Mit Stift und Zettel um die Welt

Mit Stift und Zettel um die Welt

Miroslav Šašek malte Städte und Länder für Kinder – aber nicht seine Heimat Prag. Die schönsten Zeichnungen erscheinen zum 100. Geburtstag des Künstlers in einem Bildband

14. 9. 2016 - Text: Franziska GerlachText: Franziska Gerlach; Foto: Verlag Antje Kunstmann

Auf dem Papier reist er bis heute. Denn in seinen Städte- und Länder­büchern für Kinder taucht der 1980 verstorbene Miroslav Šašek gerne selbst auf. Die meisten seiner Geschichten beginnen damit, dass er als Tourist mit energischem Schritt die Szene betritt. Manchmal blickt er auch keck auf einen Weg­weiser, die Zeichenmappe stets fest unter den Arm geklemmt.

Šašeks Werk umfasst 18 Bände, deren Titel immer mit „This is …“ beginnt. Metropolen wie Rom, Paris, San Francisco und Hong Kong hat er gemalt und auch München, wo er in den fünfziger Jahren lebte. Später reiste er nach Israel und Australien. Nur einer Stadt konnte sich der Künstler nicht mit dem Zeichenstift nähern: seiner Heimat Prag, wo er am 16. November 1916 im Stadtteil Žižkov geboren wurde. Kurz vor seinem 100. Geburtstag erscheint diese Woche der Bildband „Rund um die Welt“, der die schönsten 248 Seiten seiner reich bebilderten Reiseführer zusammenfasst.

Zwei Koffer, vollgepackt mit Mal- und Zeichenutensilien – mehr soll der Künstler nicht mitgenommen haben, wenn er loszog, um eine Stadt zu erkunden. Insgesamt 15 Jahre lang tingelte der Kinderbuchautor und Illustra­tor, dessen Stil manche Grafiker bis heute inspiriert, durch die Welt. Mit feinem Strich und Sinn für Humor porträtierte er nicht nur die Sehenswürdigkeiten der Städte, den Piccadilly Circus in London und die Piazza Venezia in Rom, sondern auch die kleinen Dinge, wie etwa die streunenden Katzen von Paris oder den Hot-Dog-Verkäufer in New York: Es war vor allem das Leben, das er zu fröhlichen Aquarellen ausarbeitete. Obwohl – vielleicht auch gerade weil – sich sein eigenes zunächst nicht so fröhlich gestaltete.

Šašek verlor bereits mit zehn Jahren seinen Vater, schreibt Roland Opschondek in „Schönere Heimat“, einer Zeitschrift des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege. Mit der Machtübernahme der Kommunisten im Jahr 1948 schlug für den Künstler auch die Tür zu seiner Heimat zu. Er hielt sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Paris auf, wo er an der „École des Beaux-Arts“ studierte. Noch zu Prager Zeiten – er hatte dort Architektur und Malerei studiert – hatte er Cartoons für Zeitungen wie „České slovo“ und „Večerník“ gezeichnet, aber auch tschechische Kinder­bücher illustriert. Seine Verleger hatten die Kommunisten nach der Machtübernahme inhaftiert, weshalb  auch für Šašek eine Rückkehr nach Prag zu riskant war.

Das Spiel mit den Stereotypen nahm Šašek offenbar niemand krumm.

Stattdessen zog er mit seiner Frau nach München, um dort von 1951 bis 1957 für den Sender „Radio Free Europe“ (RFE) zu arbeiten, der Hörer hinter dem Eisernen Vorhang während des Kalten Krieges mit Informationen aus dem Westen versorgte.

Föhn und Dackel
Wer Šašek in seinen Bildern durch München folgt, seine kurzen, lakonischen Texte liest, mit denen er die Seiten des 1961 erschienen Bandes versehen hat, der begegnet einem Mann zwischen den Kulturen. An der Isar ist er fremd und doch daheim. Die Eigenheiten der Stadt fängt er mit kindlicher Neugier und Liebe zum Detail ein, ohne seine Darstellungen zu überfrachten. Das Hofbräuhaus von innen und außen, Frau Huber mit ihrem Dackel, der Föhn als riesiges, schwarzes Gespenst mit Krakenarmen, das vom Himmel hinab züngelt.

Šašeks Blick auf die Städte, deren Geist er einfing, ist unverstellt. Wie ein Reporter sammelte er Eindrücke, um sie anschließend zu einer Collage zusammenzusetzen. Und wer weiß, dass Šašek sich in der Tschechoslowakei dem Puppenspiel gewidmet hat, der bekommt den Vergleich mit einer bunten Theaterkulisse nicht mehr aus dem Kopf. Dabei hakte er die Sehenswürdigkeiten der Städte nicht nach einer Prioritäten­liste ab. Besser oder schlechter, das existiert bei ihm nicht. Für Šašek gehören die Tauben auf dem Markusplatz genauso zu Venedig wie der Canal Grande, der Fasching genauso zu München wie das Oktoberfest. Und es tat dem Erfolg seines 1959 erschienen Buches über London keinen Abbruch, dass es mit einem schweren, grauen Block begann: Nebel.

Offenbar nahm Šašek das Spiel mit den Stereotypen niemand krumm. „This is London“, nach Paris sein zweites Städtebuch, wurde zum Bestseller; die „New York Times“ zeichnete es sogar mit dem Preis für das beste illustrierte Kinderbuch aus. Der Markt war bereit: Nach den Entbehrungen des Krieges zog es die Menschen in die weite Welt. Und wer sich das Reisen in den sechziger Jahren nicht leisten konnte, der hatte Šašek.

Den Wert seines Werkes auf eine Marktlücke zu reduzieren, das würde ihm allerdings nicht gerecht. Šašek, der in der Schweiz einem Krebsleiden erlag, bevor sich das Tor zu seiner Heimat 1989 wieder öffnete, verkörpert bis heute mehr: Er ist Künstler, Kinderbuchautor und Kult, und in der Erinnerung mancher Weggefährten bleibt er ein ewig Reisender. Er sei jemand gewesen, der unentwegt im Zimmer auf und ab ging, während seine Geschichten aus ihm herausschossen wie das Papier aus einem Drucker, ist bei Opschondek zu lesen.

Gleichzeitig war da aber auch das Schwere, die Melancholie. „Irgendetwas in seiner Natur hielt ihn davon ab, wirklich glücklich zu sein“, sagte Jeffrey Simmons über ihn, Šašeks Verleger in London. Als er Šašeks Erstling 1958 auf den Tisch bekam, sei er sofort „verzaubert“, gewesen, zitierte der „Spiegel“ Simmons vor drei Jahren. Er verkaufte Šašeks Bücher nach Deutschland, nach Frankreich und in die USA, überallhin. Die Gabe des Tschechen, das Wesen einer Stadt über Details zu offenbaren, kam an.

Wie hätte Šašek wohl Prag dargestellt, seine Geburtsstadt, die er ebenso wie Berlin oder Moskau nie zeichnen konnte? Hätte er den Hradschin gemalt oder die astronomische Rathausuhr? Und wären ihm die Touristenmassen auf der Karlsbrücke ein Augenzwinkern wert gewesen, einen spitzen Kommentar?

Vieles hat sich verändert in der Welt, seit Šašek sie eingefangen hat. Das kann man nicht zuletzt den Anmerkungen entnehmen, mit denen der Verlag Antje Kunstmann den Bildband „Rund um die Welt“ versehen hat. In den meisten Städten wurden Fahrscheinkontrolleure wohl durch Maschinen ersetzt, das Füttern von Tauben ist auf dem Markusplatz in Venedig inzwischen verboten, und statt einer Kamera zücken die meisten Touristen jetzt ein Smartphone. Reisen bucht man mit ein paar Klicks im Internet, ferne Ziele zu erkunden ist schon längst nichts Besonderes mehr. Heute Singapur, morgen Bangkok: Beschaulichkeit und Reflexion sind selten geworden. Wer sie sucht, der findet sie vielleicht in den mittlerweile auch auf Tschechisch erhältlichen Büchern Šašeks wieder.

Miroslav Šašek: Rund um die Welt. Verlag Antje Kunstmann, München 2016, 248 Seiten, 38 Euro, ISBN 978-3-95614-134-8