Tschechien und die rote Linie

Tschechien und die rote Linie

Der Syrien-Konflikt wird kontrovers diskutiert. Die Politiker sind sich jedoch einig: Prag sagt Nein gegen einen Angriff auf Assad

4. 9. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: Flo Smith/NurPhoto/ZUMAPRESS.co

Die Schätzungen der Vereinten Nationen lassen das Ausmaß des Bürgerkriegs erahnen: Über 100.000 Tote, mehr als zwei Millionen Flüchtlinge. Die Situation in Syrien beschreibt der UN-Flüchtlingskommissar António Guterres als „große Tragödie dieses Jahrhunderts“, als „empörende humanitäre Katastrophe“.

Mansour al-Rajab weiß, welch grauenvoller Alltag sich für die Menschen in Syrien hinter diesen Zahlen verbirgt. Der Tschecho-Syrer hat früher ein Krankenhaus für Strahlentherapie in Homs geleitet. Nachdem sich der syrische Versuch, den Arabischen Frühling im März 2011 auch nach Damaskus zu tragen, zu jenem verheerenden Bürgerkrieg entwickelt hatte, wurde sein Krankenhaus zum Feldlazarett und schließlich von Regierungstruppen unter Beschuss genommen. Rajabs syrisches Leben lag in Trümmern und er wurde zu einem von zwei Millionen. Zuflucht fand der Arzt in Tschechien. Dort hatte er in den achtziger Jahren studiert, dort hat er Freunde und fand eine Arbeit.

Dass sich seine vorübergehende Heimat und ganz Europa gegen eine Intervention in Syrien sträubt, ist für Rajab eine große Enttäuschung. „Den Leuten ist es egal, ob sie mit chemischen Waffen oder durch eine Rakete getötet werden“, sagt Rajab in seinem Prager Exil. Ein Eingreifen gegen das Massaker an seinen Landsleuten sei längst überfällig.

Mansour al-Rajab ist nicht der einzige, der in Tschechien derzeit voller Inbrunst über die von den USA angekündigte Militärintervention diskutiert. Nachdem US-Außenminister John Kerry in der vergangenen Woche von „klaren und schlüssigen Beweisen“ für einen Giftgasangriff durch das syrische Regime gesprochen hat und mit einer baldigen Vergeltung für das Überschreiten der von US-Präsident Barack Obama als „rote Linie“ definierten Missachtung des internationalen Chemiewaffenabkommens droht, ist in ganz Europa eine kontroverse Debatte entbrannt.

Die Prager Politiker indes sind sich einig: Der Westen sollte sich mit einem Eingreifen in den Syrien-Konflikt zurückhalten. Als eines der wenigen westlichen Länder unterhält Tschechien weiterhin seine Botschaft in Damaskus und vertritt dabei auch die USA konsularisch. Auch deshalb halte man laut Premier Jiří Rusnok an einer diplomatischen Lösung des Konflikts fest.

Präsident Zeman stimmt mit dem Chef der Regierung in Demission überein. Seine Haltung begründet das Staatsoberhaupt in gewohnter Polter-Manier: „Ein Militärschlag in Syrien wäre unangemessen, weil sich dort kein Krieg zwischen Gut und Böse abspielt, sondern zwischen zwei Übeln“. Zeman sprach von einem „säkularen Diktator“ und „religiösen Fanatikern“. Laut Šádí Sanaáh, der als einer von zwei tschechischen Nahost-Experten das momentane internationale Kräftemessen um Syrien für die „Prager Zeitung“ bewertet, ist Zeman in seiner Meinung zu Syrien durch seine Islamfeindlichkeit geleitet.

In der Schlussfolgerung allerdings ist er sich ausnahmsweise auch mit Ex-Außenminister Karel Schwarzenberg einig. Laut dem TOP-09-Chef sind Assads Methoden zwar entsetzlich, die Situation für einen Angriff jedoch zu unübersichtlich. „Nicht einmal die Befürworter einer Intervention sind in der Lage zu sagen, was für ein Ergebnis sie bringen, wie weit man gehen und wer Baschar al-Assad ersetzen sollte“, erklärte Schwarzenberg.

Obgleich ein schneller Angriff gegen Assad mit der Zurückhaltung Deutschlands und Großbritanniens und der von Obama angekündigten Abstimmung im Kongress zunächst vom Tisch scheint, protestierten am vergangenen Montag rund 60 Menschen vor der Prager US-Botschaft unter dem Motto „Hände weg von Syrien“. In der verregneten Gasse auf der Kleinseite erklang die syrische Hymne, Transparente mit dem Konterfei Assads wurden in die Höhe gehalten. Gegen US-amerikanische Aggressionen sprachen sich dort Vertreter der Kommunistischen Partei, die Schriftstellerin Lenka Procházková oder Nizar Trabulsi, der sich selbst als Vertreter der Syrer in Tschechien bezeichnet, aus. Laut ihm schicke der Westen „alle Terroristen der Welt“ in sein Land. Zur Demonstration vor der US-Botschaft hatte die „Tschechische Friedensbewegung“ aufgerufen.

Wie unübersichtlich die Situation im Kriegsherd ist, erläutert Tomáš Kocián, Koordinator der Hilfsorganisation „Clověk v tísni“ für Syrien. Die größte tschechische NGO ist eine der wenigen internationalen Organisationen, die noch direkt in Syrien tätig sind. In den Regionen, die von der Opposition kontrolliert würden, habe er sich oft mit einer pragmatischen Sicht konfrontiert gesehen. „Ob es uns gefällt oder nicht, die islamistischen Extremisten sind diejenigen, die uns zur Hilfe gekommen sind, während der Westen zusieht, wie wir beschossen werden“, gibt Kocián die Meinung vieler Syrer wieder. Eine direkte Auswirkung der erwarteten Angriffe sei laut Kocián eine rasante Abwertung der Syrischen Lira.

Manour al-Rajab hofft trotz allem auf ein baldiges Eingreifen der „freien Welt“. In Tschechien ist der Arzt seit fast einem Jahr, mit seiner Familie verbinden ihn nur die abendlichen Telefonate. Solange sich Assad an der Macht hält, ist für den Arzt an eine Rückkehr nicht zu denken. Er steht auf der schwarzen Liste des Regimes, in seiner Heimat drohen ihm Folter und womöglich der Tod.

 

 

Positionen mitteleuropäischer Staaten zum Syrien-Konflikt

Polen: Das Land steht einem möglichen Militärschlag skeptisch gegenüber. Polen setzt auf eine friedliche Lösung des Konflikts durch den UN-Sicherheitsrat. Ministerpräsident Donald Tusk (PO) hält die Beweise für einen Giftgasangriff durch Assads Truppen nicht für ausreichend und sagte vor dem Parlament, dass militärische Interventionen bisher selten dazu beigetragen hätten, Gewalt zu beenden.

Slowakei: In einer Pressemitteilung vom 27. August betont das Slowakische Außenministerium, dass der Konflikt politisch gelöst werden müsse. Das Land forderte Syrien auf, eine Untersuchung des vermeintlichen Giftgasangriffes durch die UN zu ermöglichen und verurteilte den Einsatz von Chemiewaffen als Verbrechen gegen die Menschheit.

Ungarn: Der ungarische Außenminister János Martonyi (Fidesz) will das Geschehen in Syrien weiterhin mit größter Aufmerksamkeit verfolgen und sorgt sich vor allem um die Lage der christlichen Minderheit. Ungarn verurteilt den möglichen Giftgasangriff und wertet diesen als Angriff auf die gesamte menschliche Zivilisation.   (jm)