Absteiger des Jahres

Absteiger des Jahres

In Europa hat sich die Pressefreiheit so verschlechtert wie in keiner anderen Region der Welt. Tschechien gehört zu den Ländern, die in der Liste von „Reporter ohne Grenzen“ am weitesten abgerutscht sind

26. 4. 2018 - Text: Klaus Hanisch

Das Bild war eindeutig: Während einer Pressekonferenz im Oktober 2017 hielt Tschechiens Staatspräsident Miloš Zeman eine Kalaschnikow-Attrappe aus Holz in der Hand. Darauf die Aufschrift: „na novináře“ – für Journalisten. Dass zudem eine Flasche Becherovka in die Attrappe eingebaut war, entschuldigte den bekannten Schnaps-Liebhaber Zeman nicht wirklich.

Doch nicht nur diese „Entgleisung des Präsidenten“ veranlasste die NGO, Tschechien um elf Plätze schlechter zu platzieren als 2016. Das Land rutschte auf Rang 34 von insgesamt 180 Ländern ab, in denen „Reporter ohne Grenzen“ die Lage der Pressefreiheit ständig beobachtet.

„Im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise gab es wiederholt Versuche von politischen und wirtschaftlichen Gruppen, durch das Schalten von Anzeigen auch die Berichterstattung inhaltlich zu steuern“, kritisiert die Organisation nun an Tschechien. Ihr missfällt, dass Oligarchen mit verzweigten Geschäftsinteressen noch immer einen Großteil der tschechischen Medien kontrollieren. Wie vor allem Andrej Babiš, der Ministerpräsident ist und zugleich die beiden wichtigsten Zeitungen des Landes steuert – wenn auch aus dem Hintergrund.

„Mehrere aktuelle Gesetzentwürfe zielen darauf, das Strafmaß für Verleumdung in Tschechien zu erhöhen, insbesondere für Präsidentenbeleidigung“, warnen die „Reporter“ zudem aktuell. Obwohl die Verfassung der Tschechischen Republik Meinungs- und Pressefreiheit garantiere und lediglich Äußerungen missbillige, die etwa die nationale Sicherheit gefährden oder die öffentliche Moral stören.

Tschechien ist nur ein Beispiel dafür, dass Journalistinnen und Journalisten immer öfter medienfeindlicher Hetze durch Regierungen oder führende Politiker ausgesetzt sind. Dies schaffe „ein feindseliges, vergiftetes Klima, das oft den Boden für Gewalt gegen Medienschaffende oder für staatliche Repression bereitet“, zeigt sich die Organisation besorgt.

„Demokratien leben von öffentlicher Debatte und Kritik. Wer gegen unbequeme Journalistinnen und Journalisten polemisiert oder gar hetzt und die Glaubwürdigkeit der Medien pauschal in Zweifel zieht, zerstört bewusst die Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft“, fügt Katja Gloger hinzu, die Vorstandssprecherin von „Reporter ohne Grenzen“. Wer glaube, Hass und Verachtung gegen Journalisten schüren zu müssen, beginne angesichts „wachsender populistischer Kräfte ein Spiel mit dem Feuer“, so Gloger.


„Babišs Einfluss auf die Medien dürfte faktisch kaum zurückgegangen sein.“


Leider sei das auch in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union immer öfter der Fall. Wie in der Slowakei, die um zehn Plätze auf Rang 27 rutschte. Bevor der Investigativreporter Ján Kuciak im Februar 2018 ermordet wurde, beschimpfte der inzwischen zurückgetretene Ministerpräsident Robert Fico Journalisten als „dreckige anti-slowakische Prostituierte“, „Idioten“ und „Hyänen“. Immer wieder würden Journalisten eingeschüchtert oder von Politikern verklagt. Auch in der Slowakei sind etliche Medien in der Hand lokaler Oligarchen, zudem gerät der staatliche Rundfunk zunehmend unter politischen Druck.

In Polen (Rang 58) hat die national-konservative Regierung nach ihrem Amtsantritt Ende 2015 bereits den öffentlichen Rundfunk unter ihre Kontrolle gebracht. Regierungskritische private Medien stehen ebenfalls stark unter Druck. „Schlagzeilen machte das Land zuletzt durch ein problematisches Gesetz zu Äußerungen über den Holocaust sowie durch den Versuch des Nationalen Rundfunkrats, den Nachrichtensender TVN24 für seine Berichterstattung über Demonstrationen der Opposition mit einer Rekord-Geldstrafe zu belegen“, vermerkt der neueste Bericht von „Reporter ohne Grenzen“.

In Ungarn – nur noch auf Rang 73 – bestimme die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán „mit teils wörtlich vorgefertigten Stücken“ die Berichterstattung im staatlichen Rundfunk, wie die „Reporter“ analysierten. Im Sommer 2017 kauften Orbán-freundliche Unternehmer die letzten unabhängigen Regionalzeitungen auf.

Weltkarte der Pressefreiheit 2017

Tschechien ist für die „Reporter ohne Grenzen“ mit Blick auf die Pressefreiheit einer der „Absteiger des Jahres“ in Europa, gemeinsam mit der Slowakei, Malta und Serbien. Das kommt nicht überraschend. Schon nach der Parlamentswahl im Oktober 2017 hatte die Organisation darauf hingewiesen, dass sie „besorgt über die Gefahr einer Konzentration von Regierungs- und Medienmacht nach der Parlamentswahl in Tschechien“ sei. Diese Wahl werfe „ein Schlaglicht auf die äußerst beunruhigende Verquickung von wirtschaftlichen Interessen, politischen Ambitionen und Medienmacht in Tschechien“, sagte Geschäftsführer Christian Mihr.

„Viele wichtige Medien in Tschechien sind zur Beute von Geschäftsleuten geworden, denen es vor allem um den Schutz ihrer Geschäftsinteressen vor Konkurrenten und Kritik geht“, bekundete Mihr. Versuche, diese Machtkonzentration mit Gesetzen zu stoppen, seien kläglich gescheitert. Mitte 2013 kaufte Babiš deutschen Eigentümern das größte Medienunternehmen Tschechiens ab. Der Konzern Mafra gibt die zweitgrößte Tageszeitung des Landes „Mladá fronta Dnes“ heraus. Und ebenso die Tageszeitung „Lidové noviny“, die Gratiszeitung „Metro“ sowie „iDNES.cz“, eine der meistgelesenen Online-Nachrichtenseiten. Wenig später erwarb Babiš auch „Radio Impuls“, den meistgehörten privaten Radiosender, sowie den Musik-Fernsehsender „Óčko“.

Für „Reporter ohne Grenzen“ besteht ein enger Zusammenhang darin, dass sich Babiš gerade dann auf dem tschechischen Medienmarkt engagierte, als er auch in der Politik des Landes eine immer wichtigere Rolle spielte. „Daran, dass Babiš willens ist, seinen Einfluss auf die Medien in seinem Besitz politisch zu nutzen, besteht kaum Zweifel“, resümierten die „Reporter“ im Herbst. Dies habe er schon dadurch bewiesen, dass Babiš immer wieder Exempel an missliebigen Journalisten statuierte. Nicht ohne Grund hätten zahlreiche renommierte Journalisten die Mediengruppe verlassen.

Ein vom Parlament im Jahr 2016 verabschiedetes Gesetz gegen Interessenkonflikte, in Tschechien als „Lex Babiš“ bekannt, verbiete Regierungsmitgliedern nun zwar den Besitz von Medien. „Tatsächlich hat Babiš seine Unternehmen danach formell einer Treuhandgesellschaft überschrieben, doch faktisch dürfte sein Einfluss kaum geschrumpft sein“, notierte die Organisation. Denn eine zentrale Rolle in dieser Gesellschaft nehmen Getreue des Regierungschefs ein.

„Reporter ohne Grenzen“ verwies im Oktober darauf, dass aber auch andere finanzstarke Unternehmer ihr Interesse an tschechischen Medien offenbarten. Genannt wurden etwa der Finanzinvestor Marek Dospiva, der eine Regionalzeitungsgruppe kaufte und der Energie-Unternehmer Daniel Křetínský, der gleich mehrere Zeitungen aus einem Joint Venture von Axel Springer und Ringier übernahm. Außerdem der ehemalige Bergbau-Unternehmer Zdeněk Bakala, dem die „Wirtschaftszeitung“ („Hospodářské noviny“), das Wochenmagazin „Respekt“ sowie ein Nachrichtenportal gehören.

Immer wieder nimmt die „Reporter“-Organisation verbale Ausfälle von Staatspräsident Miloš Zeman gegen Journalisten auf. Etwa, als er am Rande einer Sitzung des Europarats in Straßburg dazu aufforderte, einen Kameramann des öffentlichen Fernsehsenders ČT24 aus seinem Blickfeld zu schaffen, weil er ihn andernfalls umbringen werde. Während einer Pressekonferenz mit Russlands Präsident Wladimir Putin in China merkte Zeman an, dass es zu viele Journalisten gebe und man sie eliminieren solle. Sein angespanntes Verhältnis zu Medien führen „Reporter ohne Grenzen“ auf Zemans Zeit als tschechischer Ministerpräsident von 1998 bis 2002 zurück.

An die Spitze der Rangliste zur Pressefreiheit hat „Reporter ohne Grenzen“ erneut Norwegen gesetzt, gefolgt von Schweden. Deutschland liegt auf Rang 15. Am Ende stehen – wie schon 2017 – Nordkorea (180.), Eritrea (179.) und Turkmenistan (178.), die von Diktatoren beherrscht werden und keinerlei unabhängige Medienberichterstattung kennen.


Reaktionen aus Tschechien: „Die Medien sollten sich zur Wehr setzen“