„Janáček hat mein Herz durchbohrt“
Dirigent Kaspar Zehnder über seine Prager Zeit, böhmische Komponisten und den „Schweizer Frühling“ in Tschechien
27. 2. 2013 - Interview: Stefan Welzel
Am 5. März wird Kaspar Zehnder (42) mit der Brünner Philharmonie und dem Solisten Radek Baborák den „Schweizer Frühling“ eröffnen. Rund einen Monat lang wird sich die Eidgenossenschaft in den Bereichen Kultur, Tourismus, Wirtschaft und Politik dem interessierten tschechischen Publikum präsentieren. PZ-Redakteur Stefan Welzel sprach mit Zehnder über dessen Einfluss auf die Entstehung des Festivals, tschechische Eigenheiten und einen Schweizer Einsiedler.
Herr Zehnder, Sie waren beruflich unter anderem in Litauen, Rumänien und Tschechien tätig: Woher kommt ihre Affinität für Osteuropa?
Zehnder: Vermutlich aus einem früheren Leben, auch wenn ich eigentlich nicht an so was glaube. Ein prägendes Erlebnis war, als ich als junger Student vor dem Rudolfinum stand. Meine Gedanken waren: Mein Gott, wenn ich hier mal auf der Bühne stehen könnt’… und so kam es ja auch! Hier hatte ich meinen ersten Auftritt als Chefdirigent (Zehnder war von 2005 bis 2008 Dirigent der Prague Philharmonia und somit Nachfolger von Jiří Bělohlávek, Anm. d. Red.). Doch Rumänien, vor allem Transilvanien ist meine Welt. Diese Gegend hat es mir wirklich angetan, von dort stammt auch meine Frau.
Welchen persönlichen Bezug haben Sie zur Stadt Prag?
Zehnder: Nun, das ist etwas komplizierter. Die ersten zwei Jahre hatte ich hier vor allem beruflich mit sehr vielen Problemen zu kämpfen. Mit meiner typisch schweizerisch-demokratischen Einstellung, durch die man direkt und ehrlich miteinander umgeht, hatte ich hier so meine Schwierigkeiten. Ich habe mich total unverstanden gefühlt, und jene Tschechen, die mit mir zu tun hatten, sich wohl auch. Es war auch ziemlich komisch, wie mein Engagement hier endete. Man ließ meinen Vertrag einfach auslaufen, ohne richtig mit mir zu sprechen. Normalerweise redet man irgendwann darüber, ob man weiter zusammenarbeitet oder nicht. Ich brauchte eine gewisse Zeit, um dies zu verarbeiten. Erst nach zwei Jahren und einem sehr schönen Gastauftritt in Prag war ich mit der Stadt wieder versöhnt. Aber in meiner Prager Zeit hatte ich schon zu kämpfen mit den tschechischen Eigenarten.
Welche meinen Sie denn? Und welche Unterschiede bestehen zu ihrer Heimat?
Zehnder: Ich denke, der Kommunismus hat eine Schneise in die Entwicklung des Landes geschlagen. Dass man sich gegenseitig verraten hat und oft niemandem wirklich trauen konnte – das spiegelt sich im Charakter und der Mentalität des Landes und seiner Bewohner wider. Mehr als in anderen ehemaligen sozialistischen Staaten. In Litauen konnte ich feststellen, dass man viel offener miteinander umging. Auf der anderen Seite sind die Tschechen ein sehr kreativer, künstlerischer und kultivierter Menschenschlag mit einem vorzüglichen Humor. Der größte Unterschied liegt im Umgang mit Problemen. Wenn irgendetwas nicht klappt, ob beruflich, privat oder in der Politik – man zeigt immer auf den anderen, übernimmt keine Verantwortung. Vielleicht, weil man diese Fähigkeit in der langen Zeit der Bevormundung verloren hat. Da ticken wir Schweizer schon anders.
Zum „Schweizer Frühling“: Ein Programmpunkt in Hradec Králové ist die Aufführung des szenischen Oratoriums „Nicolas de Flue“ von Arthur Honegger. Eine spezielle Programmwahl – wie kam es dazu?
Zehnder: Niklaus von der Flüe ist ein mittelalterlicher Verfechter des Glaubens, eine mystische Figur in der Schweiz und so etwas wie das eidgenössische Gegenstück zu Jan Hus. Seine Geschichte ist eine urschweizerische Legende und somit ein sehr repräsentativer Programmpunkt. Von der Flüe vermittelte zwischen verfeindeten Lagern und war quasi wie ein Begründer des demokratischen Kompromisses. Es ging ihm darum, dass man einander zuhört. Diese Geschichte ist eine allgemeingültige Metapher, die man überall auf eine Bühne bringen kann.
Wissen Sie, welche Beweggründe zur Schaffung des „Schweizer Frühlings“ führten?
Zehnder: Das Ziel des Initianten und Schweizer Botschafters André Reglis ist es, etwas Nachhaltiges zu hinterlassen. Er möchte vor allem über Kultur, aber nicht nur, die verschiedenen Facetten der Schweiz präsentieren. Der „Schweizer Frühling“ soll so etwas wie eine kleine Landesausstellung in der Fremde sein. Ich habe mich viel mit Herrn Regli ausgetauscht, Ideen zum Programm vorgeschlagen und Namen wie Sophie Hunger und Eric Truffaz ins Spiel gebracht.
Sie hatten also viel Einfluss auf die Entwicklung des Schweizer Frühlings…
Zehnder: Auf die Idee kam Herr Regli eigentlich durch mich. Sie entstand bei einem Treffen in Prag vor rund anderthalb Jahren. Es entwickelte sich ein konstruktives Gespräch, bei dem sich die Grundzüge des Konzepts schon herauskristallisierten. Neben klassischer Musik sollten auch Jazz und Weltmusik, bildende Kunst und Literatur elementare Eckpfeiler dieser kleinen Landesausstellung werden. Wir holten dann auch noch die Wirtschaft, den Tourismusverband und ein wenig Politik an Bord.
Es ist das erste Mal, dass sich die Schweiz hier in Böhmen und Mähren derart präsentiert, obwohl viele Schweizer Künstler vor allem in Prag sehr populär sind: Sophie Hunger, die Industrial-Pioniere „The Young Gods“. Warum ist das so?
Zehnder: Die Namen, die sie nennen, kommen aus einer eher alternativen Schweiz. Diese Szene ist bei uns sehr umtriebig und kreativ, findet allerdings auch nicht viel Nährboden in dem eher konservativen Land. Hier ist das anders. Die Tschechen, besonders die Prager, sind sehr offen für das etwas Andere, Spezielle.
Wie sieht es bei der etablierten Kultur aus? Viele in Tschechien sagen, die großen Konzert-und Theaterhäuser seien zu konservativ ausgerichtet.
Zehnder: Die aktuelle tschechische Musikszene ist bestimmt nicht bahnbrechend, was sie allerdings einmal war. Man denke nur an die Zeiten, als Mozart hier lebte und komponierte, oder an Dvořák und Smetana. Die große Tradition der tschechischen Nationalmusik beherrscht zu stark die Szene. Das führt dazu, dass es moderne Ideen eher schwer haben.
Welcher ist Ihr Liebling unter den tschechischen Komponisten?
Zehnder: Die tschechische Musik ist für mich als Ganzes sehr wichtig. Leoš Janáček halte ich für einen der außergewöhnlichsten Komponisten der Geschichte, seine Musik durchbohrt mein Herz. Bohuslav Martinů wird im westlichen Europa unterschätzt; Dvořák und Smetana übrigens auch, weil man sie einfach auf ein paar wenige Stücke wie „Aus der Neuen Welt“ oder „Mein Vaterland“ reduziert.
Wann sind Sie nach dem „Schweizer Frühling“ wieder auf einer Prager Bühne zu sehen?
Zehnder: Am 6. Mai werde ich an der Seite von Magdalena Kožená als Flötist auftreten. Und 2014 werde ich mit ihr eine Platte aufnehmen. Wie Sie sehen, vor allem beruflich bleibe ich der Stadt Prag nach wie vor stark verbunden.
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