Keine Scheu vor Tabus
Literatur

Keine Scheu vor Tabus

Denemarkovás Roman vereint Elemente der Prosa, Lyrik und Essayistik. Häufig benutzt sie Metaphern, die aber manchmal überspannt wirken. Etwa wenn sie vom Ermittler schreibt: „Im mystischen Orgasmus verspritzt er Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, schluchzt bis in die Wurzeln seiner Knabenhaftigkeit.“ An anderer Stelle beschreibt sie junge Männer, die Frauen nachstellen, als „Fliegenschnäpper“, die vorfliegenden Insekten auflauern und sie im kurzen Abflug erbeuten. Doch schon im nächsten Satz dreschen sie gemeinsam unreifes Getreide.

„Ich bin nicht der Arzt, ich bin der Schmerz“

Nicht jeden werden die Hilfen, die die drei Frauen den Opfern männlicher Gewalt anbieten, überzeugen. Das ist auch nicht das Hauptanliegen vom „Beitrag zur Geschichte der Freude“. Radka Denemarková sagt von sich selbst: „Ich bin nicht der Arzt, ich bin der Schmerz, das heißt ich gebe den Opfern meine Stimme, jenen, die nicht gehört werden.“

Sie hat einen zornigen und zugleich mitfühlenden Roman über sexuelle Gewalt geschrieben für die Frauen, die als Opfer (trotz #MeToo) immer noch zu wenig Beachtung finden. „Es gibt kein Gesetz, dass alten Frauen verbietet, auf Bäume zu klettern.“ Diesen Satz von Astrid Lindgren stellt Denemarková als Motto über ihren Roman, indem alte Frauen, die kaum größere gesellschaftliche Anerkennung besitzen, ihre ganze Energie dafür einsetzen, dass den vergewaltigten Opfern Gerechtigkeit widerfährt. Sie setzen sich ein für eine humane Welt, die nicht mehr bestimmt wird von männlicher Dominanz und Unterordnung der Frauen.

Radka Denemarková: Ein Beitrag zur Geschichte der Freude. Aus dem Tschechischen von Eva Profousová, Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2019, 336 Seiten, 24 Euro, ISBN 978-3-455-00511-0

Radka Denemarková schreibt, übersetzt, eckt an. | © Nakladatelství Host

Radka Denemarková gehört mit ihren 15 Büchern zu den bedeutendsten Schriftstellerinnen ihres Landes. Gleichzeitig übersetzt die studierte Germanistin die Werke von Herta Müller, Michael Stavarič und anderen Autoren ins Tschechische, arbeitet als Theaterautorin und Dramaturgin. Mit ihrem 2009 auf Deutsch erschienenen Roman „Ein herrlicher Flecken Erde“ („Peníze od Hitlera“, 2006) wurde sie auch im deutschsprachigen Raum bekannt.

Darin prangert sie den tschechischen Nationalismus und Antisemitismus nach dem Zweiten Weltkrieg an. Im Mittelpunkt steht das Schicksal der Jüdin Gita Lauschmann, die als Einzige ihrer Familie den Holocaust überlebt hat. Nun will sie in ihr Dorf zurückkehren, um wieder in ihrem Elternhaus wohnen zu können. Doch die tschechischen Nachbarn haben den Besitz längst unter sich aufgeteilt und beschimpfen sie als deutsche Kollaborateurin und gierige Jüdin.

Denemarková scheut keine Tabus, eckt an und beteiligt sich auch an öffentlichen Debatten. Regelmäßig verfasst die 51-Jährige journalistische Beiträge für tschechische, aber auch deutschsprachige Medien. Darin kritisiert sie etwa die Regierung in Prag wegen ihrer restriktiven Flüchtlingspolitik. Sie setzt sich ein für ein Europa der offenen Grenzen und hält den Brexit für einen fatalen Fehler. Kürzlich äußerte Denemarková in einem Interview, dass sie erst dann anerkennen würde, dass die katholische Kirche glaubhaft für die Nächstenliebe einträte, wenn eine lesbische Frau zur Päpstin gewählt würde.

Für ihren aktuellen Roman „Hodiny z olova“ („Stunden aus Blei“) erhielt sie im April den „Magnesia-Litera-Preis“, Tschechiens wichtigste Literaturauszeichnung. Im „Buch des Jahres 2019“ empört sie sich über das Verhältnis der westlichen Staaten gegenüber China. Sie bauen den gegenseitigen Handel aus, ohne Rücksicht darauf, dass Peking die Menschenrechte missachtet und die Bevölkerung unterdrückt. In China hätten sich Kommunismus und Kapitalismus in menschenverachtender Weise miteinander verbunden. Denemarková weiß, worüber sie schreibt: Sie hat das Land mehrere Male besucht. Nun hat die chinesische Regierung ein Einreiseverbot über sie verhängt.

„Tschechiens Buch des Jahres 2019“ | © Nakladatelství Host

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Kommentare

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  1. Ich schätze Radka Denemarkowa sehr, daß jetzt in ihrem Roman „Radost“ vorkommt, liegt vielleicht auch an ihrem Namen Radka, der ja Ähnliches bedeutet.
    Also Freude darüber, daß all diese Themen angesprochen werden, und bei Vergewaltigung einer Frau spielt die Herkunft keine Rolle, alle diesbezüglichen Verbrechen, die im Zusammenhang mit Kriegen vorkommen, müßten als Kriegsverbrechen geahndet werden und allen Tötungen aus diesem Grund müßten auf den Kriegergräbern der Welt gedacht werden analog den männlichen Opfern des Krieges, vielleicht würde dann die Menschheit begreifen, was hier geschieht, immer noch, und unentrinnbar mit dem Krieg zu tun hat, täglich in allen kriegerischen Auseinandersetzungen der Welt.
    Gruß
    Jenny Schon
    Berlin





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