„Jdeme do Turnraum!“

„Jdeme do Turnraum!“

Viele Kinder wachsen in Prag mehrsprachig auf. In der „Kids Company“ in Vinohrady wechseln schon Dreijährige souverän vom Deutschen ins Tschechische

10. 8. 2016 - Text: Katharina WiegmannText: Katharina Wiegmann; Fotos: Katharina Wiegmann und Kids Company Praha

Es gibt Wörter, die kennt Anna nur auf Deutsch. „Eis“ ist eines davon. Die Zweijährige wächst am Prager Stadtrand zwischen den Bäumen, Felsen und sattgrünen Wiesen des Naturschutzgebiets  Divoká Šárka auf. Ihr Vater Mathias Schwender kommt aus Deutschland, Mutter Carrie ist Amerikanerin. Beide leben schon seit vielen Jahren in Prag.

Vor allem Carrie hatte sich vor Annas Geburt Gedanken darüber gemacht, was das für Annas Sprachentwicklung bedeuten wird. Zusammen entschied das Paar, dass Mathias Deutsch – und „badisch“, wie er sagt – mit der Tochter sprechen wird, Carrie nur Englisch. Tschechisch würde Anna von anderen lernen. „Zum Beispiel von den Nachbarn oder im Kindergarten. Wir haben zu viel Respekt vor der schönen tschechischen Sprache und wollen ihr nichts Verkehrtes beibringen“, meint Mathias.

Damit folgen die Schwenders einem Konzept, das Markéta Frank, Leiterin und Mitgründerin des deutsch-tschechischen Kindergartens „Kids Company Praha“, die „Immersions­methode“ nennt. Das bedeutet: Jeder Elternteil, und im Kindergarten auch die drei deutschen und vier tschechischen Erzieherinnen, sprechen mit den Kleinen ausschließlich in ihrer Muttersprache. Egal, wie hartnäckig die Kinder versuchen, in eine andere Sprache zu wechseln. Markéta Frank bleibt bei Tschechisch, obwohl ihr Deutsch fehlerlos und fast akzentfrei ist. „Emotionen ausdrücken, lustig sein, Trost spenden – das kann man eigentlich nur in der eigenen Sprache richtig“, sagt sie. Für die Kinder sei diese Natürlichkeit wichtig.

Bei den Schwenders spricht Anna im Alltag auch mit ihrem Vater hauptsächlich auf Englisch. Die Sprache ist für sie gängiger, Mathias ist ihre einzige deutsche Bezugsperson in Prag. „Was aber interessant ist: Wenn ich manchmal nicht gleich reagiere, wechselt sie ins Deutsche. Sie denkt, ich höre dann besser hin.“ Anna frage aber auch oft nach Übersetzungen, so der Geschäftsmann, der vor 15 Jahren nach Prag kam. „Vorgestern hat sie auf meinen Kopf geklopft und gefragt ‚Mama, what is in it?‘ Carrie sagte ‚brain‘. Dann Anna: ‚Papa, how do you say brain in German?‘“

Markéta Frank ist Mitgründerin des Kindergartens.

Wenn die 35 Mädchen und Jungen, die derzeit in der „Kids Company“ betreut werden, miteinander im Garten spielen, fliegen nicht nur Bälle, sondern auch „míčy“. Immer wieder wechseln die Kinder vom Tschechischen ins Deutsche und umgekehrt. „Manchmal redet eine kleinere Gruppe miteinander auf Tschechisch bis jemand dazukommt, der besser Deutsch spricht. Dann geht es eben so weiter“, erzählt Frank. Gerade blickt sie auf zwei blonde Mädchen, die in einem Baum klettern. „Die beiden wissen das wahrscheinlich gar nicht, sie könnten eigentlich aber auch Serbisch miteinander sprechen.“ Beide hätten einen Elternteil aus Serbien. Insgesamt acht oder neun Sprachen kommen in der Villa im Stadtteil Vino­hrady zusammen. Manchmal entsteht so auch ein wildes Gemisch – und Markéta Frank gibt zu, dass sie selbst auch nicht immer konsequent bleibt. „Jdeme do Turnraum („Gehen wir in den Turmraum“, Anm. d. Red.) hat sich eingebürgert“, lacht sie.

Nikita, ein Mädchen mit ernstem, wachem Blick, spricht mit fünf Jahren bereits sehr gut Chinesisch und Deutsch; ihr Tschechisch würde auch immer besser. Sie sei sehr begabt, sagt Frank. Und räumt zugleich ein, dass es in dieser Hinsicht Unterschiede gäbe. Studien würden jedoch beweisen, dass auch Kinder, die langsamer lernen, bilingual aufwachsen könnten. Das erreichte Niveau wäre in solchen Fällen dann in beiden Sprachen nicht so hoch wie bei anderen – aber auch nicht niedriger als bei ähnlich förderbedürftigen einsprachigen Kindern. „Rund die Hälfte aller Weltbewohner ist zweisprachig“, betont Frank. Auch in Tschechien seien früher ganz selbstverständlich mehrere Sprachen benutzt worden.

Die „Kids Company“ gibt es seit elf Jahren. Markéta Frank, ihr deutscher Mann und ein Geschäftspartner gründeten die Einrichtung, weil sie nichts Vergleichbares für ihre Söhne fanden, als sie nach einem Kindergarten suchten. 2008 stieg die deutsche Von-Laer-Stiftung mit ein; seitdem gibt es einen intensiven Austausch. Franks Erzieherinnen fahren manchmal nach Deutschland, um sich dort weiterzubilden, deutsche Praktikantinnen kommen nach Prag. Der Bedarf an dem zweisprachigen Betreuungsangebot sei mal höher, mal niedriger, sagt die Geschäftsführerin der „Kids Company“. Trotzdem fände sie es immer wieder erstaunlich, wie viele Deutsche in Prag leben würden.

Frank ist fest davon überzeugt, dass sich die Mehrsprachigkeit ihrer Schützlinge nicht nur positiv auf deren Jobchancen auswirkt. „Sie können sich grundsätzlich besser auf andere Menschen einstellen. Wenn sie neue Bekanntschaften machen, müssen sie jetzt schon testen, welche Sprache für ihr Gegenüber besser ist.“ Im deutsch-tschechischen Kindergarten funktioniere das bestens.