Talfahrt ins Ungewisse

Talfahrt ins Ungewisse

Die Prager Börse kriselt seit Jahren – Unternehmen aus Ostmitteleuropa favorisieren Warschau

14. 8. 2013 - Text: BloombergText: Bloomberg/čtk/mh; Foto: čtk

Bei seinem Antrittsbesuch in Polen machte Staatspräsident Miloš Zeman Ende Mai dieses Jahres keinen Hehl daraus, was er von der Prager Börse hält. Sie sei „heruntergekommen“, weil die Broker in Prag schlichtweg unfähig seien. Offen sprach er sich deswegen für eine Zusammenlegung der Warschauer mit der Prager Börse aus. Zeman zufolge sei die „prosperierende Wertpapierbörse“ im Nachbarland bedeutender als jene in Wien.

Diese „mitteleuropäische Börse“ würde eine gewichtige Rolle auf Europas Börsenmarkt einnehmen, mutmaßte Zeman damals auf dem Polnisch-Tschechischen Wirtschaftsforum und scherzte, dass seine dort gehaltene Rede die wohl letzte seines Lebens war. „Die Prager Börsenmakler werden am Flughafen schon mit Steinen in der Hand auf mich warten und ich schon bald ein Staatsbegräbnis bekommen“, so Zeman.

Bekanntlich ist es weder zu einem Mordanschlag noch zu einer Fusion der beiden Börsen gekommen. „Das geht auch gar nicht so einfach“, erklärt der Analyst der Investmentgesellschaft Patria Finance David Marek. „Denn die Prager Börse gehört mehrheitlich der Wiener Börse beziehungsweise der CEE Stock Exchange Group. Wenn die Werbeversuche erfolgreich verliefen, fänden sich demzufolge die Börsen Tschechiens, Österreichs, Polens, Ungarns und Sloweniens unter einem gemeinsamen Dach wieder“, sagt Marek.

Für den Analysten würde eine Konsolidierung der einzelnen Wertpapierbörsen, mit Ausnahme der polnischen, durchaus Sinn ergeben. „Vielleicht ist das sogar der einzige Weg, wie sie überleben können“, so Marek. Die meisten Fachleute lehnen den Vorschlag einer Zusammenlegung hingegen ab. Hans-Peter Burghof, der den Lehrstuhl für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen an der Universität Hohenheim innehat, erkennt durchaus Vorteile für kleinere Finanzplätze wie Prag. „Dort sind die Kosten nicht so hoch, die aus der Nutzung dieses Finanzplatzes entstehen“, sagt Burghof im Gespräch mit der „Prager Zeitung“.

Investoren wandern ab
Auch wenn es in absehbarer Zeit zu keiner Fusion kommen wird, Zemans Ärger über die Schwäche der Prager Börse beruht auf Tatsachen. Der dortige Aktienmarkt verzeichnet seit Beginn dieses Jahres die zweitschwächste Entwicklung in Europa – nur knapp vor Zypern. Mittlerweile hat die einzige börsennotierte Bank, die Komerční banka, ihren Kunden sogar zum Aktienkauf in den USA, Frankreich und Deutschland geraten – statt an der heimischen Börse in Prag.

„Unsere grundlegende Strategie besteht darin, die Kunden auf das Ausland zu verweisen, wo es mehr Aktien und günstigere Gelegenheiten gibt“, äußert Radek Neumann, Chef-Aktienhändler der zur französischen Großbank Société Générale gehörenden Komerční banka. „Die fehlende Liquidität, eine schwache Wirtschaft und die Tatsache, dass tschechische Unternehmen keine Wachstumsgeschichte haben, lassen die Investoren abwandern.“

Der Prager Aktienindex (PX) hat in diesem Jahr 13 Prozentpunkte eingebüßt. Das ist der sechstgrößte Einbruch unter 94 Börsenbarometern, die vom Informationsdienstleister Bloomberg beobachtet werden. Er wird in Europa nur von einem Kursrutsch in Zypern mit 19 Prozent übertroffen. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist der Aktienumsatz in Prag in den ersten sechs Monaten 2013 sogar um 36 Prozent – von 4,5 Milliarden auf 3,4 Milliarden Euro – gesunken. In Deutschland ging das Handelsvolumen in diesem Zeitraum lediglich um 4,1 Prozent auf 513,8 Milliarden Euro zurück, in Polen gab es sogar einen Anstieg von 16 Prozent auf 26,8 Milliarden Euro.

In den neunziger Jahren sah das Bild noch ganz anders aus. Nach der politischen Wende privatisierte der tschechische Staat zahlreiche Unternehmen und es wurden Tausende Aktien an der Prager Börse gehandelt. Heute sind nur noch 25 Unternehmen gelistet, 13 davon im Hauptsegment. Seit 2008 gab es eine einzige Börseneinführung in Prag, an der Börse in Warschau waren es 116.

Dass der tschechische Aktienmarkt deutlich an Attraktivität eingebüßt hat, ist laut Neumann wenig überraschend: Die Wirtschaftsleistung ist seit sechs Quartalen rückläufig, die Sozialdemokraten – die größte parlamentarische Kraft im Land – wollen die Steuern für Großunternehmen erhöhen. Auch die neue Handelsplattform mit eingeschränkter Liquidität schrecke die Investoren ab, so Neumann.

Im November 2012 wechselte die Prager Börse vom SPRAD-System zum Frankfurter Handelssystem Xetra. Durch die Umstellung sollte ausländischen Investoren der Zugang zum Börsenhandel erleichtert und tschechischen Brokern der Handel in Ländern mit dem gleichen Handelssystem ermöglicht werden. Doch statt das Volumen nach oben zu treiben, hat Xetra den Handel in kleinere Transaktionen fragmentiert. Die Position der Market-Maker, welche die Marktliquidität sichern und temporäre Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage in weniger liquiden Werten ausgleichen sollen, sei nach Neumanns Ansicht geschwächt worden.

Die Kunden seiner Bank tätigen nun 40 Prozent ihrer Aktienkäufe im Ausland – im Jahr 2007 waren es nur 5 Prozent. „Der Rückgang des Handelsvolumens hat sich mit der Umstellung auf Xetra noch verstärkt“, sagt Neumann. „Für institutionelle Anleger war SPAD optimal. Die damalige Sicherheit, die ihnen dieses System geboten hat, ist mit der heutigen nicht zu vergleichen. Der tschechische Aktienmarkt hat sich zu einer Domäne der Kleinanleger entwickelt, während die Großinvestoren abgewandert sind.“ Aufgrund der Größe und Liquidität der Märkte in Frankreich, Deutschland oder den USA könnten die Investoren dort „kreativer“ agieren, so Neumann.

Domäne der Kleinanleger
Jiří Kovařík, Sprecher der Prager Börse, widerspricht der Begründung des Aktienhändlers. „Wir glauben nicht, dass der Rückgang des Handelsvolumens durch das neue Handelssystem verursacht wurde“, sagt Kovařík. Für die Investoren spiele die Schulden- und Wirtschaftskrise in der Europäischen Union eine weitaus größere Rolle.

Unternehmen aus den einstigen Ostblock-Staaten bevorzugen die Börsennotierung in Warschau, statt an einer der Börsen der CEE Stock Exchange Group. Der Aktienumsatz der CEE-Börsen war im ersten Halbjahr 2013 um 80 Prozent niedriger ausgefallen als im Jahr 2007. Laut Angaben der Vereinigung Europäischer Börsen (FESE) betrug der Rückgang in Deutschland 57 Prozent und in Polen 15,5 Prozent. Und während die Zahl der gelisteten Unternehmen in Prag im Zeitraum von Juni 2007 bis Juni 2013 von 31 auf 26 und in Wien von 118 auf 103 zurückging, schnellte sie in Warschau von 301 auf 888. In Polen gibt es inzwischen mehr börsennotierte Unternehmen als in Deutschland mit 731.

„Im Vergleich zu Polen ist das Handelsvolumen in Tschechien einfach schrecklich. Der polnische Aktienmarkt ist weitaus dynamischer und bietet konstante Börsenlistings“, sagt John Milton, Direktor der Investmentbank Ipopema Securities SA, deren Aktien an den Börsen in Warschau, Prag und Budapest gehandelt werden.  

 

 

Unternehmen im PX Index (Hauptsegment)

CETV (Medienunternehmen)
ČEZ (Energiekonzern)
Erste Group Bank (Bankunternehmen)
Fortuna (Gesellschaft für Glücksspiele)
Komerční banka (Bankunternehmen)
NWR (Bergbauunternehmen)
Orco (Immobiliengesellschaft)
Pegas Nonwovens (Textilunternehmen)
Philip Morris ČR (Tabakkonzern)
Telefónica ČR (Telekommunikationsunternehmen)
TMR (Touristikunternehmen)
Unipetrol (Chemieunternehmen)
VIG (Versicherungsunternehmen)