Schreckgespenst auf Probe?

Schreckgespenst auf Probe?

Der große Parteiencheck – Teil fünf: Die nicht reformierten Kommunisten sind eine ernstzunehmende
politische Kraft geworden. Zeman will ihnen eine Chance geben

9. 10. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: Parteichef Vojtěch Filip (David Sedlecký)

Dieser Wahlkampf ist anders. Deutlich wird das schon am Straßenrand. Während vor den vergangenen Wahlen auf riesigen Werbeflächen aggressiv gegen die politischen Gegner gewettert wurde, wird in diesem Jahr mit Sachlichkeit und positiven Slogans um die Gunst der Wähler gebuhlt. Und noch etwas ist anders: Der Antikommunismus ist von der Bildfläche (fast) verschwunden. Vor allem die ODS stilisierte sich seit den Neunzigern zum Bollwerk gegen die Kommunisten, betrieb mit der Aversion gegenüber dem überwundenen totalitären Regime gegen sämtliche Linksparteien im Land Wahlkampf – mit mäßigem Erfolg.

Die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KSČM) war seit 1992 stets drittstärkste Kraft im Abgeordnetenhaus; im ersten Parlament der eigenständigen Tschechischen Republik noch als Teil des „Linken Blocks“ (Levicový blok), später als eigenständige Fraktion. In den vergangenen Jahren gewann die KSČM weiter an Bedeutung, seit Herbst 2012 ist sie in fünf Kreisen an der Regierung beteiligt. Kurzum: Die Kommunisten sind zu einer ernstzunehmenden politischen Kraft in Tschechien geworden. Auf eine Abwehrhaltung gegen die Partei möchte – bis auf die Bürgerdemokraten – keiner mehr setzen.

Bereits seit Monaten sprechen sowohl der Präsident als auch die Sozialdemokraten offen über eine zukünftige Links­regierung, die sich von der KSČM tolerieren lässt. Zeman sieht die nächste Legislaturperiode sogar als Probezeit für eine spätere Koalition, an der sich die Kommunisten direkt beteiligen könnten. Lange Zeit galt das als absolutes Tabu.

Nostalgische Realsozialisten?
Grund für die Isolation der KSČM, deren Logo zwei rote Kirschen ziert, ist der Unwille der Genossen, sich vom totalitären Regime der KSČ zu distanzieren. Dabei besteht die Partei lange nicht mehr nur aus nostalgischen Realsozialisten. Die Reformer bemühen sich darum, als moderne Linke wahrgenommen zu werden, die an die Tradition des Sozialismus mit menschlichem Antlitz anknüpft.

Parteichef Vojtěch Filip und die meisten Funktionäre werden als Pragmatiker eingestuft. Ihnen geht es vor allem um politischen Einfluss. Dass jedoch das vergleichsweise kleine ultrakonservative Lager auch im Jahr 2013 noch ein Wörtchen in der KSČM mitzureden hat, das zeigt die Aufstellung der Kommunisten in Prag, dem wichtigsten tschechischen Wahlkreis.

Dort musste der populäre Reformer Jiří Dolejš den ersten Platz auf der Wahlliste an Marta Semelová abtreten. Die rückwärtsgewandte Grundschullehrerin sorgt immer wieder für politisch inkorrekten Zündstoff. Zum Jubiläum der kommunistischen Machtergreifung sagte sie 2012: „Der Februar 1948 und die darauf folgenden vierzig Jahre brachten keine Regierung eines verbrecherischen Regimes hervor“. Verbrecherisch sei laut Semelová das Regime, das 1989 eingeführt wurde.

Altlinker Norden
Wichtiger als Prag ist für die Kommunisten allerdings der Norden des Landes. In den strukturschwachen Industrieregionen fahren sie seit Jahren die besten Ergebnisse ein. Eine „gesellschaftlich angemessene“ Neudefinition des Förderlimits für Braunkohle soll diesen Trend fortsetzen und die angeschlagene Wirtschaft ankurbeln.

„Arbeit statt Sozialabgaben“ lautet das erklärte Ziel der KSČM. Um das zu erreichen sollen Großprojekte wie etwa der Bau des Donau-Oder-Elbe-Kanals angeschoben werden. Beschäftigung für Absolventen soll garantiert werden – und zwar über Steuervorteile oder Subventionen für Unternehmen, die Stellen für Berufseinsteiger schaffen.

Ideenloser Wahlkampf
Die Staatskasse soll unter anderem durch eine progressive Besteuerung gefüllt werden – die Rede ist von einem Spitzensatz von 35 Prozent. Die Kommunisten wollen zudem Politiker und hohe Beamte zur Offenlegung ihrer Eigentumsverhältnisse verpflichten.

Das Streitthema Kirchenrestitution spielt für die KSČM auch in diesem Jahr wieder eine Rolle. Die nach jahrzehntelanger Diskussion verabschiedete Regelung über die schrittweise Rückführung des nach 1948 verstaatlichten Kircheneigentums will die KSČM am liebsten wieder abschaffen und fordert zu diesem Zweck ein Referendum.

Im Wahlkampf präsentiert sich die KSČM weitestgehend ideenlos. Ansprechen möchte man das Wahlvolk über Mund-zu-Mund-Propaganda und öffentliche Kundgebungen.

„Mit den Menschen für die Menschen“ („S lidmi pro lidi“) lautet der Wahlspruch der Kommunisten. In sozialen Netzwerken ist die KSČM zwar präsent, eine professionelle Kampagne betreiben sie dort aber nicht. Mit geschätzten 10 Millionen Kronen (etwa 390.000 Euro) warten die Kommunisten mit einem der sparsamsten Budgets auf.

Obwohl die KSČM – nachdem sie seit einem Jahr auf Kreis-ebene Regierungsverantwortung übernimmt – nicht mehr als Schreckgespenst der politischen Gegner dienen kann, und obwohl politische Beobachter eine Fortsetzung des Aufwärtstrends auch auf Landesebene vorausgesagt haben, wird die Partei laut jüngsten Wahlumfragen kaum über die Ergebnisse der Vorjahre hinauskommen. Demnach würde sie bei knapp über 10 Prozent landen. Einer Studie der Agentur STEM/MARK zufolge liegt das unter anderem an einer Abwanderung von KSČM-Wählern zur neuen Konkurrenz: zur Zeman-Partei SPOZ.

Viele Politologen können sich durchaus vorstellen, dass demnächst eine Mitte-Links-Regierung (ČSSD oder ČSSD/SPOZ) mit stiller Duldung der Kommunisten die Geschicke des Landes lenken wird.

IM PROFIL

Gründung: 1990
Parteivorsitzender: Vojtěch Filip
Hauptsitz: Politických vězňů 9, Prag 1
Ausrichtung: links, kommunistisch
Europapartei: Beobachterstatus bei der Europäischen Linken (EL)
EP-Fraktion: Konföderale Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordischen Grünen Linken(GUE/NGL)
Mitgliederzahl: 53.200 (12/2012)
Farbe: Rot
Mandate im Abgeordnetenhaus: 26/200
Mandate im Senat: 2/81
Mandate im Europaparlament: 4/22