Kommentar: Die Sicht verklebt

Tschechiens Medien mit falschem Fokus

4. 12. 2013 - Text: Josef FüllenbachText: Josef Füllenbach

Einen Tag, nachdem sich in Berlin CDU/CSU und SPD auf eine Neuauflage der Großen Koalition geeinigt und den Koalitionsvertrag veröffentlicht hatten, reagierte die tschechische Presse fast ausschließlich auf nur einen einzigen Satz des 185 Seiten starken Konvoluts: nämlich auf die Ankündigung, in Deutschland eine Autobahngebühr für ausländische Halter von Pkw einzuführen.

In den meisten Fällen kam diese Reaktion mit dicken Balkenüberschriften auf der ersten Seite, gefolgt von weiteren Berichten. Offensichtlich hatte man einen Aufreger gefunden. Zugegeben, dass tschechische Autofahrer in Zukunft, vielleicht ab 2015, auch beim westlichen Nachbarn eine Vignette hinter die Windschutzscheibe kleben sollen, mag für viele eine wichtige Nachricht sein.

Andere und für die Tschechen – mit oder ohne Auto – längerfristig wichtigere Aspekte der großkoalitionären Fleißarbeit blieben unbeachtet. Geradezu als ob die künftige deutsche Vignette schon jetzt im Verein mit tschechischen und anderen europäischen Vignetten die klare Sicht verkleben würde. Das mutet für die Presse eines Landes, dessen Vertreter nicht müde werden, die große, ja schicksalhafte Abhängigkeit seines Wohlergehens von der Entwicklung in Deutschland zu betonen, schon etwas merkwürdig an.

Denn auch in Tschechien ist bekannt, dass die Eurokrise noch nicht überwunden ist und dass die deutsche Politik für ihre Überwindung entscheidend sein wird. Doch hierzu fehlt es sowohl an neuen Ideen wie an klaren Perspektiven in einem Koalitionspapier, das ansonsten nicht einmal vergisst, das vermehrte Tragen von Helmen auf dem Fahrrad auf die To-do-Liste zu setzen.

Stattdessen herrscht hinsichtlich der Bekämpfung der Eurokrise und der ihr zugrundeliegenden Handelsungleichgewichte ein kleinmütiges – oder auch stures – „Weiter so“. Eigentlich sollte das in einem von Deutschland und Europa so abhängigen Land wie Tschechien Anlass sein, einmal kurz die Beschäftigung mit sich selbst zu unterbrechen, um auf die Gefahren solcher Sturheit hinzuweisen.