„So nah wie möglich am Komponisten“

„So nah wie möglich am Komponisten“

Cornelius Meister dirigiert das Abschlusskonzert von „Dvořáks Prag“

18. 9. 2013 - Interview: Stefan Welzel

Er war der jüngste Generalmusikdirektor Deutschlands, debütierte bereits mit 21 Jahren an der Hamburgischen Staatsoper und leitet seit 2010 das Radio-Symphonieorchester in Wien. Der 33-jährige Dirigent und Pianist Cornelius Meister wird beim diesjährigen Dvořák-Festival die Ehre zuteil, zusammen mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin das Abschlusskonzert zu gestalten. Dabei wird traditionell die neunte Sinfonie des Festival-Namensgebers gespielt. PZ-Redakteur Stefan Welzel sprach mit dem gebürtigen Hannoveraner über faszinierende Komponisten, ein Europa der überwundenen Grenzen und das Hineinversetzen in ferne Geisteswelten.

Herr Meister, Sie haben Klavier und Dirigieren studiert. Warum haben Sie letztendlich den Fokus aufs Dirigieren gelegt und dort Ihre Karriere lanciert?

Cornelius Meister: Ich war sehr jung, als mir klar wurde, dass ich Dirigieren möchte. Diese Tätigkeit gibt mir die Möglichkeit, mit vielen verschiedenen Musikern zusammenzuarbeiten, mit ihnen über längere Zeit einen Probenprozess zu durchlaufen. Es ist unglaublich spannend, Schritt für Schritt voranzukommen und dabei um jedes Detail zu ringen. Als Solist übst du oft alleine. Dabei kommt das Zwischenmenschliche zwangsläufig zu kurz.

Ein Journalist der „Washington Post“ würdigte Sie in einer Rezension einmal als Dirigenten mit viel „Zärtlichkeit und Alter-Welt-Genialität“. Was hat er damit wohl gemeint?

Meister: Ich kann mich erinnern. Das war während einer USA-Tournee. Wir spielten damals Brahms zweite Sinfonie. Mir ist es sehr wichtig, die Werke möglichst nah an der möglichen Intention des Komponisten zu spielen. Dabei versuche ich, mich in die damaligen Lebensumstände und den Zeitgeist der Epoche eines Komponisten einzufühlen. Bei Brahms wäre dies das restaurative Mitteleuropa des 19. Jahrhunderts. In der Tat springt dann ein anderes Resultat heraus, als wenn ich etwas aus dem 20. Jahrhundert interpretiere.

Sie leben in Wien und arbeiten beim Radio-Symphonieorchester als Chefdirigent und künstlerischer Leiter, spielten bereits auf zahlreichen Bühnen Europas und Nordamerikas und waren auch schon in Heidelberg General­musikdirektor. Wo gefällt es Ihnen am besten?

Meister: Ich wäre nicht in Wien, wenn ich mich hier nicht so heimisch fühlen würde. Hinzu kommt, dass ich mich beim Radio-Symphonieorchester intensiv einem langfristigen Prozess widmen kann. Ich kann mich dort um Dinge kümmern, die weit über das rein musikalische hinausgehen. Gemeinsam können wir, ähnlich einer großen Familie, über einen langen Zeitrahmen hinweg an unseren Projekten arbeiten. Das ist der Unterschied zu Gastdirigentschaften; bei solchen geht es eigentlich nur unmittelbar um die Musik, die man für einen kurzen Moment zusammen spielen wird.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Dvořák-Festival und dem Deutschen Symphonie-­Orchester Berlin?

Meister: Ich habe bereits vor zwei Jahren mit dem Orchester zusammengearbeitet. Wir spielten unter anderem Stücke des international weniger bekannten tschechischen Komponisten Bohuslav Martinů. Die Chemie stimmte und so war schnell klar, dass man einen weiteren Termin für eine nächste Zusammenarbeit würde finden wollen. Nun kam die Einladung aus Prag für dieses so renommierte Festival. Das passt irgendwie.

Wie muss man sich eine solche kurzzeitige Zusammenarbeit vorstellen. Wie läuft das genau ab? Wie lange probt man mit einem Ensemble, das man kaum kennt?

Meister: Mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin ist das jetzt schon etwas Spezielles. Wir haben außergewöhnlich viel Zeit zum Proben und kennen uns schon. Das ist eher unüblich. Generell fangen die Vorbereitungen für eine Gastdirigentschaft sehr früh an. Ein bis drei Jahre im Voraus klärt man schon grundlegende Dinge ab. Zum Beispiel einigt man sich in der Frage, welche Notenausgabe eines Werkes überhaupt benutzt werden soll. Das ist vielleicht vergleichbar mit der Literatur. Dort gibt es von Texten ja auch verschiedene Editionen und Übersetzungen, die sich teilweise erheblich unterscheiden. Zusätzlich fängt jedes Mitglied eines Orchesters autonom an, die Stücke zu proben, bevor man dann das erste Mal gemeinsam übt.

Traditionell wird das Dvořák-Festival mit der neunten Sinfonie des wohl berühmtesten tschechischen Komponisten beendet. Wie gefällt Ihnen dieses besonders populäre Stück hiesiger Klassik?

Meister: Nun, ich mag die tschechische Musik als Ganzes sehr. Seit längerer Zeit spüre ich, dass mir diese ganz nah ist. Ich finde zum Beispiel nicht nur Dvořák oder Smetana spannend, sondern auch Leoš Janáček, den bereits erwähnten Martinů oder Miroslav Srnka, ein Repräsentant der zeitgenössischen tschechischen Avantgarde. All dies gefällt mir außerordentlich. Nicht zuletzt deswegen wurde es wohl mal Zeit, dass ich hierher nach Prag komme.

Welche Werke tschechischer Komponisten würden Sie denn sonst noch gerne interpretieren?

Meister: Von Martinů habe ich schon einiges dirigiert. Gerne würde ich auch „Das schlaue Füchslein“ von Janáček aufführen. Dabei lernt man auch viel über die tschechische Sprache und wie sie von der Rhythmisierung her funktioniert – das hat natürlich auch einen wesentlichen Einfluss auf den Charakter der Musik.

In Prag werden Sie auch Stücke von Robert Schumann und David Philip Hefti präsentieren. Solist wird Rafal Blechacz am Klavier sein…

Meister: Einer der herausragendsten Pianisten der Gegenwart. Hefti ist ein relativ junger Schweizer Komponist. Er gehört einer Generation von Musikern an, die gesamteuropäisch denkt, stets in Verbindung zueinander steht und voneinander lernt. Ein polnischer Pianist, ein Stück eines Schweizers, ein deutsches Orchester – und all dies geht in Prag über die Bühne – ein europäisches Konzert! Es ist einfach wunderbar, dass wir in einer Zeit leben, in denen staatliche Grenzen keine große Rolle mehr spielen, wo Reise- und vor allem Gedankenfreiheit herrscht.

Wann wird das Prager Publikum Sie nach dem Dvořák-Festival wieder am Dirigentenpult sehen?

Meister: Geplant ist zur Zeit nichts. Aber es würde mich sehr freuen, wenn dies bald wieder der Fall sein würde.