„Tschechien braucht die Euro-Reformen“
Wirtschaftswissenschaftler Vilém Semerák über Maastricht-Kriterien, Hedgefonds und Tschechiens Angst vor dem Euro
5. 3. 2014 - Interview: Martin Nejezchleba
Seine Fachgebiete sind internationaler Handel, wirtschaftliche Transformation und der Euro. Der Ökonom Vilém Semerák unterrichtet an der Karls-Universität und der New York University in Prag. Er arbeitet für den renommierten Thinktank IDEA, dem Institut für Demokratie und Wirtschaftsanalyse. Geht es nach Semerák, dann kann Tschechien von einem schnellen Schritt hin zum Euro-Beitritt nur profitieren. PZ-Redakteur Martin Nejezchleba erklärte der Wirtschaftswissenschaftler warum.
Mit der neuen Regierung und auch mit Tschechiens neuem Präsidenten steht das Thema Euro wieder auf der Tagesordnung. Zeman sagt, in frühestens zwei Jahren hat Tschechien den Euro, der Finanzminister spricht von mindestens sechs Jahren. Wir ernst sind diese Zahlenspiele überhaupt zu nehmen?
Vilém Semerák: Da genügt es, einen Blick auf die Meinungsumfragen zu werfen. Den jüngsten Studien vom Herbst 2013 nach zu urteilen, begrüßt nur etwa jeder fünfte Tscheche einen Beitritt zur Eurozone. Das wird sicher eine gewichtige Rolle bei den politischen Entscheidungen spielen. Ich denke deshalb nicht, dass der Euro in den kommenden Monaten zum heißen Thema wird.
Es ist im Moment also nicht abzuschätzen, wann Tschechien der Eurozone beitritt?
Semerák: Wir können sagen, wann der Euro frühestens eingeführt werden kann. Falls die Prognosen zur Haushaltsentwicklung eintreffen, könnten wir die schwierigsten Konvergenzkriterien – also Staatsverschuldung und Defizitgrenze – noch in diesem oder im nächsten Jahr erfüllen. Es bleibt die Entscheidung zum Beitritt in den EU-Wechselkursmechanismus. Dort müssten wir mindestens zwei Jahre verweilen. Falls sich die Regierung im Mai oder Juni dazu entschließen würde, dann könnten wir zwei Jahre später darüber nachdenken, ob wir der Eurozone beitreten, also frühestens im Jahr 2016.
Ist der Eintritt in den Wechselkursmechanismus eine rein politische Entscheidung? Oder spielen auch wirtschaftliche Faktoren eine Rolle?
Semerák: Mit einem festen Wechselkurs setzt man sich schon einer gewissen Gefahr aus, dass die Nationalbank Opfer von Devisenspekulationen wird. Vor der Krise hatten wir aber ähnlich große Chancen wie die Slowakei, die Maastricht-Kriterien zu erfüllen. Wenn wir die Situation damals mit der von heute vergleichen, dann handelt es sich wohl schon eher um eine politische Entscheidung. Es stimmt aber, dass uns die Flexibilität unserer Währung bis 2009 zu einem gewissen Grad geholfen hat, in der ersten Phase der Krise auf die sinkende Nachfrage aus Westeuropa zu reagieren. Auf der anderen Seite bereitet die Volatilität unseren Unternehmen von Zeit zu Zeit große Schwierigkeiten.
Um welche Schwierigkeiten geht es dabei?
Semerák: Es geht darum, dass wir mit einer eigenständigen Währung eine eigenständige Währungspolitik betreiben können, wir können unseren Exporteuren mit gewissen Maßnahmen helfen. Auf der anderen Seite ist es sehr schwierig abzuschätzen, welchen Wert die Krone in einem Jahr im Vergleich zum Euro haben wird. Das bringt Kosten für Hedgegeschäfte mit sich, das heißt für die Absicherung gegen Kursschwankungen. Und es hemmt die Möglichkeiten unserer Haushalte und Kleinunternehmer, interessante Angebote aus der Eurozone zu nutzen.
Welches wären die Risiken, die Tschechien mit dem Beitritt in der Eurozone tragen müsste?
Semerák: Allgemein gesprochen: Das größte Problem ist, dass Tschechien eine Währungspolitik bekommen könnte, die dem Land vielleicht nicht unbedingt passt. Wenn ich die aktuelle Situation betrachte, dann sind wir aber von allen EU-Staaten, die nicht den Euro haben, am stärksten vom Kern der Eurozone abhängig – das bedeutet von Deutschland und den benachbarten Volkswirtschaften. Wir haben den größten Anteil am Handelsvolumen mit der Eurozone. Dass wir also eine entscheidend abweichende Währungspolitik benötigen als der Rest der Eurozone, halte ich für eher unwahrscheinlich. Weitere Risiken – also solche Probleme, wie sie in den südlichen Ländern der Eurozone aufgetreten sind – so denke ich, sind im Moment nicht aktuell. Schon deshalb, weil die Märkte und Banken zumindest einstweilen gelernt haben, dass der Beitritt zur Währungsunion keine fundamentalen Veränderungen der Risiken auf nationaler Ebene mit sich bringt.
Wenn Sie die Risiken und Vorteile eines Beitritts zur Eurozone abwägen, was überwiegt dann?
Semerák: Falls es nicht zu unerwarteten Entwicklungen in der Eurozone kommt, dann sind die Risiken nicht besonders hoch. Frühere Simulationen und Schätzungen für die Tschechische Republik lassen darauf schließen, dass wir mit der Eurozone zwar nicht perfekt harmonisieren, aber von den Beitrittskandidaten am besten aufgestellt sind. Was passieren könnte, wäre ein leichter Anstieg der Inflation. Aber das wäre eher ein Symptom für ein schnelleres Wirtschaftswachstum.
Lässt sich abschätzen, welche Effekte das lange Warten Tschechiens auf die hiesige Wirtschaft hat?
Semerák: Es gibt durchaus solche Simulationen. Die kurz- und mittelfristigen Effekte scheinen – dank unseres stabilen Finanzsystems und weil sich die Krone gegenüber dem Euro im Großen und Ganzen behauptet hat – eher gering. Man kann sagen, dass sich ein Beitritt vermutlich leicht positiv auf das Bruttoinlandsprodukt ausgewirkt hätte. Es ist auch möglich, dass der Produktionsumfang leicht höher ausgefallen wäre. Aber wir sprechen hier von sehr kleinen Zahlen, vermutlich knapp über der Grenze zur Messbarkeit. Eines möchte ich aber noch sagen: Die Reformen, die wir brauchen, um die Maastricht-Kriterien einzuhalten, sind genau die Reformen, die der tschechische Markt sowieso benötigt. Das bedeutet flexiblere Arbeitsmärkte, mehr Konkurrenz auf dem tschechischen Markt, mehr Effektivität im institutionellen Umfeld. Es gäbe also eine ganze Reihe positiver Nebeneffekte eventueller Beitrittsvorbereitungen.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“