Die Quelle des Erfolgs
Heinrich von Mattoni machte im 19. Jahrhundert ein Millionengeschäft mit Karlsbader Mineralwasser. Das Tschechische Fernsehen widmet ihm nun ein zwölfteiliges Geschichtsepos
5. 10. 2016 - Text: Katharina Wiegmann, Fotos: Jana Maxerová/CC BY-SA 3.0, Česká televize
Um Mattoni kommt man in Tschechien nicht herum. Fährt man von Bayern nach Prag, markieren gefühlt nicht die Reste der Grenze bei Waidhaus/Rozvadov den Übergang von einem Land ins andere, sondern der fast haushohe Adler, der nach einer Weile am Straßenrand auftaucht: Willkommen im Mattoni-Land. Den Werbeleuten des Karlsbader Unternehmens kam es offenbar nicht in den Sinn, eine überdimensionierte Mineralwasserflasche aufzustellen. Wofür der Adler steht, weiß in Tschechien jeder. Und „Mattonka“ gilt in den Cafés und Kneipen als Synonym für Mineralwasser, ähnlich wie man in Deutschland „Tempo“ sagt, wenn man nach einem Papiertaschentuch fragt.
Regisseur Marek Najbrt hat nun für das Tschechische Fernsehen eine Serie produziert, die ebenso überdimensioniert daherkommt wie der Autobahnadler: Eine 80-minütige Pilotsendung und zwölf einstündige Folgen zeichnen Heinrich von Mattonis Lebensweg nach – oder wie er vielleicht ausgesehen haben könnte. Vom erfolgreichsten Oblatenverkäufer in den Karlsbader Kolonnaden als Schüler bis zum k. u. k. Hoflieferanten und Mineralwassermagnaten. Dazu aufwendige Kostüme, viel Sex, Drama und Betrug. „Aus dem, was wir über Mattonis Leben wissen, geht hervor, dass er eine starke Persönlichkeit war, über die man kein eindeutiges Urteil fällen kann“, kommentiert Najbrt im Gespräch mit dem Tschechischen Fernsehen. Wie viel Wahrheit in der Serie steckt, lassen die Produzenten offen.
Ein Eintrag in der „Deutschen Biographie“ belegt zumindest die Eckdaten: Heinrich Mattoni wurde 1830 in Karlsbad geboren. Sein Vater war Stadtrat und bemühte sich um eine gute Ausbildung des Sohnes, der später Kaufmann wurde. Mit Fritz Knoll, einem Vetter seiner künftigen Ehefrau Wilhelmine, pachtete er 1857 die Karlsbader Mineralwasserversendung – und machte sie weltbekannt. Das Wasser aus Westböhmen wurde in Paris, Budapest und Wien getrunken; am Ende der zweiten Pachtzeit 1875 verkaufte Mattoni eine Millionen Flaschen im Jahr. Lieferant am kaiserlichen Hof in Wien war er bereits seit 1870; knapp zwanzig Jahre später wurde er in den erblichen Adelsstand erhoben und durfte seinem Namen das „von“ hinzufügen.
Kraft der Werbung
Der Erfolg kam nicht von selbst. Mattoni putzte Klinken bei den Reichen, Schönen und Einflussreichen. Im Film fängt er sich dabei viele Absagen ein. Schließlich schafft er den Durchbruch, indem er das Karlsbader Mineralwasser zu einer Marke macht. Es wird zum Gesundheitsversprechen, das den Kuraufenthalt ersparen soll. Als einer der ersten stieg Mattoni zudem von Ton- auf Glasflaschen um; ab 1866 ließ er Etiketten mit dem roten Adler des Familienwappens drucken. Mattoni verstand die suggestive Kraft der Werbung bereits im 19. Jahrhundert zu nutzen. „Raubvogel Mattoni“ nannten Bohuslav Machek und Marie Dolejší ihr Buch über den Karlsbader Unternehmer, das die Vorlage für die Verfilmung bildete.
Auch Regisseur Najbrt zeichnet das Bild eines Geschäftsmanns ohne Skrupel, der dem Willen zum Erfolg alles unterordnet, auch sein Privatleben. Im Film heiratet er Wilhelmine vor allem ihrer Mitgift wegen; allerdings ohne mit deren eigenem Willen zur Macht zu rechnen. Die Ehe entfaltet sich zu einem Kampf.
Zwölf Millionen Flaschen
Überhaupt begegnet Heinrich in der Serie einigen interessanten Frauen, die entweder seine Schönheit oder seinen Geschäftssinn ausnutzen – oder beides. Ein recht ungewöhnliches Narrativ für ein historisches Drama, das Mattoni deswegen aber nicht sympathischer erscheinen lässt.
Zurück zu den belegten Fakten. 1873 kaufte der Geschäftsmann die Otto-Quelle in Gießhübl-Sauerbrunn (Kyselka). Bald gehörte ihm das ganze Dorf, dessen Vermarktung als Kurort er sich mit voller Energie widmete, nachdem die Pachtzeit in Karlsbad abgelaufen war. Mit hohen Investitionen ließ er die Otto-Quelle neu einfassen und die Abfüllanlagen modernisieren. In nur wenigen Jahren übertraf er seinen früheren Erfolg und versandte im Jahr 1897 acht Millionen Flaschen; in seinem Todesjahr 1910 waren es bereits zwölf Millionen. Mattoni übernahm auch weitere Quellen und machte nach dem Erwerb von Mineralmoorlagern bei Franzensbad gute Geschäfte, indem er Nebenprodukte wie Moorsalz und Moorlauge verwertete.
Wer heute nach Kyselka fährt, wird sich wundern, wie wenig vom Glanz früherer Zeiten übrig ist. Im Jahr 2012 gründete sich eine Bürgerinitiative, die zusammen mit Künstlern und dem damaligen Ombudsmann den verwahrlosten Zustand des ehemaligen Kurortes beklagten. Die Proteste richteten sich damals auch gegen die Firma Karlovarské minerální vody, die heute im Ort das Mineralwasser mit dem Adlerlogo abfüllt und noch immer einige Gebäude in Kyselka besitzt.
Das Unternehmen wurde zwischenzeitlich verstaatlicht und nach der Samtenen Revolution privatisiert. Heute wird es von einem Italiener geleitet, verkauft mehr als 170 Getränkesorten in 26 Länder und beschäftigt rund 400 Mitarbeiter. Und auch seiner Geschichte widmet es sich mittlerweile. In Kyselka eröffnete im Juli dieses Jahres ein Museum zu Ehren des Firmengründers. Eröffnet wurde es im Beisein von dessen Urenkel Rudolf Heinrich Mattoni, ein in Argentinien lebender Amerikaner.
Die Ausstellung finden Besucher im Löschner-Pavillon, der 2013 bis 2015 für 20 Millionen Kronen (gut 700.000 Euro) renoviert wurde. Der Arzt namens Löschner spielt übrigens auch im Film eine Rolle. Er tritt als väterlicher Freund Mattonis auf, der ihn überhaupt erst auf die zündende Idee bringt. „Ihr sitzt nicht auf Wasser, sondern auf Gold“, sagt er während einer Karlsbader Ratssitzung. Das Imperium, das sich Heinrich von Mattoni daraus schuf, hat bis heute überdauert.
„Wie 1938“
30 Jahre PZ