„Lebendig, trotz wenig Geld“

„Lebendig, trotz wenig Geld“

Berlinale-Leiter Dieter Kosslick erhält den Ehrenpreis des Febiofestes. In Prag spricht er über den Tschechischen Film

2. 4. 2014 - Interview: Franziska Benkel

Neben dem Filmfestival in Karlovy Vary gilt das Febiofest als das größte internationale Filmereignis Tschechiens. Zum 21. Mal wurden in Prag über eine Woche lang rund 140 Filme aus aller Welt gezeigt. Den Ehrenpreis des diesjährigen Febiofestes, den sogenannten Kristián, erhielt der Direktor der Berlinale Dieter Kosslick. Mit PZ-Mitarbeiterin Franziska Benkel sprach der 65-Jährige über Kulturpolitik, die Beziehung zwischen tschechischem Film und der Berlinale sowie das Gewicht des „Kristián“.

Herr Kosslick, was verbindet Sie mit Prag?

Dieter Kosslick: Ich mag Prag und war schon öfter hier. Gerade eben habe ich die Kafkagesellschaft besucht und mir deren Bibliothek angeschaut. Ich habe eine enge Beziehung zu den Schriftstellern der zwanziger Jahre. Aber ich habe auch Bekannte und Freunde hier in Prag.

Auch Leute aus der Filmbranche?

Kosslick: Ja, zum Beispiel Štefan Uhrík und seine Frau Hana Cielová, die Programmdirektoren des Febiofestes, kenne ich schon sehr lange. Die beiden kommen seit über 20 Jahren zur Berlinale.

Hatten Sie heute schon Gelegenheit, sich einen Festivalbeitrag anzusehen?

Kosslick: Nein, noch nicht. Ich war beim Prager Vizebürgermeister zu Gast. Wir haben uns über Kultur unterhalten und darüber, wie sich durch Kultur finanzielle Früchte ernten lassen. Ich habe ihm das deutsche Filmfördermodell vorgestellt. Durch dieses lässt sich, wenn man denn daran interessiert ist, mit Kultur durchaus viel Geld machen. Aber die Politiker denken immer, in Kultur zu investieren, sei verlorenes Geld. Das ist falsch.

Spielen Sie auf Berlin und die dortige Kulturszene an?

Kosslick: In Berlin zum Beispiel existiert seit dem Mauerfall fast keine Industrie mehr. Der größte Umsatz wird mit Kultur gemacht, inklusive der alljährlichen zehn Millionen Touristen. Berlin verkauft sich praktisch als Stadt mit Underground und Overground, mit Musik und Film, mit Sex, Drugs and Rock’n’Roll.

Um welche Ideen ging es im Gespräch konkret?

Kosslick: Wir haben über eine mögliche Zusammenarbeit gesprochen. Das Febiofest ist an unserem „kulinarischen Kino“ interessiert. In dieser Filmreihe werden Filme zum Thema Essen, Genuss und Umwelt gezeigt. Anschließend kann man im Restaurant gemeinsam essen und diskutieren.

Laufen auf dem Febiofest auch Filme, die auf der Berlinale zu sehen waren?

Kosslick: Der Film „Terroristen“ („Zamatoví teroristi“, Anm.d. Red.), der heute nach der Preisverleihung gezeigt wird, lief auch in Berlin im Forum und hat den Tagesspiegel-Leserpreis gewonnen. Es handelt sich um eine tschechisch-slowakisch-kroatische Produktion, ein ziemlich anspruchsvolles Projekt.

Wie präsent ist denn der Tschechische Film auf der Berlinale?

Kosslick: Er ist präsenter als man denkt und öffentlich mitbekommt. Vor ein paar Jahren lief zum Beispiel „Ich habe den englischen König bedient“ von Jiří Menzel im Wettbewerb. Dieses Jahr hat er in Berlin die Laudatio auf Ken Loach gehalten. Menzel hatte ja schon zuvor den Goldenen Bären gewonnen (1990 für „Lerchen am Faden“, Anm.d. Red.). Auch Miloš Forman hat einen (1997 für „Larry Flynt – Die nackte Wahrheit“, Anm. d. Red.). Und die wohl berühmteste tschechische Filmemacherin Věra Chytilová war ebenfalls für einen Goldenen Bären nominiert.

Warum gilt sie als die berühmteste Filmemacherin?

Kosslick: Věra Chytilová galt in Tschechien während des Kommunismus als wilder Feger, der gegen alle bürstete. Sie hat die „Neue Welle“ der Tschechoslowakei mitbegegründet. Zum 20. Jahrestag des Mauerfalls haben wir eine Retrospektive unter dem Motto „Winter adé“ veranstaltet. Da haben wir sehr viele Filme von ihr gezeigt. Alle Streifen, die liefen, waren Zeugnisse, an denen man erkennen konnte, dass sich irgend etwas verändern würde, dass etwas zu kippen drohte. Es waren alles Werke von vor 1989 und überwiegend aus Osteuropa. Chytilová war ganz vorne dabei. Sie hat auch einen ganz wahnsinnigen Film gemacht: „Daisies“ („Sedmikrásky“, Anm. d. Red.), mein persönlicher Lieblingsfilm von ihr.

Das klingt nach politischem Kino in Berlin?

Kosslick: Das Thema Geschichte zieht sich seit der Gründung durch die Berlinale. Wir zeigen ja bis heute verbotene Filme. Werke, die während des Kalten Krieges tabu waren, Projekte, die in China oder Asien nicht laufen dürfen, zensierte ostdeutsche und später verbotene osteuropäische Streifen.

Und verbotene tschechische Beiträge?

Kosslick: Es besteht eine sehr lange Beziehung zwischen der Tschechoslowakei beziehungsweise Tschechien und der Berlinale. In Westberlin wurden die verbotenen Streifen aus Tschechien gezeigt. Wenn es damals eine Premiere von solch einem Film gab, war es selbstverständlich, dass man dort hingeht. In Berlin trafen sich all jene kontroversen Regisseure. Damals gab es niemanden, der nicht in Berlin war.

Wie schätzen Sie die aktuelle Filmlandschaft Tschechiens ein?

Kosslick: Lebendig, trotz wenig Geld. Es gibt sehr viele Koproduktionen, vor allem mit der Slowakei. Das ist ähnlich wie in einer Liebesbeziehung: Man ist zwar getrennt, aber mag sich noch. Und ab und zu steigt man noch miteinander ins Bett. Gerade der slowakische Produzent Rudolf Biermann hat große Filme, auch tschechische, gedreht. Er hat auch die ganzen Jiří-Menzel-Filme produziert und war Direktor des Filmfestivals in Karlovy Vary.

Und heute Abend bekommen Sie den Ehrenpreis des Febiofestivals überreicht…

Kosslick: Ja, für meine visionäre Kulturpolitik… Wie soll ich das denn jetzt sagen, ohne dass ich mich selbst lobe? Ich bin seit über 30 Jahren beim Film, ob das nun der Talent Campus der Berlinale ist oder der Bereich Filmförderung. Ich habe mich immer sehr engagiert. Natürlich immer mit Freunden und Bekannten zusammen. Eigentlich stimmt alles, was die da geschrieben haben, es klingt nur komisch.

Ihre Arbeit und Ihr Engagement für Film und Kultur wurden schon mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, hat der Kristián trotz allem einen besonderen Wert für Sie?

Kosslick: Es ist eine große Ehre für mich, wenn ich sehe, wer diesen Preis bereits erhalten hat. Und dass ihn neben mir auch mein Freund Andrzej Wajda bekommt. Ich habe schon unterschiedlichste Preise bekommen, aber so einen habe ich noch nicht. Mal sehen wie ich den nach Hause bekomme, denn er ist ziemlich groß und schwer, sicher doppelt so schwer wie der Berlinale-Bär.

Zur Person
Dieter Kosslick wurde 1948 in Pforzheim geboren und studierte in München Kommunikationswissenschaften, Politik und Pädagogik. Nach seinem Magister arbeitete er als Redenschreiber, Redakteur und Pressesprecher und engagiert sich seit 1983 in der Filmförderung. Seit Mai 2001 ist Kosslick Direktor der Berlinale, eines der bedeutendsten Filmfestivals der Welt. Für sein Engagement für Film und Kultur wurde er mit zahlreichen internationalen Preisen gewürdigt. Unter anderem erhielt er das Bundesverdienstkreuz, den Verdienstorden des Landes Berlin und eine Auszeichnung des bulgarischen Kultusministeriums.   (fb)

Das Febiofest in Tschechien
Nachdem das Febiofest in Prag über die Leinwände geflimmert ist, bereist es weitere Städte des Landes.
Eine Übersicht der Eckdaten:

Jihlava  2. bis 4. April
Pilsen  3. bis 5. April
Liberec  4. bis 6. April
Karlova Vary  5. bis 7. April
Brünn  8. bis 10. April
Hradec Králové  9. bis 11. April
Pardubice  10. bis 12. April
Havířov  11. bis 13. April
Olomouc  14. bis 16. April
Mikulov  15. April
Zlín  15. bis 17. April

Informationen unter www.febiofest.cz