Pragers Architektur

Pragers Architektur

Die Nationalgalerie zeigt das Werk eines radikalen Visionärs

2. 10. 2013 - Text: René PfaffText: René Pfaff; Foto: Jirka23

 

Karel Prager gehört zweifellos zu den größten und auch meistdiskutierten tschechischen Architekten des 20. Jahrhunderts. An seinem Zeichenbrett entstanden Meilensteine wie zum Beispiel das Gebäude der Föderalversammlung der Tschechoslowakei am oberen Ende des Wenzelsplatzes (heute Teil des Nationalmuseums) oder die Neue Bühne des Nationaltheaters.

Der Baumeister jener Großprojekte kam 1923 im südmährischen Kroměříž zur Welt. Nach dem Besuch der Technischen Hochschule in Brünn und einer kurzen Beschäftigung bei einer Baufirma in seiner Heimatstadt zog es den jungen Mann nach dem Zweiten Weltkrieg in die Hauptstadt. Dort studierte er Architektur. Den Mittelpunkt seines beruflichen Schaffens bildete nach dem Studium – von einem kurzen Intermezzo in Ostrava abgesehen – durchgängig die Moldaumetropole. Prager starb 2001 im Alter von 77 Jahren.

Unter dem Titel „Architekt, Baumeister, Visionär“ widmet die Nationalgalerie dem Architekten in dessen 90. Geburtsjahr eine umfangreiche Werkschau. Im Mezzanin des Messepalastes in Holešovice stößt der Besucher daher nicht allein auf Pläne und Fotos realisierter Projekte. Teil der Schau sind auch Entwürfe und Modelle von Vorhaben, die nicht umgesetzt wurden. Eine dieser Skizzen verrät viel über den kompromisslosen Charakter des Architekten. Es handelt sich um den Entwurf einer Erweiterung des Altstädter Rathauses um eine moderne, gläserne Pyramide, die wie ein Erker an den erhaltenen Teil anschließt und zugleich mächtig auf das historische Ensemble des Altstädter Rings ausgreift. Das Gesamtbild des zentralen Platzes wäre von Pragers Konstrukt  geradezu dominiert worden.

Wenig Rücksicht
Doch auch verwirklichte Projekte sind radikal und kompromisslos und passen sich nur sehr begrenzt an ihre Umgebung an. Sein wohl bekanntestes Bauwerk, die bereits erwähnte Neue Bühne (Nová scéna) des Nationaltheaters, ist ein gutes Beispiel für dieses Selbstbewusstsein Pragers. Die aus Glaswürfeln zusammengesetzte Front des Prestigebaus, der ja selbst ein einziger großer Würfel ist, steht in krassem Gegensatz zur Neorenaissance des angrenzenden historischen Nationaltheaters mit seiner verspielten Fassade und dem prächtigen goldenen Dach. Vielen scheint diese Architektur zu dominant. Sie nimmt zu wenig Rücksicht auf bereits Bestehendes. Wieder andere bewundern gerade diese entschlossene Unnachgiebigkeit in Pragers Stil.

Er selbst verstand sein Schaffen durchaus als (sozialistische) Avantgarde, die allerdings nicht ohne belehrenden Unterton auskam: „Nur große Kunstwerke nehmen entscheidenden Einfluss auf die kreativen Ideen der breiteren künstlerischen Gemeinschaft.“ Futuristische Modelle ganzer Stadtteile widerspiegeln diese sich selbst zugeordnete Vorreiterrolle Pragers; beispielsweise die nie realisierte Wohnsiedlung in Prag–Košíře.

Bei Prager kommt es allerdings niemals, wie bei Le Corbusier beispielsweise, zu übersteigerten Exzessen der eigenen Radikalität, die Maß und Mitte um ihrer selbst Willen verlieren. Bei Prager ist der Geist des tschechischen Funktionalismus spürbar, trotz aller Radikalität stand denn auch stets der Mensch im Mittelpunkt seines Schaffens. Die Stadt, so war eine seiner Maximen, sollte für den Menschen da sein – und nicht umgekehrt.

Karel Prager: Architekt, Baumeister, Visionär. Veletržní palác (Messepalast/Dukelských hrdinů 47, Prag 7), geöffnet: täglich außer montags 10–18 Uhr, Eintritt: 100 CZK (ermäßigt 50 CZK), bis 5. Januar 2014

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