Premier gegen Präsident

Streitthema Flüchtlingskrise: Sobotka und Zeman geraten aneinander
1. 12. 2015 - Text: Ivan DramlitschText: Ivan Dramlitsch; Foto: ČTK/Michal Kamaryt
„Der Präsident als höchstes Verfassungsorgan eines Landes mit tiefer humanistischer und demokratischer Tradition sollte nicht auf Versammlungen fremdenfeindlicher Sekten auftreten, wo intensiver Hass geschürt wird. Miloš Zeman hat sich zu den Populisten gesellt, die die Sorgen der Menschen vor dem Islamischen Staat und der Migrationskrise für ihre Zwecke instrumentalisieren.“ Nicht wenige rieben sich verwundert die Augen angesichts dieser klaren Worte von Tschechiens Premierminister Bohuslav Sobotka an Präsident Miloš Zeman. Der Sozialdemokrat galt bisher eher als konfliktscheuer Leisetreter, derartige direkte Attacken kannte man von ihm nicht.
Allerdings war diesen ungewohnten Worten auch ein ungewöhnlicher Vorgang vorausgegangen. Dass nämlich Staatsoberhaupt Zeman am 17. November, dem Jahrestag der „Samtenen Revolution“, als Redner auf einer Veranstaltung auftrat, an der sich auch der rechtsradikale „Block gegen den Islam“ beteiligte – gegen dessen Chef mittlerweile wegen Volksverhetzung ermittelt wird –, haben neben Sobotka auch viele andere Politiker aller Lager und weite Teile der Öffentlichkeit als einen Tabubruch begriffen. Menschenrechtsminister Jiří Dienstbier (ČSSD) sprach gar davon, Zeman bereite einer „Faschisierung der Gesellschaft“ den Boden.
Ungewohnt defensiv
Die ungewöhnlich deutlich formulierte Kritik an seiner Person muss wohl auch den für seine Schlagfertigkeit bekannten Zeman überrascht haben, denn seine ersten Reaktionen fielen ungewohnt defensiv aus und klangen wie Rechtfertigungsbemühungen. Nach ein paar Tagen fand er aber zur alten Form zurück und teilte in gewohnter Manier aus. Zunächst bezeichnete er Sobotkas Kritik an seinem Auftritt am 17. November als „bubenhafte Frechheit“, kurz darauf beschuldigte er den Premierminister in einem Interview mit der Tageszeitung „MF Dnes“, mit seiner Haltung zur Migrationskrise gefährde er die Sicherheit Tschechiens. Es sei naiv anzunehmen, dass zwischen der Migrationswelle und dem Terrorismus kein Zusammenhang bestehe. „Mit seiner Zögerlichkeit, seiner Unentschlossenheit und anderen vermeintlich friedfertigen und humanistischen Gesten nimmt er die reale Gefahr nicht zur Kenntnis; ich halte im Unterschied zu ihm die Migrationskrise für eine organisierte Invasion“, sagte Präsident Zeman.
Und nicht nur das – Zemans Position zur Migrationskrise im Speziellen und zum Islam im Allgemeinen ist auch für ostmitteleuropäische Verhältnisse radikal: Der europäischen Kultur drohe eine Niederwälzung, zum Eindämmen der Migration müsse die Armee eigesetzt werden. Ziel dieser „gut organisierten und gut bezahlten Invasion“ sei es, die europäischen Strukturen zu zerstören. Der Islam sei eine „Religion des Hasses“, ein gemäßigter Muslim ein „Widerspruch in sich“. Der Islamische Staat schleuse „unzweifelhaft“ Dschihad-Kämpfer in den Migrationsstrom – das ist nur eine kurze Auswahl Zemanscher Wortmeldungen in den vergangenen Monaten.
Premier Sobotka reagierte auf den Angriff Zemans diesmal betont sachlich und wies die Kritik zurück: Die Regierung habe die Sicherheitssituation „voll unter Kontrolle“. Mehrere Minister und Politiker auch anderer Parteien nahmen den Regierungschef in Schutz und rügten den Präsidenten. Sobotka bekräftigte zudem seine ursprüngliche Kritik. „Die Gefahr geht von den Terroristen aus, nicht von jenen, die vor ihnen fliehen“, grenzte er sich nochmal deutlich vom Staatsoberhaupt ab.
Offen ist bislang, ob der 44-Jährige damit seiner inneren Überzeugung oder eher – wie das Nachrichtenmagazin „Respekt“ mit Berufung auf Parteiquellen mutmaßt – wahltaktischen Überlegungen folgt. Demnach gäbe es eine Absprache zwischen Sobotka und seinem Innenminister Milan Chovanec (ČSSD), der mit einer harten Haltung in Flüchtlingsfragen migrationskritische und „besorgte“ Wählermilieus binden soll. Sobotka solle im Gegenzug das freundliche, weltoffene Gesicht repräsentieren und die Sozialdemokratie damit auch für das liberale Stadtbürgertum interessant machen.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“