„Keine Aufgabe für Hausfrauen“

„Keine Aufgabe für Hausfrauen“

Františka Plamínková prägte die tschechische Frauenbewegung. Heute ist sie weitgehend in Vergessenheit geraten

29. 6. 2016 - Text: Milena FritzscheText: Milena Fritzsche; Foto: ČTK

Als 1908 mehrere Frauen für den Böhmischen Landtag kandidierten, zeigte sich Františka Plamínková begeistert: „Tschechische Frauen haben das Wort ergriffen! Zum ersten Mal sind sie am  Wahltreiben nicht nur als Helferinnen männlicher Kandidaten beteiligt.“ Auch wenn keine von ihnen gewann, verzeichnete die Frauenbewegung doch einen Erfolg – und ebnete den Weg zum allgemeinen Wahlrecht.

Für dieses Ziel kämpften damals Frauenbewegungen in mehreren europäischen Ländern. Am bekanntesten waren die Demonstrationen der Suffra­getten in Großbritannien. Doch deren Methoden, die nach erfolglosen friedlichen Protesten auch Gewalt einschlossen, erschienen den tschechischen Aktivistinnen unpassend. In der Zeitschrift „Ženské listy“ verurteilten sie den lautstarken Auftritt der Suffragetten im Londoner Unterhaus: „Angeblich braucht jede Bewegung ihre Märtyrer, und wenn sie diese nicht hat, dann muss man sie aus dem Boden stampfen. Englische Frauen werden also aus freiem Willen Märtyrerinnen, und es macht ihnen große Freude, für ihre heilige Sache, wie sie ihren Kampf nennen, leiden zu dürfen.“ Die tschechische Frauenbewegung ging einen anderen Weg – und dieser wurde maßgeblich von Františka Plamínková beeinflusst.

Geboren 1875 in Prag, lernte Plamínková politische Diskussionen bereits als Kind in der Schuhmacherwerkstatt ihres Vaters am Karlsplatz kennen. Dort kamen die Menschen gerne zusammen, um über aktuelle Themen zu streiten. Als junge Lehrerin konnte sie nicht nachvollziehen, warum für sie und ihre Kolleginnen das Zölibat galt – nur unverheiratet durften sie unterrichten, sonst mussten sie sich einem Berufsverbot beugen. Wohl deshalb blieb sie nicht nur ledig, sondern engagierte sich auch politisch. Ab Beginn des 20. Jahrhunderts warb sie für eine Abschaffung des Zölibats im öffentlichen Dienst.

Im von ihr 1903 gegründeten Tschechischen Frauenclub hielt Plamínková Vorträge über die „moderne Frau“. Sie erklärte, nicht durch den Kampf Anerkennung als Frau zu suchen, sondern durch gute Arbeit überzeugen zu wollen. Ihr Engagement richtete sich ausdrücklich nicht gegen Männer. Vielmehr wollte sie dafür werben, dass gebildete und selbstbewusste Frauen auch die besten Partnerinnen und professionelle Kolleginnen seien. Emanzipation war für sie nicht nur eine Angelegenheit der Frauen: „Es ist keine neue Aufgabe für Hausfrauen“, sagte sie und rief die Männer zur Zusammenarbeit auf.

Im November 1905 hatten tschechische Frauen daher zunächst nur an der Seite von Männern für ein allgemeines Wahlrecht demonstriert. Doch als keiner der Redner ausdrücklich für das Frauenwahlrecht eintrat, entschlossen sich die Aktivistinnen zu einer eigenständigen politischen Aktion. Sie folgten der Tradition tschechischer Politik in der Habsburger Monarchie, eigene Interessen und Forderungen nach dem Motto durchzusetzen: Erlaubt ist, was nicht ausdrücklich verboten wurde. Tschechisch als Amtssprache etwa war nach dem Misserfolg der Sprachverordnungen fast unmerklich in kleinen Schritten und eher inoffiziell etabliert worden.

Daran nahm sich Plamínková ein Beispiel und versuchte, ältere und ungenaue Formulierungen auszunutzen, um die Bestimmungen des Wahlrechts für den Böhmischen Landtag zu ändern. Denn während im Gesetz des Österreichischen Reichsrats und des Mährischen Landtags Frauen ausdrücklich vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen wurden, waren die Bestimmungen für den Böhmischen Landtag weniger strikt. Als wahlberechtigt wurde man aufgrund des Gehalts und des Berufes eingestuft.

Plamínková initiierte eine öffentliche Kampagne, um weibliche Abgeordnete in die Nationalversammlung zu bringen. Dabei ging sie behutsam vor. Weil das Gesetz Frauen die Mitgliedschaft in Vereinen untersagte, wurde lediglich ein Komitee für das Frauenwahlrecht gegründet – ohne Mitgliedsbeiträge und Statuten. Den Vorsitz übernahm sie selbst.

Hilfe bekamen Plamínková und ihre Mitstreiterinnen auch von Männern. Tomáš Garrigue Masaryk, Mitbegründer und erster Präsident der Tschechoslowakei, engagierte sich bereits früh für die Frauenbewegung. Auch unter seinem Einfluss überdachte die jüngere Generation allmählich ihr Frauenbild. Masaryk hatte 1918 die Tschechoslowakische Unabhängigkeitserklärung entworfen, in der die demokratischen Prinzipien des neuen Staates formuliert wurden. Dazu gehörte auch, dass Frauen im politischen, sozialen und kulturellen Bereich mit Männern gleichgestellt und gleichberechtigt sein sollen. Masaryk erklärte später oft, dass es das Verdienst Plamínkovás und ihrer Mitstreiterinnen gewesen sei, dass dieses Prinzip in die Verfassung der Ersten Republik aufgenommen wurde.

„Die Wahrheit wird sich immer durchsetzen“
Zehn Jahre zuvor waren es zunächst die Sozialdemokraten, die eine Kandidatin zur Wahl für den Böhmischen Landtag aufstellten. Aber auch die Tschechische Fortschrittspartei ­Masaryks unterstützte die Kandidatur mit der Begründung: „Hier treten die Parteiinteressen hinter das große tschechische Interesse und die Frage der kulturellen Reife zurück, damit eine tschechische demokratische Frau mit Bildung und Edelsinn gewählt wird, und damit wir der ganzen Welt zeigen können, dass wir – so wie wir schon die Ersten in Mitteleuropa waren, die ein Frauengymnasium gestiftet haben – wieder die Ersten sind, die das Ideal der Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit der Frau mit dem Manne umsetzen.“

Doch es formierte sich auch Widerstand. Plamínková hatte zwar die Gesetzeslücken erkannt und geschickt ausgelegt, aber zum Beispiel der Statthalter von Böhmen, Franz Fürst Thun, begründete in einem Brief 1912 ausführlich, weshalb Frauen seiner Meinung nach das passive Wahlrecht nicht zustehe: „Es unterliegt (…) nicht dem geringsten Zweifel, dass zur Zeit der Herausgabe der Landtagswahlverordnung vom Jahre 1861 niemandem auch nur im Traum eingefallen ist, dass Frauen­personen zu Landtagsabgeordneten gewählt werden könnten.“ In der Frauenbewegung bestritt man die ursprüngliche Intention des Gesetzes nicht, erklärte aber: „Es geschah dies vielleicht aus Versehen desjenigen, der das Gesetz verfasst hatte, aber das ist nun einmal Realität.“

Tatsächlich wurde Božena Viková-Kunětická 1912 als erste Frau in den Landtag gewählt. Der Sieg wurde von Frauenbewegungen im Ausland bejubelt. Ein sozialdemokratischer Journalist aus Böhmen gratulierte mit den Worten, die Kandidatin sei nun als „den Männern gleichwertiger Faktor“ anerkannt worden. Allgemein war die tschechische Resonanz aber verhalten, wie die Frauenzeitschrift „Ženské snahy“ kommentierte: „Was alles schreiben deutsche Journale begeistert über die Wahl einer Frau zur Abgeordneten, was für Glückwunschbotschaften sandte der Deutsche Frauen­verband dem tschechischen Wahlkomitee – uns gefror die Begeisterung auf den Lippen und unseren Journalisten in der Feder!“ Denn die national ausgerichteten Parteien wussten, dass sie den Wahlerfolg der Unterstützung linker Kreise und der Frauenbewegung zu verdanken hatten. Die Sozialdemokraten waren dagegen unglücklich, dass eine bürgerliche und keine Arbeiterfrau gewählt worden war.

Es war jedoch kein Zufall, dass sich eine national eingestellte Kandidatin durchgesetzt hatte. Eine patriotische Gesinnung und das gleichzeitige Engagement in der internationalen Frauenbewegung schlossen sich keineswegs aus. Denn die tschechischen Frauen fühlten sich in der österreichisch-ungarischen Monarchie aufgrund ihrer Nationalität und ihres Geschlechts doppelt unterdrückt.

Erst nach dem Ersten Weltkrieg und der Gründung der Tschechoslowakei war es für Plamínková „keine Frage mehr, welche Rechte Frauen gehörten. Es sind die gleichen wie die der Männer. Gleichheit gibt es dort, wo man unabhängig von der österreichischen Regierung ist.“ Sie repräsentierte nun die rund 300.000 Mitglieder der tschechoslowakischen Frauenbewegung. Zudem war sie ab 1925 Vizepräsidentin der „International Alliance of Women“.

Aus den Berichten eines Treffens der Organisation 1927 in Prag geht hervor, dass Plamínková maßgeblich an der Koordination beteiligt war und als eine der wichtigsten Personen der tschechoslowakischen Frauen­bewegung gesehen wurde.

Masaryk hatte unterdessen erklärt, dass es weder eine Frauen- noch eine Männerfrage gebe, sondern nur eine soziale Frage. Auch Plamínková kämpfte nicht nur für die Rechte der Frauen. 1918 trat sie in die Tschechische National-Sozialistische Partei ein und wurde in den Prager Stadtrat gewählt. Dort setzte sie sich etwa für eine bessere Wohnsituation für Frauen und Kinder ein, organisierte ein Beratungszentrum für Frauen, vermittelte Arbeit an behinderte Frauen und beteiligte sich an einer Bewegung gegen Prostitution und Frauenhandel.

Im Jahr 1925 wurde Plamínková Senatorin in der Tschechoslowakischen Nationalversammlung und später mehrmals wiedergewählt. Sie sah die Gefahr, die von Hitler und den National­sozialisten ausgehen würde, und versuchte, vor der Bedrohung zu warnen. Sie protestierte 1938 gegen Hitlers Vorgehen gegen die Tschechoslowakei und formulierte einen offenen Brief an Hitler: Als Demokratin sei es ihre Pflicht, ihm zu schreiben und sie sei „fest davon überzeugt, dass die Wahrheit sich immer durchsetzen wird, auch gegen militärische Überlegenheit.“

„Wertvolles Erbe an Courage und Selbstbewusstsein“
Als Plamínková im folgenden Jahr zu einem Kongress in Kopenhagen reiste, baten ihre Freunde sie, zu ihrer eigenen Sicherheit nicht zurückzukehren. Doch sie war überzeugt, dass man zu dem Zeitpunkt nur vor Ort etwas für das eigene Land unternehmen könne und lehnte die Emigration ab. Noch im September 1939, kurz nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, verhafteten die Nationalsozialisten sie zum ersten Mal. 

Nachdem sie einige Wochen im Gefängnis verbracht hatte, arbeitete sie weiterhin für das Komitee der Frauenbewegung und organisierte Seminare über tschechische Schriftstellerinnen und die tschechische Sprache, um so das nationale Bewusstsein in der Bevölkerung zu stärken.

Als im Juni 1942 der Stellvertretende Reichsprotektor Reinhard Heydrich an den Folgen eines Attentats starb, traf die Rache der Nationalsozialisten auch Plamínková. Zunächst wurde sie verhaftet und ins Konzentrationslager Theresienstadt gebracht, am 30. Juni wurde sie in Prag erschossen.

Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Františka Plamínková von der internationalen Frauenbewegung gewürdigt. Liebevoll erinnerte man sich „unserer Plam“; sie sei ein Vorbild und habe „ein wertvolles Erbe an Courage, Tapferkeit und Selbstbewusstsein“ hinterlassen, so die Präsidentin der „International Alliance of Women“ Hanna Rydh im Jahr 1947.

Im Sozialismus verschwand Plamínková jedoch aus dem kollektiven Gedächtnis. Vor allem aufgrund ihrer Nähe zu Masaryk wurde über sie geschwiegen. Nun wird sie langsam in die Erinnerung zurückgeschrieben. Im Jahr 2014 erschien die erste Biographie in tschechischer Sprache, am Altstädter Ring wird mit einer Tafel an sie erinnert und im Prager Stadtteil Pankrác trägt eine Straße ihren Namen.