn in der Prager Salvatorkirche. Allerdings überführten sie die sterblichen Überreste noch vor Kriegsende aus Sicherheitsgründen von Prag nach Plan, denn der Ort gehörte seit 1526 den Schlicks, bloß einer anderen Linie des Hauses. Das Grab soll sich unter dem Altar befinden, jedoch ließen die Herren von Nostitz, die Nachfolger der Schlicks als Eigentümer von Plan, Anfang des 19. Jahrhunderts die Grablege öffnen, schütteten die Gebeine in eine Truhe und verkauften die zinnernen Särge an Zinngießer. Damit müssten sich die armseligen Überreste eines der Führer des Ständeaufstands hier irgendwo in einer Kiste befinden, doch handelt es sich möglicherweise nur um eine Legende, die sich im 19. Jahrhundert ein hiesiger Werbefritze ausgedacht hat, um die Leute nach Plan zu locken.

Platz der Freiheit (nám. Svobody), früher Ringplatz | © JP

Ich kam Mitte Juni hierhin, schon morgens war es heiß wie auf Sizilien. Vom Bahnhof bin ich auf die Anhöhe gestiegen, auf der Plan sich ausbreitet, und bin an den Schlick’schen Stollen vorbeigekommen, die jetzt ein Museum beherbergen, wo sie aber gerade Mittagspause hatten. Wo die Schlicks hinkamen, dort wurde in die Erde gebohrt. Und hier in Plan fanden sie tatsächlich Silber, aus dem Heinrich von Schlick (der war im Unterschied zu seinem Verwandten Joachim Andreas den Habsburgern treu geblieben und brachte es bis zum kaiserlichen Feldmarschall) seit 1627 in der Münzstätte auf dem Planer Schloss Kreuzer und Groschen prägte, ja sogar die berühmten Schlick’schen Taler.

Die Planer Silbergruben waren freilich nicht besonders ertragreich, nach einigen Jahren trugen sie schon Verluste ein, so dass der Bergbau hier bloß eine Episode war, die sich allerdings unerwartet nach dem Zweiten Weltkrieg wiederholte, als man hier Uran entdeckte. Die Russen waren wie verrückt hinter dem Uran her, so dass in der Umgebung von Plan wieder Stollen in den Boden getrieben wurden und Plan erneut zu einer Bergbaustadt wurde, wohin die Kerle für anständige Moneten kamen (sechs Monatslöhne direkt auf die Hand) und wo sie sich die Gesundheit ruinierten, um Material für friedliche Atombomben zu gewinnen. Und weil es zur Grenze so nah war, konnten nur sicherheitsüberprüfte Bergleute anheuern, sattelfeste Kommunisten, was sich wohl irgendwie auch an dieser Stadt bemerkbar machen musste.

Der letzte Karren mit radioaktivem Gestein verließ das Bergwerk im Jahre 1992, und vom strategischen Grubenbau blieben hier nur Informationstafeln an der Stelle, wo schon lange ein unter die Erde führendes Loch überwuchert ist. Und auch das Museum, das noch nicht geöffnet hatte, so dass ich den Besuch auf später verschob.

Blick über die Stadt | © JP

Ich stieg also zu der Schule hinauf, die wie ein Schloss aussieht, und erinnerte mich, dass dort doch meine gute Bekannte unterrichtet hat, die liebe Frau und Schriftstellerin Jana Červenková, deren wohl bestes Buch – Semestr života (Semester eines Lebens) – sich in der Stadt Vraná im Grenzgebiet abspielt. Aber das muss doch Planá sein! Und als ich sie anrief, rief diese gute tapfere Frau freudig aus: Na klar! Vraná-Planá am Arsch der Welt …

„Ich war dort nach dem Studium zwei Jahre – 1961, 1962 – das war am Ende der Welt, dauernd kalt, regnerisch, die Leute von überallher angeschleppt, aus der Slowakei, aus Ungarn, Zigeuner natürlich, und auch ein paar Deutsche waren noch übrig geblieben, aber die sprachen nur heimlich deutsch und bekannten sich lieber nicht dazu, Deutsche zu sein. Ich hatte eine Schülerin, die stets eher schwieg, und dann habe ich sie zufällig deutsch sprechen gehört und mich gewundert, wo sie das so gut gelernt hatte. Nun ja, ich war naiv, mir ist da gar kein Licht aufgegangen. Zwei Jahre blieb ich dort, ich hatte einen prima Direktor, der sagte mir, dass er mich nicht gehen lässt, bevor ich heirate, dann habe ich geheiratet, Kinder bekommen und konnte nach Prag zurückkehren. Aber Planá hatte auch seine Vorzüge. Planá … aber was, bitteschön, machst du denn dort?“

Kirche Mariä Himmelfahrt | © APZ

Ich bin zum Schwimmbad gegangen, antwortete ich Jana. Und sie sagte, dass sie sich daran erinnert, dass sich die Deutschen es schon lange vor dem Krieg gebaut hatten, die hatten eine Vorliebe für Schwimmbäder. Und es ist noch immer dort? Ja, erwiderte ich, ganz schön. Man kann vielleicht auch im städtischen Teich am Park baden, aber ich zog das Schwimmbad vor, wo sie eine Wendelrutsche haben, die probiere ich immer aus. Und dann bin ich durch die ganze Stadt gegangen, die auch eine Vorstadt und ein Petersviertel hat mit einer spätromanischen Peter-und-Paul-Kirche mit einem einzigartigen Bogenfries über dem Portal.

Meinen Weg habe ich über den Marktplatz fortgesetzt, wo mir ein mit Sgraffito versehenes Haus besonders gefiel. Wie ich erst später festgestellt habe, gehört dieses Haus dem Maler Jan Knap, diesem Weltbummler, Schüler von Gerhard Richter und Freund des berühmten Malers Milan Kunc, woraus man nun erkennen kann, dass Plan doch kein so gottverlassenes Nest ist. Bloß wusste ich nicht, dass er hier wohnt – womit er Glück hatte, denn ich hätte wohl bei ihm an der Haustür geläutet …

Jan Knap – Familie (1984) | © Iso Brown FR, CC BY 2.0

Ich wollte aber noch diesen Bergwerksstollen erreichen, und vorher die Wallfahrtskirche St. Anna besuchen, etwa drei Kilometer hinter der Stadt. Man muss die Ausfallstraße überqueren und dann auch die Eisenbahnstrecke über eine Brücke, von der aus man direkt auf Pfraumberg (Přimda) schaut, einen kultischen Hügel. So bin ich zur St. Anna-Kirche angelangt, die an einem schon seit langem der Marienverehrung geweihten Ort steht, wohin die Menschen aus der weiten Umgebung ihre Sorgen trugen. Als ob er mich schon erwartet hätte, stand dort ein bärtiger Kirchendiener, der mir das Gotteshaus öffnete und mich in der barocken Kühle unter dem Stuck das Klima der in Jahrhunderten angesammelten Spiritualität einsaugen ließ. Ich schaute mir noch die Sammlung von Krücken an, die dort die geheilten Lahmen zurückgelassen hatten, und eilte zurück zum Stollen. Selbstverständlich war er schon verschlossen, letzte Besichtigung um vier Uhr nachmittags. Mein Bus nach Tachau fuhr um sieben Uhr ab und in Plan war immer noch genug zu sehen.

Wandmalerei in der Kirche St. Anna | © APZ

Der Artikel ist im Original unter dem Titel „Plané plány v Plané. Město, které není zas tak úplně plané“  in der Ausgabe 29 vom 18. Juli 2019 der Wochenzeitschrift „Echo“ erschienen.

Kommentare

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  1. Mit Freuden habe ich die zwei Reports über Plana und Tachov gelesen. Als Ur-Rawetzer (Marktredwitz) der die Gegend seit 1960 abgrast, haben diese meine Seele berührt. Beide Kleinstädte haben ein Flair wie nirgends in Westböhmen (Übertrieben!) Doch in Tachov im Restaurant am „Fluß“ zu hocken und zu träumen, den Schülern der Musikschule beim Üben zuzuhören oder im Konzum eine Speckacky zu genießen: Das hat schon Flair. Und seltsam, dort empfindet man die Hitze des Sommers als besonders südlich.Wünsche mir aber bald einen Bericht über Stribro, die weiße Stadt am Markt mit ihrem wundervollen Stadtpark. Auf ein Neues.





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