Unerreichte Größe

Unerreichte Größe

Václav Klaus bangt um seinen Platz im Geschichtsbuch. Ein Vergleich mit Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl

27. 3. 2013 - Text: Josef FüllenbachText: Josef Füllenbach; Foto: čtk

Lange Zeit diente er seinem Land in verschiedenen Funktionen, als Parteiführer und Inhaber öffentlicher Ämter. Das politische Geschehen gestaltete er über zwanzig Jahre hinweg in hohen und höchsten Positionen maßgeblich. An ihm schieden sich die Geister. Nicht nur zog er die Anfeindungen politischer Gegner und das Gespött vieler intellektueller und journalistischer Zeitgenossen auf sich. Er musste sich – auf der Höhe seines Schaffens – auch eines ernsthaften, aber vergeblichen Angriffs enger politischer Weggefährten erwehren, die ihn um die Führung seiner Partei bringen wollten. Dann, am Ende einer bemerkenswerten Wegstrecke, fand er sich nicht nur mit dem schwerwiegenden Vorwurf der Rechtsbeugung konfrontiert, sondern musste auch einen beispiellosen Verlust seines Ansehens in der breiten Öffentlichkeit erleben, der einherging mit einem ebenso dramatischen Sturz seiner einstigen Partei.

Leser in Tschechien mögen in dieser knappen und darum unvollständigen Skizze den aus dem Amt geschiedenen Präsidenten Václav Klaus erkennen. Es handelt sich aber um Helmut Kohl. Nach dessen Abwahl im Herbst 1998 feierte der „Kanzler der Einheit“ zunächst ein kurzes Comeback auf nationalen und internationalen Foren, geriet dann aber um die Jahrtausendwende tief in den Strudel der zweiten deutschen Partei­spendenaffäre. Durch seine beharrliche Weigerung, gemäß dem deutschen Parteiengesetz die Spender erheblicher Summen namhaft zu machen, trug er selber zu seinem Reputationsverlust und zum zeitweiligen Niedergang seiner Partei bei.

Inzwischen ist die Zeit darüber hinweggegangen, es gibt kaum noch jemanden, der Kohl nicht historische Größe zubilligt. Sein stures Festhalten am einmal gegebenen Ehrenwort gilt schon fast als skurrile Trotzköpfigkeit eines Patriarchen. Und gegenüber einem von Schicksalsschlägen schwer Getroffenen und Gezeichneten möchte man ohnehin eher nachsichtig als nachtragend sein. Die CDU schließlich hat sich längst wieder erholt, wenn sie auch nicht wieder zu alter Stärke jenseits der 40-Prozent-Marke zurückgefunden hat. Mit ihrem einstigen Übervater hat sie sich wieder versöhnt, zuletzt mit pompösen Feierlichkeiten zum 30-jährigen Jubiläum von Kohls erstmaliger Wahl zum Bundeskanzler.

Diametrale Gegensätze
Ob Václav Klaus und die ODS, die ja „seine“ Partei längst nicht mehr ist, Hoffnung aus dieser Wendung zum Guten schöpfen dürfen? Die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr zu früherer Reputation und alter Größe scheint eher gering. Ohnehin sind die Parallelen zwischen Kohl und Klaus mit den wenigen oben erwähnten Wegmarken erschöpft, in beinahe jeder Hinsicht könnten beide kaum aus unterschiedlicherem Holz geschnitzt sein. Das gilt nicht allein – und nicht einmal in erster Linie – für die diametral entgegengesetzten Standpunkte beider Politiker zu den Fragen der europäischen Einigung. Die Unterschiede treten vor allem im grundsätzlichen Verständnis des Politischen und im Verständnis von Amt und Aufgabe eines Spitzenpolitikers zutage.

Klaus pflegte seit seiner Zeit als Finanzminister bis zum Ende seiner Präsidentschaft mit zahlreichen Wortmeldungen in der Presse sowie mit eigenen Publikationen, in Debatten zu verschiedensten Themen einzugreifen und mit nie versiegendem Fleiß seine Weltsicht darzulegen. Und in der Regel präsentierte er sich dabei als Experte, der die Thesen und Argumente seiner Opponenten bis ins Detail zerpflückte, bisweilen im Gewand wissenschaftlicher Beiträge, und dann seine eigenen Ansichten als unumstößliche Wahrheiten dagegen setzte. Ein Dummkopf, wer danach noch anderer Auffassung sein sollte! Je länger er sich so als Oberlehrer der Nation stilisierte, umso stärker trat ein kleinlicher Hang zum Nörglerischen und Zänkischen hervor, gepaart mit einem unstillbaren Geltungsdrang. Zudem wurden im Laufe der Jahre die Positionen, mit denen er um die Aufmerksamkeit eines zunehmend genervten Publikums buhlte, immer sonderbarer und bizarrer, mitunter überschritten sie die Grenze zum Peinlichen.

Bedeutung aus eigenem Werk
Dazu passt die Selbstverliebtheit, mit der Klaus Jahr für Jahr sein um immer neue Bände wachsendes Opus der Öffentlichkeit präsentiert – offensichtlich in dem Bestreben, seine beiden großen Vorgänger, die Präsidenten Masaryk und Havel, zumindest in dieser Hinsicht zu übertrumpfen. Freilich sollte man nicht übersehen, dass Masaryk und Havel ihr schriftliches Werk zum größten Teil bereits vollendet und sich damit einen Namen gemacht hatten, bevor sie das höchste Staatsamt erlangten oder überhaupt erst die politische Bühne betraten. Ihre Beiträge gewannen aus eigenem Wert Bedeutung und erhielten ihr Gewicht nicht durch den Nimbus des höchsten Staatsamtes. Bei vielem, was Klaus schreibt und publiziert, ist es eher zweifelhaft, ob sich viele Leser darin vertiefen würden, wenn es sich nicht um eine Äußerung des Präsidenten oder des Premierministers handelte.

Unverkennbar sorgt sich Klaus um sein Bild in künftigen Geschichtsbüchern – das ist eigentlich normal bei Politikern, nachdem sie höchste Ämter bekleidet haben. Kohl hat deshalb, wie viele seiner Vorgänger, in umfangreichen Erinnerungsbänden aus eigener Sicht seinen Aufstieg, seine Kanzlerschaft und seine Erfolge ausgebreitet. Klaus versucht hingegen, seinen unmittelbaren Vorgänger posthum kleinzureden, ihn zuletzt in fast panischer Anwandlung sogar regelrecht mit Schmutz zu bewerfen, weil er wohl spürt, dass er im Vergleich mit Havel zusehends ins Hintertreffen gerät. Denn sein bisheriges politisches Wirken reicht nicht aus, um im Gedächtnis einer dankbaren Nation den hohen Platz neben oder gar über Masaryk und Havel zu erlangen, den er verdient zu haben glaubt.

Aber vielleicht gelingt ihm das noch in der Zukunft? Seit einigen Jahren, zuletzt in seiner Abschiedsrede am 7. März, deutet er immer wieder an, eine Rückkehr auf die parteipolitische Bühne liege durchaus im Bereich des Möglichen – eine für einen deutschen Ex-Präsidenten oder Ex-Kanzler eher abwegige Vorstellung. Allerdings hat Klaus noch nicht das Alter erreicht, in dem Konrad Adenauer seine erste Kanzlerschaft antrat, die dann vierzehn lange Jahre währte. Sollte sich Klaus also noch einmal eine wichtige Aufgabe vornehmen, so böte sich im Gedenken an Adenauer an, die Verankerung der Tschechischen Republik im Westen unumkehrbar zu machen und den wachsenden Einfluss der Kommunisten endgültig zurückzudrängen. Dann würde er vielleicht noch über sich hinauswachsen zu einem wirklich großen alten Politiker.

Der Autor ist promovierter Volkswirt und Politologe und lebt in Prag.