Kaleidoskop des Jahrhunderts

Kaleidoskop des Jahrhunderts

In seinen Memoiren blickt Bedřich Utitz zurück auf eine Zeit voller dramatischer Umbrüche

23. 9. 2015 - Text: Volker StrebelText: Volker Strebel; Foto: Bedřich Utitz mit dem Arnošt-Lustig-Preis im Jahr 2013/Cena Arnošta Lustiga

 

Herkunft und Lebenslauf von Bedřich Utitz bilden auf geradezu frappierende Weise das Mitteleuropa des 20. Jahrhunderts ab. Geboren wurde Utitz 1920 in Wien, seine Kindheit hatte er in Prag verbracht. Die mitteleuropäische Prägung spiegelt sich auch in seiner Namensschreibung wider. So fragt sich Utitz bereits im Vorwort seiner Erinnerungen: „Utitz oder Uttitz – wie heiße ich denn?“. Im Lauf seines langen schöpferischen Lebens hatte er zuweilen unter dem Namen Bedřich Utitz publiziert. Als Friedrich Uttitz veröffentlichte er im Jahr 1984 im Kölner Bund-Verlag den Band „Zeugen der Revolution. Mitkämpfer Lenins und Stalins berichten“. In angeregten Gesprächen stellte er darin zwölf Zeitzeugen der Oktoberrevolution vor. Sie erzählen nicht nur von ihren frühen Idealen, sondern vor allem auch von der späteren Ernüchterung.

Das Leben von Bedřich Utitz umspannt eine unglaubliche Fülle an Erfahrungen und Erlebnissen, sodass er zu Beginn seiner Memoiren darum bemüht ist, eine Strukturierung vorzunehmen: „Und nun der Reihe nach…“. Seine Schulzeit erlebte der junge Utitz im Prag der Ersten Tschechoslowakischen Republik, 1938 legte er am Deutschen Gymnasium das Abitur ab. Als Jude wäre ihm dies ab dem deutschen Einmarsch in Prag nicht mehr möglich gewesen. Utitz gelang es im Frühjahr 1939, rechtzeitig das Land zu verlassen und landete nach einer abenteuerlichen Flucht in Palästina. Er schlug sich unter anderem als Kellner durch und meldete sich schließlich freiwillig bei der Tschechoslowakischen Exilarmee. Nach Kampfeinsätzen in Frankreich folgte die Gefangenschaft, die er glimpflich überstand.

Finstere Jahre
Gleich nach der Befreiung aus der Gefangenschaft im Mai 1945 war Utitz zum Militärdienst in Železná Ruda (Markt Eisenstein) abkommandiert worden, um dort erst vom eigentlichen Ausmaß der Liquidation seiner Freunde, Nachbarn und Verwandten zu erfahren. Im Oktober 1945 kehrte er zurück nach Prag, wo er eine Familie gründete und sich allmählich in das zivile Leben zurücktastete. Seine Arbeit für die tschechoslowakische Presseagentur ČTK stellte die Weichen für sein weiteres Leben als Journalist und Publizist.

Bei der Presseagentur, die Utitz als Auslandskorrespondent nach Berlin geschickt hatte, waren seine Tage jedoch bald gezählt. Schließlich war Utitz bürgerlicher Herkunft und hatte seinen Armeedienst im westlichen Exil absolviert – ausreichende Gründe in den finsteren Jahren des Hochstalinismus. Umso überraschender war es für Utitz, als er nach einigen Jahren in der Versenkung ein Angebot vom tschechoslowakischen Rundfunk erhielt. Dort durchlief er mehrere Stationen, um bis zum Leiter der Hauptredaktion für den Auslandshörfunk aufzusteigen. Er begleitete unter anderem den beruflichen Werdegang junger Mitarbeiter wie Jiří Dienstbier oder Luboš Dobrovský, die nach der Samtenen Revolution Minister werden sollten.

In der widersprüchlichen Phase der tschechoslowakischen Entstalinisierung wurde Utitz mit seiner Familie 1963 für zwei Jahre nach Kuba abkommandiert und somit aus der Schusslinie der Parteidogmatiker gebracht. Aufschlussreich sind Schilderungen von Utitz über die Reaktionen von SED-Genossen aus der DDR, denen bereits vor dem legendären Reformfrühling von 1968 die lebendige Berichterstattung der deutschsprachigen Redaktion beim Prager Rundfunk ein Dorn im Auge war.

Keine Beschönigungen
Den bewaffneten Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts am 21. August 1968 bezeichnet Utitz als „zweite Okkupation“, ganz im Gegensatz zum russischen Staatsfernsehen im Putin-Zeitalter des Jahres 2015, wo wieder von brüderlicher Hilfe gegen Nato und Faschismus die Rede ist.

Ein neues Leben beginnt für den Autor nach seiner „zweiten Emigration“, die er in der Bundesrepublik Deutschland verbrachte. Unter der Überschrift „Wandeln durch den tschechisch-deutschen Raum“ berichtet er von seinen Tätigkeiten als Redakteur, Journalist und Übersetzer. Auch hatte sich Utitz als Gründer des exiltschechischen Verlags „Index“ hervorgetan.

Die heiklen Stationen seines Lebensweges wie die deutsche Gefangenschaft, die Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Krieg oder auch seine Rolle als Mitglied der KSČ schildert Utitz frei von emotionalen Übertreibungen und ohne nachträgliche Beschönigung. Das macht die Erinnerungen zu einer wertvollen Quelle eines glaubwürdigen Zeitzeugen.
Mit besonderer Freude berichtet Utitz im letzten Abschnitt seines Buches von seiner „zweiten Heimkehr“. Im heutigen Prag hat er auch diese Memoiren beendet: „Dass ich hierzulande zu Hause bin, merke ich auch daran, dass mich die Zustände und die Korruption in der heimischen Politik immer noch maßlos ärgern, während mich Probleme, die Deutschland gegenwärtig bewegen, zwar sehr wohl interessieren, mich aber nicht sonderlich berühren“.

Bedřich Utitz: Kaleidoskop meines Jahrhunderts. Aus dem Tschechischen von Nadia Meissnitzer, Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien 2015, 281 Seiten, 49,90 Euro, ISBN 978-3-412-22509-4