Im Abgrund

Im Abgrund

Forscher entdecken in Mähren die tiefste Unterwasserhöhle der Welt

6. 10. 2016 - Text: Franziska NeudertText: Franziska Neudert; Foto: ČTK/AP/Krzysztof Starnawski

Er fühle sich wie der Kolumbus des 21. Jahrhunderts, sagte Krzysztof Starnawski, nachdem er mehr als 200 Meter in die Tiefe getaucht war. Den Rest übernahm ein Unterwasserroboter. Bis 404 Meter konnte ihn Starnawski hinablassen; dann reichte das Kabel nicht mehr. Der Roboter war zwar noch nicht auf dem Grund angelangt, doch dem Taucher war klar: Mit dieser Marke hat das tschechisch-polnische Wissenschaftlerteam unter seiner Leitung am 27. September die bisher tiefste Unterwasserhöhle der Welt entdeckt. Der Weißkirchener Abgrund (Hranická propast) befindet sich am rechten Ufer des Flusses Betschwa (Bečva) in Mähren. Bisher nur eine unter zig Höhlen in Tschechien, übertrifft sie nun den bisherigen Rekordhalter Pozzo del Merro bei Rom um zwölf Meter.

Bereits im Jahr 1999 hatte Starnawski das Gevatterloch, wie die Höhle auch genannt wird, erstmals erkundet. Aufgrund ihrer Formation vermutete er, dass sie extrem weit nach unten führen könnte. Weitere Untersuchungen bestätigten seinen Verdacht. Vor knapp zwei Jahren gelangte er bei einem Tauchgang bis 200 Meter unter die Wasseroberfläche. Als der 58-Jährige dachte, den Grund erreicht zu haben, stieß er auf eine schmale Öffnung – der Anfang eines engen Tunnels, der noch weiter nach unten führte. Starnawski ließ eine Sonde in die Finsternis hinab, sie stoppte bei einer Tiefe von 384 Metern. Wahrscheinlich war sie auf einer Ansammlung von Geröll stecken geblieben.

Also versuchten es die Taucher im September erneut – und stellten dabei einen Rekord auf. Starnawski betonte jedoch, dass das keineswegs seine Absicht gewesen sei. Ihm ging es darum, Sphären zu erforschen, die jenseits der menschlichen Reichweite liegen. „Wir wollten einen Roboter so weit wie möglich nach unten schicken. Die Ergebnisse waren verblüffend“, sagte Starnawski. „Aber Roboter können nicht unsere Arbeit erledigen. Wir Menschen müssen ihnen noch immer zeigen, wo es langgeht.“

Land der Höhlen
Laut offiziellen Angaben gibt es in Tschechien 2.227 Höhlen und Schluchten. Die meisten befinden sich in Mähren, lediglich 378 liegen in Böhmen. Seit 1992 stehen sie unter Naturschutz; Höhlen von archäologischem Wert gelten zudem als Denkmäler. Gerade einmal 14 Höhlen sind öffentlich zugänglich. Die meisten Besucher ziehen die Punkva-Höhlen (Punkevní jeskyně) im Mährischen Karst an. 2015 kamen etwa 174.000 Touristen. Den mit knapp 35 Kilometern längsten unterirdischen Hohlraum des Landes kann man nicht betreten. Er befindet sich ebenfalls im Mährischen Karst, trägt den Namen Amateur-Höhle (Amatérské jeskyně) und umfasst ein ganzes Höhlensystem. Das Landschaftsschutzgebiet beherbergt einen weiteren Superlativ: In das auf die Fläche bezogen größte Höhlensystem, die Rudicer Senkung (Rudické propadání), passen etwa 21 Fußball­felder.  


Unterirdische Weltrekorde
Die Mammut-Höhle im US-Bundesstaat Kentucky ist mit 627 Kilometern die längste der Welt. Seit dem Jahr 1981 zählt sie zum Unesco-Weltnaturerbe. Insgesamt 2.197 Meter ließen sich die Forscher in Georgien hinab, als sie den tiefsten Hohlraum im Jahr 2007 erkundeten. Die Woronja- oder auch Krubera-Höhle befindet sich nahe dem Schwarzen Meer. Die längste Unterwasserhöhle bildet das unterirdische Flusssystem der Yucatán-Halbinsel in Mexiko. Es misst eine Gesamtlänge von 311 Kilometern. Etwa 50 Kilometer von Salzburg liegt die Eisriesenwelt, entdeckt wurde sie im Jahr 1879. Mit 42 Kilometern Länge ist sie die weitläufigste Eishöhle. Heute ist sie ein beliebtes Ausflugsziel; die ersten öffentlichen Touren führten im Jahr 1920 durchs Eis. Am Osthang des Vulkans Kīlauea auf Hawaii führt die tiefste Lavahöhle der Welt ins Erdreich hinab. Sie reicht 1.101 Meter ins Erdreich.   (fn)