„Tattoos sind wie tolle Autos“
Interview

„Tattoos sind wie tolle Autos“

Kein Profi spielt länger beim 1. FC Nürnberg. Gerade hat Ondřej Petrák seinen Vertrag bis Sommer 2020 vorzeitig verlängert. Ein Gespräch über den Club, die tschechische Nationalelf und seine vielen Tätowierungen

18. 9. 2018 - Text: Klaus Hanisch, Titelfoto: FAČR

PZ: Sie tragen Tattoos auf dem rechten Arm, auf Oberkörper, Schulter, Oberschenkel. Warum sind Tätowierungen bei Fußballern weltweit so sehr in Mode?
Ondřej Petrák: Ich mag Tattoos. Ich weiß nicht warum. Als ich 18 war, schwor ich mir, dass ich der einzige Spieler ohne Tattoos sein würde. Ein Jahr später hatte ich das erste, und dann immer mehr.

Viele Spieler verfolgen damit eine gewisse Symbolik oder nennen Namen. Sie auch?
(deutet auf seinen rechten Oberarm) Hier bekunde ich ein Lebensmotto: Die Familie ist das Einzige, auf das ich nicht verzichten kann! Ich mache nicht alles nach, sondern es muss etwas Sinnvolles sein. Wie eben die Familie.

Tut das nicht ganz schön weh?
Es tut so weh! Ich sage immer, es ist das letzte Mal. Aber zwei Monate später gehe ich wieder hin.

Aber warum, wenn es doch schmerzt? Menschen gehen ja auch nicht alle paar Wochen zum Zahnarzt, wenn es nicht sein muss.
(schmunzelt) Ich verstehe das auch nicht. Doch jeder sagt: Wenn du ein Tattoo hast, dann willst du immer wieder ein neues. Seit einem halben Jahr habe ich Pause. Aber der zweite Arm ist noch frei. Vielleicht für meine Kinder oder wenn ich eine Familie gegründet habe.

Entwickelt sich diesbezüglich eine Gruppendynamik innerhalb einer Mannschaft?
Nein. Obwohl … wenn ich in die Kabine komme, schaut jeder auf mein neues Tattoo und sagt, toll, das sollte ich auch machen. Das ist wie mit Autos. Jeder Mann liebt Autos und wenn einer mit einem neuen kommt, sagen die anderen: Uuuih, sieht das super aus! Das will ich auch haben. So ist es auch bei Tattoos.

Auch Ihr blonder Haarschnitt fällt auf dem Spielfeld sofort ins Auge. Für viele Fußballer spielen Friseure eine wichtige Rolle. Deutsche Nationalspieler sollen sie sogar zur WM nach Russland geholt haben. Legen Sie darauf ebenso viel Wert?
(lacht herzhaft) Nein. Die Leute sagen, Fußballer seien wie Frauen: Immer ein neues Parfüm, eine neue Frisur, und keine Konzentration auf den Fußball. Aber das stimmt nicht, zumindest nicht bei mir. Ich gehe nur alle drei Wochen zum Friseur.

Sportlich erleben Sie turbulente Tage. In Bremen wäre Ihnen beinahe Ihr erstes Tor in der Bundesliga gelungen – wenn nicht der Videoschiedsrichter eingegriffen hätte. Sind Sie prinzipiell für oder gegen den Videobeweis im Fußball?
Wenn ein Schiedsrichter fünfmal auf den Bildschirm guckt und es endlos dauert, bis eine Entscheidung fällt, ist das nicht gut für den Fußball. Manchmal ist es aber auch wichtig, dass er Spielsituationen überprüft.

In Bremen trafen Sie auf Ihre Landsleute Jiří Pavlenka und Theo Gebre Selassie. Spricht man bei solch einem Spiel miteinander, trotz aller Rivalität?
Vor dem Spiel haben wir uns gegenseitig Glück und ein gutes Spiel gewünscht. Zu mehr war nicht Zeit. Danach habe ich Pavlenka gefragt, wie es ihm nach seiner Verletzung geht. Und ich habe ihm auch gesagt, dass ich mich sehr ärgere: Endlich mache ich ein Tor in gefühlt 100 Jahren – und dann zählt es nicht.

Petrák spielt seit Januar 2014 beim 1. FC Nürnberg.  | © ISM

Turbulent verlief auch Ihre erste Berufung in den tschechischen Kader – nach den beiden Spielen trat plötzlich Nationaltrainer Karel Jarolím zurück. Hatte sich das während Ihrer Tage im Kreis der Nationalelf schon abgezeichnet oder kam diese Entscheidung für Sie völlig überraschend?
Ich denke, sein Rücktritt hing nicht nur mit diesen beiden Spielen gegen die Ukraine und in Russland zusammen. Wir haben ja nicht nur jetzt zweimal verloren, sondern auch die Partien davor.

Und wie überrascht waren Sie selbst von Ihrer Berufung, nachdem Sie vier Jahre lang nur Zweite Bundesliga gespielt hatten? Sie hatten ja eher im Sommer 2015 auf die Nationalelf gehofft, nach Ihren starken Leistungen bei der U21-EM in Tschechien.
Ich war schon überrascht davon, dass ich jetzt nominiert wurde. Nach der U21-EM war ich ein paar Wochen verletzt und habe danach nicht mehr regelmäßig gespielt, manchmal nur 20 oder 30 Minuten lang. Ich muss einfach mehr spielen, dann bekomme ich eine Chance.

Jarolím ließ Sie in den Spielen gegen die Ukraine und in Russland auf der Bank. Sie hatten sicher auf ein Debüt gehofft.
Ich sollte im zweiten Match in Russland spielen, aber leider war ich ein paar Tage lang krank. Sehr schade. Trotzdem war diese Woche bei der Nationalelf für mich eine neue tolle Erfahrung. Die A-Elf ist schon was anderes als Juniorenteams. Vielleicht klappt es beim nächsten Mal.

Tschechische Journalisten glaubten, dass Sie in der Heimat schon vergessen seien. Jarolím hat wie Sie eine Vergangenheit bei Slavia Prag. Spielte das möglicherweise eine Rolle für Ihre Berufung?
Eher nicht. Wir waren zwar beide bei Slavia, als ich 17 oder 18 Jahre alt war, aber gemeinsam waren wir nur für zwei Wochen lang dort. Jarolím sagte mir, dass er jedes Spiel auf einer Internet-App verfolgt. Dabei hat er wahrscheinlich auch mich gesehen.

Endlich Nationalelf. Denkt man in solchen Momenten auch mal an den kleinen Prager Vorort-Klub ABC Braník zurück, wo Sie als Kind gespielt haben?
Nein, das liegt schon zu lange zurück. Ich war erst sieben, als ich dort spielte. Allerdings habe ich noch Kontakt zu einem früheren Mitspieler in Braník, der bei Slavia die U8 trainierte. Manchmal schreibt er mir und fragt, wie es mir geht.

Ist die Nationalelf-Karriere nun möglicherweise schon wieder vorbei, nachdem Jarolím weg ist?
Glaube ich nicht. Ich spiele mit Nürnberg wieder in der Bundesliga, ich bekam erstmals eine Einladung – ich habe ein gutes Gefühl!

Liegt es nur an den Trainern, dass Tschechien bei den letzten drei großen Turnieren fehlte und seit 2006 keine WM mehr gespielt hat?
Nein, es liegt sicher nicht nur an den Trainern. Andererseits haben wir immer noch gute Spieler, einige in der Bundesliga, einige wie Patrik Schick in Italien. Ich weiß nicht, warum es derzeit nicht gut läuft.

Sie haben in vielen tschechischen Juniorenteams gespielt. Werden in Tschechien Fehler in der Nachwuchsarbeit gemacht?
Ich bin kein Trainer, aber ich würde manches anders machen. Zum Beispiel so viel wie möglich mit dem Ball spielen lassen. Technische Übungen bis zum 15. Lebensjahr, zwei gegen zwei oder drei gegen drei. Und erst danach Taktik lehren. Warum hat Brasilien so gute Techniker? Weil sie schon als Kinder immer mit dem Ball spielen, wie Neymar sagt.

Bei unserem Gespräch im Sommer 2015 sagten Sie, dass auch ein kleiner Klub wie Nürnberg und die Zweite Bundesliga kein Nachteil sein müssen, um in die Nationalelf zu kommen. Wie sehen Sie es heute?
Für mich persönlich war die Zweite Liga wie die Erste: Anstrengend, viele Zweikämpfe, laufintensiv. Das weiß man in Tschechien aber nicht und sieht es nicht so. Deshalb denke ich jetzt, dass ich bei den Nationaltrainern doch größere Chancen gehabt hätte, wenn ich in den letzten Jahren Bundesliga gespielt hätte.

Sie haben schon vor dem Abstieg 2014 für den Club in der Bundesliga gespielt und galten stets als zuverlässig, waren aber nicht immer Stammspieler. Was muss künftig besser werden, damit Sie in Klub und vielleicht auch Nationalelf regelmäßig spielen?
Schwer zu sagen. Ich hatte auch Pech in meiner Karriere, durch Verletzungen. Oft reicht es schon, zwei Wochen verletzt zu sein und dann muss ich wieder zwei Monate gut arbeiten, um eine Chance zu bekommen. Wenn das zwei- oder dreimal in einer Saison passiert, dann wird man schwer Stammspieler. Aber (klopft auf Holz) jetzt fühle ich mich gut, bin gesund. Mal schauen, wie es weitergeht.

Sie nennen Ihren Landsmann Tomáš Galásek ein Vorbild, der lange in der Nationalelf und ebenfalls in Nürnberg spielte. Was hatte er, was Sie gerne hätten?
Er hatte alles, konnte auf vielen Positionen spielen, war zweikampfstark, dazu ein guter Junge. Er machte als Spieler keine Probleme. Ich bin auch unproblematisch, ein ruhiger Typ, denke nach, bevor ich eine Rote Karte riskiere. Das ist manchmal gut, manchmal auch nicht (lacht). Andere Spieler machen einfach und bekommen dann Rot. Ich will aber vermeiden, für ein paar Spiele gesperrt zu werden und mich dann wieder rankämpfen zu müssen.


„Wenn ich irgendwann wieder nach Tschechien gehen sollte, dann nur zu Slavia!“


In viereinhalb Jahren beim Club hatten Sie fünf Trainer …
… so viele schon …?

Ist das nicht ein Problem, sich fortlaufend auf einen neuen Trainer einstellen zu müssen?
Das stimmt. Für einen Spieler ist das Vertrauen des Trainers wichtig. Deshalb ist es gut, wenn ein Trainer ein paar Jahre bei einem Verein ist. Bei jedem neuen Trainer muss man sich neu beweisen, das ist nicht einfach. Trotzdem war ich in den Jahren hier zufrieden.

Im Winter standen Sie aber angeblich kurz vor einem Wechsel. Was war dran?
Ich habe darüber in der Zeitung gelesen, aber es war nur Spekulation und nichts Konkretes.

Bereits zuvor wurde bekannt, dass Slavia Sie zurückholen wollte.
Slavia hat vor ein paar Jahren mal nachgefragt, wie meine Situation hier ist. Aber gleich danach bekam ich beim Club wieder eine Chance und damit war das Thema erledigt. Ich wollte sowieso lieber in Nürnberg bleiben.

Könnte eine Rückkehr nach Prag nur zu Slavia führen, wo Sie vor Ihrem Wechsel nach Franken gespielt haben, oder auch zum großen Rivalen Sparta?
Wenn ich eines Tages wieder nach Tschechien gehen sollte, dann nur zu Slavia! Ich war gut zehn Jahre dort und auch hier (klopft sich auf die Brust) ist Slavia. Sparta keinesfalls. Das ist wie die Rivalität zwischen Nürnberg und Fürth.

Sie sind der dienstälteste Profi beim 1. FC Nürnberg. Waren Sie sehr enttäuscht, dass der Club erst kurz vor Saisonende Ihren Vertrag verlängerte – obwohl Sie ihm so lange treu sind?
Ich war ein bisschen enttäuscht. Als ich vier Wochen vor dem Urlaub gefragt wurde, ob ich hier zufrieden sei, habe ich sofort gesagt, dass ich gerne bleiben und Bundesliga spielen würde. Man hat mich trotzdem bis zum Ende hingehalten. Aber es hat schließlich geklappt und so bin ich nicht enttäuscht. (schmunzelt)

Man konnte lesen, dass Sie sich in Nürnberg wie zu Hause fühlen. Was ist in Franken für Sie „wie zu Hause“?
Hier ist es wie in Prag. Meine Freundin und ich haben ein Haus, einen kleinen Garten. Die Stadt ist gut, der Fußball ist gut, ich hatte in vier Jahren keinerlei Probleme. Wenn ich etwas brauche, helfen mir die Menschen sofort. Ich gehe mit Mitspielern zum Essen, rede mit meinen Nachbarn. Ich fühle mich hier einfach wohl!

Und was vermissen Sie von zu Hause?
Gar nichts. Und wenn ich meine Familie aus Prag brauche, dann ist sie in zwei Stunden hier. In Tschechien wäre es auch nicht viel anders.

Petrák gehörte im September 2018 erstmals zum Kader der tschechischen Nationalmannschaft.  | © FAČR

Geringer Etat, keine großen Verstärkungen – viele und vieles spricht dafür, dass Nürnberg der erste Abstiegskandidat in der Bundesliga ist. Was spricht für Sie dagegen?
Wir müssen einfach zeigen, dass wir in der Bundesliga bleiben wollen. Gut spielen, Punkte holen. Bayern und Dortmund sind nicht zu erreichen, aber danach sind alle Mannschaften etwa gleich stark. Deshalb entscheiden nur kleine Dinge über die Plätze. Es wird nicht einfach, man muss tatsächlich von Spiel zu Spiel denken, wie es zu Recht heißt.

Hat die Mannschaft dafür genügend Qualität?
Ja! Deswegen spielen wir jetzt auch in der Bundesliga und nicht mehr in der Zweiten Liga.

Sie sind mit 26 Jahren im besten Fußballer-Alter. Spielen Sie jetzt schon eine entscheidende Saison Ihrer Karriere?
Wenn es gut läuft, habe ich in meiner Karriere noch sechs bis acht Jahre vor mir. Das ist lange, auch wenn die Zeit schnell vergeht. Ich kann noch was zeigen und meine Karriere weiter vorantreiben.

Wäre es nicht wichtig für Ihre weitere Entwicklung, einen Klub mit internationalen Ambitionen anzustreben?
(überlegt lange) Das ist eine ganz schwierige Frage. Manchmal habe ich schon überlegt, wie es wäre, wenn ich woanders hingehen würde. Aber dann müsste ich wieder von vorne anfangen. Ich bin schon so lange in Nürnberg, fühle mich hier wie zu Hause. Wenn ein Angebot von einem großen Verein kommt, dann sollte man darüber nachdenken. Denn so etwas kommt vielleicht nur einmal im Leben. Und wenn nicht, dann eben nicht.

Was möchten Sie bis zum Ende Ihrer Karriere noch erreichen?
Warten sie kurz (denkt nach). Das Wichtigste ist, dass ich gesund bleibe. Mein größtes Ziel war immer die Bundesliga. Sie ist für mich einfach die beste Liga der Welt. Mit 18 dachte ich niemals, dass ich hier einmal spielen könnte. Das will jeder tschechische Profi – und es schaffen nur wenige. Deshalb bin ich schon jetzt sehr zufrieden. Ich hoffe, dass ich hier noch ein paar Jahre bleiben kann, mehr geht für mich kaum. Vielleicht nur, noch etwas mit der Nationalelf zu erreichen. Das könnte zum Beispiel ein dritter oder vierter Platz bei einer Europameisterschaft sein.

Und wenn der Club doch absteigt?
Dann spiele ich wieder in der Zweiten Liga.


ZUR PERSON

Ondřej Petrák wurde 1992 in Prag geboren, spielte in seiner Kindheit bei kleineren Vereinen wie SK Olympie Dolní Břežany und ABC Braník und ab 2000 bei Bohemians Prag. 2002 schloss er sich Slavia Prag an, kickte zunächst für Jugend- und Juniorenmannschaften und ab Oktober 2010 in der ersten tschechischen Liga. Im Januar 2014 verpflichtete ihn Bundesligist 1. FC Nürnberg. Der Defensivspieler ist damit der Einzige, der schon vor dem Abstieg 2014 für den Club spielte und in diesem Sommer den erneuten Aufstieg miterlebte. Petrák absolvierte alle tschechischen Juniorenteams von der U16 bis zur U21.   (khan)