Nebenjob mit Glühweinduft

Ein Blick hinter die Kulissen der Prager Weihnachtsmärkte
4. 12. 2014 - Text: Peter HuchText: Peter Huch; Foto: Stadt Prag
Die einen sind auf der Suche nach Glühwein und gebrannten Mandeln, nach Christbaumkugeln und Besinnlichkeit. Die anderen stehen sich von morgens bis abends die kalten Füße in den Bauch, um sich ein wenig dazuzuverdienen. Die Händler auf den Prager Adventsmärkten sind so verschieden wie ihre Waren: Zwischen Weihnachtskitsch und süßem Gebäck findet sich eine Mikrobiologin, die ihre Rente aufbessern muss, ebenso wie ein Blues-Musiker, der von seinem Beruf allein nicht leben kann.
Mit knapp 20 Buden ist der Markt am Tyl-Platz (Tylovo náměstí) eher zierlich geraten. Besucher sind oft Fahrgäste, die an der nahegelegenen Haltestelle I.P. Pavlova auf eine Bahn oder den Bus warten. Ein Stand sticht jedoch hervor. Angeboten werden hier Mandalas in allen Farben und Formen. Der Mann hinter dem Stand heißt Miloš Kalal, ein so stämmiger wie langhaariger Mittvierziger. Während die Kunden und andere Trödler dick eingepackt durch die klirrende Kälte ziehen, ist der gesellige Mann in seinem Stand lediglich mit einem Pullover bekleidet. Besonders glücklich ist er mit seiner Ware jedoch nicht. Er erklärt freimütig, eigentlich Blues-Musiker zu sein. Dem „original tschechischen Blues“ habe er sein Leben verschrieben. Doch die Auftragslage sei nicht so gut. Jedes Jahr zu Weihnachten verdient er sich deshalb ein Zubrot mit dem Verkauf der Mandalas, die seine Chefin in ihrem Prager Atelier entwirft.
Kalal bietet vor allem fertige Kunstwerke an. Bei Bedarf packte er auch direkt am Stand Schablonen und Pulverfarbe aus und führt vor, wie die Mandalas entstehen. Obwohl er den bunten Bildern nicht so viel abgewinnen kann, ist der Musiker mit Herzblut bei der Sache, wenn er den Kundinnen fachmännisch die Motive und Produktionsart erklärt. Seine Augen beginnen aber erst zu leuchten, als er über den Blues erzählt. Schon bald werde er „mit zwei Musikern aus New Orleans, also aus den USA“ eine Show haben, zu der er in einen Prager Klub einlädt.
Dass Tschechien sich im Laufe der Geschichte zu einem der atheistischsten Länder der Welt entwickelt hat, ist auch auf den Weihnachtsmärkten zu erkennen. Neben Mandalas werden zwar auch Engel und Krippenfiguren verkauft – oft allerdings an Buden, in denen nackte Jesuskinder zwischen bunten Pokémons auf Käufer warten. Ein Stand am Náměstí Míru dagegen setzt auf reine Geistlichkeit. Auf großen Postern wird für philosophische Kurse geworben, die Verkaufsfläche ist gefüllt mit allerlei buntem Krimskrams, der sich aus ägyptischen Motiven speist. Die Verkäuferin überrascht mit ihrem Lebenslauf: Die 70-jährige Lida Jůsová ist Doktorin der Mikrobiologie.
Innere Leere
Ihr ganzes Leben habe sie in der Forschung verbracht, erzählt Jůsová. Nachdem sie in den Ruhestand ging, hat sich ihr Leben schlagartig verändert. Einerseits reicht die karge Rente der ehemaligen Universitätsangestellten nicht aus, um halbwegs ordentlich über die Runden zu kommen, andererseits machte sich auch eine gewisse innere Leere breit und sie begann nach dem Sinn des Lebens zu suchen. Dass ihr Stand nichts mit christlichen Bräuchen zu tun hat, ist ihr nicht so wichtig. Die europäische Kultur habe sich ohnehin aus Ägypten heraus entwickelt, erklärt die Mikrobiologin. Trotzdem weist sie auf die Innenwand, an der neben allerhand göttlichen Mischwesen auch, halb im Verborgenen, die Büste Karls des IV. steckt. „Auch er ist einer der geistigen Väter unserer Gemeinschaft.“ Mit seinem bunten Allerlei ägyptischer Kitsch-Artefakte ist der skurrile Stand wie geschaffen für Kinder. Sie tummeln sich um die Waren, als gäbe es einen Esel zu streicheln. Doch von Kindern will Jůsová am Stand eigentlich nichts wissen: „Die sind viel zu jung für unsere Angebote.“
Weniger spirituell geht es bei einem Verkäufer am Náměstí Republiky zu. Er wirbt mit den Worten „Filzpantoffeln für die Mutter“ für seine Ware. Das Geschenk sei ideal, „besser als Socken“. Stolz beschreibt der Mann sein Produkt und kommt dann schnell auf seine Heimat zu sprechen, die im Südosten Europas liegt. Als er Kamera und Notizblock des Reporters sieht, ist es mit der Gesprächigkeit jedoch vorbei. So laut er den potenziellen Kunden an den Stand gelockt hat, so schnell und wortlos scheucht er den Journalisten weg zur Konkurrenz.
Am Nachbarstand bietet Kristýna ebenfalls warme Kleidung an. Kunden versucht die Rentnerin mit Weihnachtsmusik vom Band anzulocken, es klingt allerdings etwas blechern. Für mehr Weihnachtsstimmung sorgen die zahlreichen Glühweinstände, die sich auf fast allen Plätzen der Altstadt tummeln. Um auf sich aufmerksam zu machen, müssen die Verkäufer mit einem Alleinstellungsmerkmal werben. Am Tyl-Platz sind das die Pflaumen: „Das gibt es nur bei uns“, lacht die Studentin Tereza und schenkt eine Tasse ein.
Weihnachtsmärkte in Prag
Staroměstské náměstí: bis 1. Januar, geöffnet: täglich 10–22 Uhr
Václavské náměstí: bis 1. Januar, geöffnet: täglich 10–22 Uhr
Náměstí Republiky: bis 24. Dezember, geöffnet: täglich 10–19 Uhr
Náměstí Míru: bis 24. Dezember, geöffnet: täglich 10–19 Uhr
Náměstí Jiřího z Poděbrad: bis 20. Dezember, geöffnet: täglich 10–19 Uhr
Tylovo náměstí: bis 24. Dezember, geöffnet: täglich 10–19 Uhr
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