Musikalische Langzeitwirkung

Musikalische Langzeitwirkung

Der deutsche Pianist Gerhard Oppitz tritt beim Festival Lípa Musica zweimal in Nordböhmen auf

7. 8. 2014 - Text: PZ, Foto: Concerto Winderstein

Die Plätze sind begehrt: Für das Abschlusskonzert des Musikfestivals Lípa Musica im Oktober gebe es schon jetzt nur noch wenige Karten, teilte der Veranstalter kürzlich mit. Die PZ sprach mit Gerhard Oppitz, der sowohl beim Abschlusskonzert des Festivals in Nový Bor auftreten wird als auch bei einem Konzert in Teplice. Der 1953 im niederbayerischen Frauenau geborene Pianist feierte seinen internationalen Durchbruch 1977, als er als erster Deutscher den Arthur-Rubinstein-Wettbewerb in Tel Aviv gewann. Es folgten Konzertreisen durch Europa, Japan und die USA. Heute gilt Oppitz als führender Brahms-Interpret. Außerdem ist er für seine Aufführungen kompletter Werkzyklen bekannt: Beim Rheingau-Musikfestival spielte er alle Solowerke Schuberts in elf abendfüllenden Programmen. Zuletzt präsentierte er den Beethoven-Sonaten-Zyklus in Tokio.

Als Sie Ihr erstes Konzert gegeben haben, waren Sie elf Jahre alt. Waren Sie nervös?

Gerhard Oppitz: Soweit ich mich erinnern kann, war mein erstes öffentliches Konzert für mich ein vergnügliches Erlebnis, ohne Nervosität und Lampenfieber. Ich ging gerne auf die Bühne hinaus, niemand musste mich dazu überreden, und das Zusammenwirken mit den Musikern des Orchesters machte mir große Freude. Damals spielte ich das Klavierkonzert d-Moll KV 466 von Mozart, ein Werk, dem ich später immer wieder begegnete und das für alle Pianisten eine höchst anspruchsvolle Aufgabe darstellt. Heute, bei aller Begeisterung für diese großartige Komposition, bereitet mir dieses Stück immer wieder Kopfzerbrechen – als Elfjähriger hatte ich keinerlei Selbstzweifel, ich ging damals unbekümmert und furchtlos an die Aufführung heran. Ich denke, das ist ein Privileg der Kinder und Jugendlichen, gerade im Umgang mit Mozarts Musik, und wir Künstler finden vielleicht erst im höheren Alter wieder zu dieser Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit zurück.

Wie ergeht es Ihnen heute, wenn Sie mit den bekanntesten Orchestern der Welt spielen?

Oppitz: Jede Neubegegnung und auch jede Wiederbegegnung mit einem Orchester hat den Charakter eines Abenteuers. Alle Proben und Aufführungen bieten sowohl den Solisten und Dirigenten als auch den Orchestermusikern die Chance, voneinander zu lernen und ihren Erfahrungshorizont zu erweitern. Sobald die Orchesterspieler bemerken, dass ein Solist ihnen gut zuhört und zusammen mit ihnen musikalische Vorgänge im Sinne eines Dialogs gestaltet, werden sie inspiriert und beseelt spielen. Ich habe aus dem Zusammenwirken mit Orchestern immer wieder wertvolle Anregungen auch für das Interpretieren von Klavier-Solowerken erhalten.

Sie werden als Brahms-Experte bezeichnet. Was begeistert Sie so an den Werken des Komponisten?

Oppitz: Brahms hat mit großem Erfolg versucht, all das weiterzuführen, was er von seinem hochverehrten Vorgänger Beethoven geerbt hat, insbesondere die bewundernswerte Souveränität bei der Gestaltung von Struktur und Form, und ebenso das Streben nach Vertiefung des musikalischen Ausdrucks. Mit seiner Musik möchte er nicht so sehr den Zuhörern einen momentanen Genuss bereiten, sondern vielmehr eine nachhaltige Langzeitwirkung erzielen. Wenn ich seine Werke spiele, freue ich mich darüber, wenn ich für die Kunst von Brahms neue Freunde gewinnen kann, die auch in den Wochen und Monaten danach über den Komponisten und über seine künstlerischen Anliegen nachdenken.

Auch beim Festival Lípa Musica werden Sie Brahms spielen. Auf dem Programm beim Konzert in Teplice stehen „Variationen und Fuge B-Dur“ nach einem Thema von Georg Friedrich Händel. Was erwartet die Zuhörer?

Oppitz: In den Händel-Variationen baut Brahms eine wunderbare Brücke über mehrere Generationen und mehrere Perioden der Musikgeschichte hinweg. Er lässt sich von der Aria Händels – die übrigens auch für Händel selbst Ausgangspunkt zu einem eigenen Variations-Zyklus war – inspirieren, und er führt dieses Thema durch unterschiedliche Landschaften und durch wechselvolle Abenteuer. In manchen Variationen steht der barocke Stil mit kontrapunktischen Strukturen im Mittelpunkt, andere Variationen lehnen sich an rokokohafte Manieren an, wieder andere Teile bekennen sich zum Stil der Hochromantik – eine Variation macht einen Ausflug auf das Terrain der in Ungarn seinerzeit beliebten rhapsodischen Zigeunermusik –, bevor er das ganze Opus mit einer grandiosen Fuge krönt. Also, diese Händel-Variationen eröffnen einen weiten Radius der musikalischen Vorstellungskraft, und sie bieten einen tiefen Einblick in die Persönlichkeit des Komponisten, der Intelligenz und Emotionen in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander stellen konnte.

Außerdem werden Sie die Impromptus Nummer 1 bis 4 von Franz Schubert erklingen lassen. Weshalb gleich alle vier?

Oppitz: Schon als ich diese vier Impromptus in meiner Jugendzeit kennenlernte, hatte ich den Eindruck, dass dies eigentlich eine zusammenhängende Komposition ist, im Prinzip so wie viele seiner großen Sonaten für Klavier. Das erste Stück in f-Moll hat die Rolle eines Sonaten-Anfangssatzes, das vierte Stück ebenfalls in der Ausgangs-Tonart f-Moll ist ein turbulentes Finale, während die Stücke Nummer 2 und 3 eher Besinnlichkeit und Kontemplation thematisieren. Wenn man an dieses Konzept glaubt, entfaltet das Ganze die Wirkung einer zusammenhängenden Sonate, vergleichbar den letzten fünf Sonaten, die Schubert in den gleichen Jahren geschrieben hat.

Bei Ihrem zweiten Auftritt im Rahmen des Festivals werden Sie mit der Prager Kammerphilharmonie Ludwig van Beethovens „Kaiserkonzert“ aufführen. Haben Sie mit dem Orchester schon öfter zusammengearbeitet?

Oppitz: Die Musikerinnen und Musiker der Prager Kammerphilharmonie bewundere ich sehr, und ich freue mich sehr auf diese Wiederbegegnung. Wir haben im Jahr 2000 zusammen mit dem großartigen Dirigenten Jiří Bělohlávek das Klavierkonzert von Antonín Dvořák im Spanischen Saal der Prager Burg gespielt, nachdem wir einige Tage zuvor auch eine CD-Aufnahme dieses Stücks gemacht hatten. In der Zwischenzeit habe ich mit Vergnügen immer wieder Aufführungen und Aufnahmen dieses Orchesters gehört.

Sie haben zuletzt eine CD mit japanischer Klaviermusik veröffentlicht. Wie kam es dazu? Was unterscheidet diese Musik von europäischer Klaviermusik?

Oppitz: Japan und die japanische Kultur spielen in meinem Leben seit vierzig Jahren eine bedeutende Rolle, seit vierzig Jahren bin ich mit einer Japanerin verheiratet, viele Konzertreisen habe ich nach Japan unternommen, zahlreiche japanische Studentinnen und Studenten habe ich seit 1982 an der Münchner Hochschule betreut – das alles hat dazu geführt, dass ich mich intensiv mit der Geschichte und Kultur Japans befasst habe, dass ich die japanische Sprache und Schrift gelernt habe und dass ich eine ganze Reihe japanischer Komponisten kennenlernen durfte. Um meine Bewunderung für mehrere Generationen von Komponisten zu unterstreichen, habe ich vor einigen Jahren Werke von vier Künstlern auf einer CD zusammengefasst – den beiden älteren, Moroi und Takemitsu, bin ich nicht mehr begegnet, sie sind schon vor längerer Zeit gestorben, aber mit Ikebe und Fujiie bin ich nach wie vor freundschaftlich verbunden, sie sind beide erfüllt von Schaffenskraft. In Japan hat mein Plädoyer ein großes Maß an Aufmerksamkeit gefunden, nachdem die Musik japanischer Komponisten zwar immer wieder von japanischen Interpreten, aber höchst selten von Nicht-Japanern präsentiert wird. Beim Hören der von mir ausgewählten Werke kann man herausfinden, inwieweit jeder einzelne Komponist den Einfluss europäischer Musiktradition auf die japanisch-orientierten „Wurzeln“ des künstlerischen Selbstverständnisses zur Wirkung kommen lässt.

Sie sind ein begeisterter Pilot. Werden Sie auch zu den Konzerten in Teplice und Nový Bor selbst fliegen?

Oppitz: Die Flugzeuge, die ich seit vielen Jahren fliege, benötigen für Start und Landung relativ lange Landebahnen – es sind kleine Jets, die im Reiseflug ungefähr die selben Geschwindigkeiten wie die großen Verkehrsflugzeuge erreichen. In der Gegend von Teplice und Nový Bor gibt es keine geeigneten Flugplätze dafür, so dass ich bei meinen Reisen „auf dem Boden“ bleiben werde. Ich fliege aber immer wieder gerne größere Strecken innerhalb von Europa mit dem Flugzeug zu den Konzerten. Mit dieser Kategorie von Flugzeugen ergibt das für Kurzstrecken nicht so viel Sinn, eher für Entfernungen zwischen 1.000 und 3.000 Kilometer.

Stimmt es, dass Sie sieben Sprachen beherrschen? Gehört Tschechisch auch dazu?

Oppitz: Also, bei zwei Sprachen habe ich schon wieder vieles vergessen, was ich früher kannte – das betrifft Russisch und Hebräisch –, und wenn ich diese beiden jeweils als „halbe“ Sprache rechne, kommen tatsächlich sieben zusammen. Ich bedauere sehr, dass Tschechisch nicht dazugehört. Die ersten zehn Jahre meines Lebens habe ich im Bayerischen Wald verbracht, nur ein paar Kilometer entfernt von der Grenze zwischen Bayern und Tschechien. Diese Grenze war aber damals kaum durchlässig, im Alltag gab es fast keine Chance für Kontakte zwischen den Menschen zu beiden Seiten des Vorhangs. Zum Glück hat sich das seit einem Vierteljahrhundert gründlich geändert. Könnte ich heute dort als Kind aufwachsen, würde ich natürlich meiner Neugier folgen und die Chance wahrnehmen, auch die Sprache unserer Nachbarn zu lernen.

Lípa Musica
Das Internationale Musikfestival Lípa Musica beginnt am Samstag, 20. September, um 19 Uhr mit einer Operngala in Česká Lípa. Beim Abschlusskonzert am Samstag, 25. Oktober, um 19 Uhr in Nový Bor werden Gerhard Oppitz und die Prager Kammerphilharmonie PKF unter Leitung von Tomáš Brauner Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 in Es-Dur spielen; außerdem erklingt an diesem Abend Antonín Dvořáks Symphonie Nr. 9 in e-Moll („Aus der Neuen Welt“). Gerhard Oppitz tritt zudem am Donnerstag, 23. Oktober, um 19 Uhr in Teplice auf. Beim 13. Jahrgang des Festivals werden insgesamt 20 Konzerte gegeben, die meisten davon in Nordböhmen. Auch im benachbarten Sachsen – in Zittau, Schirgiswalde und Großschönau – finden Veranstaltungen statt. Weitere Informationen, Programm und Karten unter www.lipamusica.cz/de

Weitere Artikel

... von PZ
... aus dem Bereich Kultur

Abonniere unseren Newsletter