„Ich habe in vielen Menschen etwas bewirkt“

„Ich habe in vielen Menschen etwas bewirkt“

Gudrun Pausewang über Heimat, ausbleibenden Widerstand und die Verantwortung von Erwachsenen

30. 3. 2018 - Interview: Klaus Hanisch


> zum Artikel: Vermächtnis einer großen alten Dame


PZ: Sie haben in 90 Lebensjahren vielen Höhen erlebt, aber auch manche Tiefen. Was ist Ihre Botschaft an die nächste Generation?
Gudrun Pausewang: Versucht im Kleinen als auch im Großen so miteinander umzugehen, dass kein sozialer Unfrieden entsteht. Denn er ist einer der Gründe, die im Ergebnis zu Kriegen führen.

Was geben Sie speziell Deutschen und Tschechen mit auf den Weg in die nächsten Jahrzehnte?
Wir sind Nachbarn! Zu Nachbarn ist man freundlich. Die Tschechen, die die Deutschen hinauswarfen, gehörten einer anderen Generation an.

Viele Vertriebene geben sich bis heute unversöhnlich. Was waren Ihre Beweggründe, Bücher über die „Geschichte einer Versöhnung“ und „Freundschaft über Grenzen“ zu schreiben?
Ich bin grundsätzlich eine Kriegsgegnerin.

Sie haben deutsch-tschechische Geschichte hautnah erlebt und auch viele Kinderbücher veröffentlicht. Was können Kinder im Bezug auf die deutsch-tschechischen Beziehungen anders und besser machen als ihre Vorfahren?
Sie können Kriege ablehnen und den Frieden betonen. Sie können versuchen, Vorurteile zu entkräften, indem sie Freundschaften untereinander pflegen.

Sie waren anfangs selbst von Hitler begeistert, später entsetzt und voller Schmerz über die Verbrechen der Nationalsozialisten. Wie können sich junge Menschen heute gegen solch ein verderbliches ideologisches Gedankengut schützen?
Ältere Menschen können jungen Menschen ein harmonisches, demokratisches Leben vorleben. Sie können den jungen Leuten zeigen, wie man friedlich zusammenleben kann. Junge Leute pflegen ältere nachzuahmen, wie Kinder ihre Eltern.

Es gibt das Zitat von Ihnen: „Heimat ist nach meinem Dafürhalten ein Begriff, der in die Vergangenheit gehört.“ Warum ist Heimat heute für Sie nicht mehr wichtig?
Weil der Begriff „Heimat“ heute gar nicht mehr anwendbar ist. Wo ist „Heimat“, wenn man in München geboren ist, die ersten beiden Lebensjahre in Erfurt, die drei nächsten Jahre in Berlin, das nächste Jahr in Fulda usw. gelebt hat? Da muss man mit allen ohne Heimat, aber in Freundlichkeit abgesichert leben. Die Arbeit entscheidet in Zukunft, wo man lebt!

Die Rosinkawiese in Ostböhmen  | © Heimatverein Adlergebirge

Literarisch kehrten Sie immer wieder zu Ihrer böhmischen Herkunft zurück, so auch im letzten Buch von 2016 „So war es, als ich klein war: Erinnerungen an meine Kindheit“. Haben Sie Böhmen nach der Vertreibung noch öfter besucht oder war es Ihnen danach ein fremdes Land?
Ich war nach dem Zweiten Weltkrieg mindestens 15 Mal in Ostböhmen, meiner alten Heimat. Inzwischen habe ich dort viele Freunde. Das tschechische Volk ist genau so freundlich und unfreundlich wie das deutsche. Mit den Tschechen, denen jetzt unsere Rosinkawiese gehört, verbindet uns eine intensive Freundschaft.

Man nennt Sie die wohl bedeutendste lebende Schriftstellerin aus dem Adlergebirge. Für Ihre Arbeit haben Sie sehr viele Auszeichnungen erhalten. War für die Kämpferin für Frieden, Umwelt und gute Nachbarschaft auch eine Ehrung aus Tschechien dabei?
Das Dorf, aus dem ich stamme, hat mir viele Ehrungen zukommen lassen. Ein Lehrpfad zum Beispiel zeigt Teile meines Lebens in tschechischer Sprache. Ich habe auch – auf Wunsch der jeweiligen tschechischen Bürgermeister – Lesungen in meinem Dorf, in dem ich geboren bin, gehalten.

Sie sind außergewöhnlich produktiv und Ihr Erfolg als Kinder- und Jugendbuchautorin dauert seit Jahrzehnten an. Sind Kinder die besseren Leser und werden Jugendbuchautoren zu gering geschätzt?
Früher wurde von Jugendlichen viel mehr gelesen als jetzt. Ich habe auch über 20 Bücher für Erwachsene geschrieben. Mir war es egal, ob ich als Jugendbuchautorin mehr oder weniger geschätzt werde, denn als Erwachsenenautorin. Was mich betrifft: Ich lernte die Welt über Bücher kennen.

Im preisgekrönten Buch „Die letzten Kinder von Schewenborn“ beschreiben Sie das Szenario nach einem Atombombenabwurf. Das Jugendbuch „Die Wolke“ erläutert die Folgen eines fiktiven Reaktorunfalls. Warum hat Sie gerade die Atomtechnik so sehr interessiert?
Weil über die Atomtechnik sehr, sehr viele Menschen sterben würden. Siehe Tschernobyl. Die Atomwaffen sind – bis jetzt – die schlimmsten Waffen!

„Etwas lässt sich doch bewirken“ ist ein Romantitel von 1984. Sie sagten, als Bürger eines demokratischen Systems sei man mitverantwortlich für die Politik seines Landes und damit auch für das Wohlergehen seiner Mitbürger. Denken Sie, es ist Ihnen gelungen, etwas zu bewirken?
In vielen Menschen habe ich etwas bewirkt. Aber ich müsste in noch viel mehr Menschen etwas bewirken! Und nicht nur ich! Von allen Menschen müsste ein Widerstand gegen Kriege und ein Puls für das Wohlergehen aller seiner Mitbürger ausgehen! Erst dann würde sich mehr zum Positiven ändern. Vor mir gab es ja auch schon Leute, die Kriege und Atomwaffen rigoros ablehnten. Aber es waren nicht alle Leute. Vielleicht ändert sich erst dann die Menschheit, wenn sie in bedrohlicher Lage ist, ausgerottet zu werden.