Volles Rohr böhmisch
Tradition

Volles Rohr böhmisch

Sie waren dreimal Europameister der böhmisch-mährischen Blasmusik – kommen jedoch aus Franken. Im Januar präsentieren die Hergolshäuser Musikanten zehn Stunden Blasmusik an einem einzigen Tag

5. 1. 2019 - Text: Klaus Hanisch, Titelbild: Priscilla du Preez

Kaum hat das Jahr 2019 begonnen, da führen die Hergolshäuser eine Großveranstaltung durch, die fürwahr den Begriff „Event“ verdient. Sie heißt „Zauber der Blasmusik“ und geht über zehn Stunden, von zehn Uhr morgens bis acht Uhr abends. Ein Marathon-Festival! Nicht umsonst trägt es den Beinamen „… volles Rohr böhmisch“.

Eineinhalb Stunden spielen die fränkischen Musiker selbst, den Rest besorgen am 27. Januar drei Gast-Kapellen. Allesamt ausgewiesene Könner der böhmisch-mährischen Blasmusik, sie kommen diesmal aus Oberschwaben, Kärnten und vom Tegernsee. Dieses Ereignis mutet mit seiner Länge sportlich an. Doch Katja Lutz, die sich um das Management der Hergolshäuser kümmert, verweist auf weiter steigende Besucherzahlen. „Viele können sich dafür begeistern, einen ganzen Tag lang Blasmusik zu hören.“

Dies liege vor allem daran, dass böhmische Musik anders und viel direkter wirke, wenn sie live gespielt werde, ergänzt Dirigent Rudi Fischer. Und damit könnten Playback-Fernsehsendungen einfach nicht konkurrieren, selbst wenn sie von Millionen gesehen werden. Zudem verweist Fischer darauf, dass böhmische Musik nicht mehr so häufig im Radio zu hören sei. Deshalb müssten echte Fans eben die Konzerte besuchen – und das tun sie auch.

Viele Zuhörer sind zwar schon jenseits der 60, aber „auch junge Leute sind darunter, außerdem viele Musiker und Musikvereine“, so Lutz. Und weil die Fans so zahlreich sind, spielen die Hergolshäuser im März 2019 bereits ihre neunte CD ein. Wieder im Saal eines stillgelegten Kernkraftwerkes, in dem sie schon ihre Weihnachts-CD produziert haben, mit Hilfe eines mobilen Tonstudios.

Etwa 30 Musiker spielen im Orchester. | © Hergolshäuser Musikanten

Die Hergolshäuser Musikanten wurden 1973 gegründet, damals noch als rein örtliche Dorfkapelle. „Und wir spielen immer noch bei Beerdigungen, Prozession, Christmette oder Geburtstagsständchen“, erläutert Katja Lutz. Das sei „Kulturgut und darf nicht verloren gehen“ in der kleinen Gemeinde mit rund 600 Einwohnern.

Solch lokale Auftritte in kleiner Besetzung stehen fortlaufend im Terminkalender, große Events in Hallen und Festzelten mit der gesamten Kapelle etwa jedes zweite Wochenende. Ein umfassendes Programm, zumal für ein Laienblasorchester, bei dem jeder Musiker einen Beruf ausübt. Etwa 30 gehören den Hergolshäusern an, die Hälfte von ihnen bildet seit Jahren den „harten Kern“. Sie sind Amateure im besten Sinne, meist zwischen 40 und 50 Jahre alt, auch Teenager wirken mit, der älteste ist schon über 70. Was sie verbinde, sei eine tiefe Partner- und Kameradschaft – und „der Spaß an der böhmischen Musik“, betonen Katja Lutz und Rudi Fischer übereinstimmend.

Fischer ist Spiritus Rector der Hergolshäuser, übernahm 1981 schon mit 20 Jahren ihre Leitung. Im Hauptberuf ist er Diplom-Ingenieur, mittlerweile auch staatlich anerkannter Dirigent für Laienblasorchester. Und er komponiert und textet viele Titel selbst. Mit seinen Arrangements und Tempiwechsel prägte Fischer Sound und Stil der Musikanten. Seine Kompositionen werden auch von anderen Kapellen deutschlandweit gespielt. Katja Lutz bezeichnet ihn als „leidenschaftlichen Blasmusiker“, der viele Musiker motiviert habe, bei den Hergolshäusern mitzumachen.

Sie spielt seit 1984 in der Kapelle, schon ihr Großvater war Dirigent, auch der Vater hatte sich der Musik verschrieben – familiäre Vorbestimmung ist bei Mitgliedern oft üblich. Einig sind sie sich auch darin, „nicht Stimmungs- und Schunkelmusik spielen zu wollen, sondern vor allem böhmisch“, so Katja Lutz. Denn: „Das groovt, das können wir, das macht am meisten Spaß, da fühlen sich die Musiker wohl – da geht einfach unser Herz auf!“

Wobei man zwischen böhmischer und mährischer Blasmusik unterscheiden müsse. Die böhmische sei nicht so schnell, dafür geradliniger und melodiöser, wurde Rudi Fischer zitiert. Sie gehe einfacher ins Ohr und sei eher was fürs Gemüt. Die mährische Musik bezeichnete er dagegen als hoch, laut, vielfach mit Trompete und mit „vielen Soli und Schnörkel“. Dies gefalle besonders der Jugend, da sei „mehr Action“ drin.

Tubaspieler | © CC0

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