Schmerzhafte Metamorphosen
Das achte „Filmfest“ verbindet aktuelle Tendenzen deutschsprachigen Kinos mit viel Geschichte und einer Retrospektive
10. 10. 2013 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: Das Filmfest (Szene aus dem Film "Freier Fall")
Es ist eine seltsame neue Welt, in die sich so manch ein Heranwachsender hineingeworfen fühlt. Die schier endlose Fülle an Möglichkeiten entpuppt sich als riesige Qual der Wahl, der man irgendwann nicht mehr gewachsen ist. Filme, die derartige Probleme von jungen Menschen in Szene setzen, bekommen die neudeutsche Genre-Einteilung „Coming-of-Age“ verpasst. Und normalerweise geht es dabei um Adoleszente zwischen 13 und 20 Jahren. Normalerweise.
Das am 16. Oktober in Prag beginnende Festival deutschsprachiger Filme widmet sich in seiner achten Auflage besonders der „Generation Y“, also der Generation um die 30, die offenkundig derartige Orientierungsprobleme aufweist. Vom 23. bis 27. Oktober ist „Das Filmfest“ dann in Brünn zu Gast.
In den vier Kategorien „Das Filmfest Spezial“, „DEFA“, „Die Doku“ und „Generation Y“ laufen insgesamt 28 Beiträge aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie bilden ein Schaufenster des deutschsprachigen Films, das dem Publikum in den Kinos Lucerna und Atlas teilweise heitere, meist aber nachdenkliche Einblicke in die Lebenswelten moderner Wohlstandsgesellschaften gibt.
Besonders authentisch gelingt dies Stephan Lacant in „Freier Fall“. In seinem Spielfilmdebüt erzählt der 41-jährige Essener die Geschichte eines jungen Polizisten, dessen Leben bestens vorgezeichnet ist. Marc geht ehrgeizig einer steilen Karriere entgegen, das Eigenheim steht schon und der Nachwuchs ist unterwegs. Nichts scheint diesen Werdegang zu stören, als sich der Musterschwiegersohn plötzlich in ein emotionales Chaos verwickelt sieht – homosexuelle Gefühle für seinen Arbeitskollegen Kay standen nicht auf seinem Lebensplan. Nicht zuletzt dank großartiger Darsteller (Hanno Koffler, Max Riemelt) weiß „Freier Fall“ sehr zu überzeugen; der Film läuft in der Kategorie „Generation Y“.
In derselben Sparte sind noch weitere cineastische Ausrufezeichen zu finden. „Oh Boy“ von Jan Ole Gerster mit Tom Schilling in der Hauptrolle des dauerentfremdeten Studienabbrechers Niko glänzt mit ästethisch-verträumten Bildern der Berliner Großstadt-Bohème. Im österreichischen Beitrag „Local Heroes“ von Henning Backhaus kämpft der Endzwanziger Thomas mit ähnlichen Problemen – er weiß mit sich und seiner Existenz nicht so richtig umzugehen und sucht seinen Platz in der Gesellschaft. Die eingangs erwähnte adoleszente Verwirrung, sie zieht sich weit ins Erwachsenenalter hinein. Auch an der Schwelle zum dritten Lebensjahrzehnt träumen die Protagonisten jener Filme vor sich hin und scheuen die Realität, die sie ihrer Ideale berauben wird. Dessen sind sie sich zumindest tief im Inneren sehr sicher. Nur der anstehenden schmerzhaften Metamorphose wollen sie sich partout nicht stellen.
Wohltuende Kontraste
Es sind nicht selten die Erfahrungen von Vertretern jener Generation selbst, die diese nun filmisch umsetzen. Doch nicht jeder Beitrag in jener Festival-Sparte weiß zu überzeugen. „Nachtlärm“ von Georg Schaub soll Roadmovie, Beziehungsdrama und kecke Komödie in einem sein – kombiniert mit faden Allgemeinplätzen wird hier das Talent von Alexandra Maria Lara und Georg Friedrich leider ziemlich pietätlos verschwendet. Da half auch das Drehbuch von Bestseller-Autor Martin Suter nicht.
Hat man sich an den tiefenpsychologischen Soziologiestudien von Lacant, Gerster und Co. gütlich getan, werden die reiferen Werke der Kategorie „Das Filmfest Spezial“ einen wohltuenden Kontrast darstellen. Als einen der Höhepunkte darf man ohne Umschweife Margarethe von Trottas „Hannah Arendt“ bezeichnen. Darin werden die Erlebnisse der Philosophin während des Eichmann-Prozesses in Israel Anfang der sechziger Jahre und die Entstehung ihres Werks „Die Banalität des Bösen“ nacherzählt. Von Trotta gelingt dies einfühlsam und mit der nötigen Distanz.
Georg Maas’ „Zwei Leben“ um eine aus der DDR geflüchtete Frau, die mit ihrer Vergangenheit konfrontiert wird, geht ins Rennen um den Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Beitrag.
In der Kategorie „Die Doku“ darf sich der Kinogänger auf Paul-Julien Robert und seine autobiografische Forschungsreise „Meine kleine Familie“ freuen. Der in den siebziger Jahren in eine Kommune hineingeborene Wiener behandelt anhand seiner engsten Verwandtschaft und vor allem sich selbst die Frage, wie und auf welchen Prinzipien sich das Zusammenleben in einer alternativen Gemeinschaft entwickelt.
Vier DEFA-Produktionen, allesamt Literaturverfilmungen (unter anderem „Till Eulenspiegel“ und „Der Untertan“), runden das vielseitige Angebot des Filmfestivals mit einer Mini-Retrospektive ab.
Am Freitag, 18. Oktober kommen Freunde des Kurzfilms im Kino Atlas in den Genuss eines entsprechenden Themenabends. Vielleicht lassen sich dort ja die neusten Tendenzen jungen deutschsprachigen Filmschaffens bereits erkennen – „Generation Z“ wartet schon.
Programminformationen unter www.dasfilmfest.cz oder hier!
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