„In Sachsen und Bayern könnte viel mehr passieren“

„In Sachsen und Bayern könnte viel mehr passieren“

25 Jahre deutsch-tschechischer Jugendaustausch: Fast alle Bundesländer beteiligt

28. 1. 2015 - Text: Klaus Hanisch

Vor 25 Jahren, genau im November 1990, schlossen Deutschland und die damalige Tschechische und Slowakische Föderative Republik (ČSFR) ein Abkommen über die Zusammenarbeit und den Austausch von Jugendlichen. Sechs Jahre später verständigten sich beide Länder darauf, zwei Koordinierungszentren einzurichten, um den deutsch-tschechischen Jugendaustausch zu intensivieren. Im April 1997 wurden diese Zentren unter dem Namen „Tandem“ in Regensburg und Pilsen eröffnet. Sie sind die zentralen Fachstellen für den Jugend- und Schüleraustausch zwischen beiden Staaten. Im Gespräch mit PZ-Autor Klaus Hanisch zieht Thomas Rudner, Leiter von Tandem in Regensburg, eine Bilanz.

Wie viele Jugendliche und Schüler aus Deutschland und Tschechien haben sich nach Abschluss der Vereinbarung in den letzten 25 Jahren getroffen?

Thomas Rudner: Schwierig zu schätzen, aber mit Sicherheit eine sechsstellige Zahl. Wenn auch nicht so hoch wie beim deutsch-polnischen Jugendaustausch, weil die Zahl der Maßnahmen geringer und Tschechien weitaus kleiner als Polen ist. Es dürften trotzdem einige Hunderttausend gewesen sein.

Wie hat sich der Austausch zwischen beiden Ländern in den letzten Jahren entwickelt?

Rudner: Er geht immer mehr weg von der reinen Begegnung und hin zu inhaltlichen Treffen. Es gibt wesentlich mehr Zusammenarbeit von Fachkräften und zu bestimmten Themen. In diesem Jahr geht es bei uns um „Gesundes Aufwachsen“. Weiterer inhaltlicher Schwerpunkt ist die transnationale Erinnerungsarbeit, die 70 Jahre nach Kriegsende besonders aktuell ist. Außerdem haben wir seit 15 Jahren ein sehr erfolgreiches Austauschprogramm für Jugendliche in der beruflichen Erstausbildung. Sie erhalten die Möglichkeit, im Nachbarland ein freiwilliges Praktikum in ihrem Ausbildungsberuf zu absolvieren. Damit erreichen wir pro Jahr über 300 Jugendliche, die im Schnitt drei Wochen im anderen Land verbringen.

Wie finden Sie „Austausch-Jugendliche“ – oder finden die Sie?

Rudner: Für den Austausch sind Jugendverbände oder freie Träger der Jugendarbeit verantwortlich. Und die finden uns, weil es bei uns Fördermittel dafür gibt. Aber wir versuchen, diese Träger durch die erwähnten inhaltlichen Initiativen auf uns aufmerksam zu machen. Für einzelne Jugendliche mit Interesse am Nachbarland gibt es das Projekt „Ahoj-Info“, wo Freiwillige im Rahmen des Europäischen Freiwilligendienstes Seminare veranstalten. Sonst müssen wir sie auf Austauschprogramme verweisen.

Wo liegt das Interesse von Jugendlichen an einem Austausch? Ist es letztlich oft nur ein Pflichtprogramm an Schulen?

Rudner: Wir dürfen nur den außerschulischen Jugendaustausch fördern, weil wir eine Bundeseinrichtung sind. Und dieser Aus­tausch ist komplett freiwillig. Dafür haben Verbände eine gewisse Tradition entwickelt. Als sehr aktive Beispiele kann man die sudetendeutsche Jugend anführen, ebenso die Naturfreunde-Jugend, das Deutsche Jugendherbergswerk oder das Jugendwerk der Arbeiterwohlfahrt, deren Programme wir fördern. Es kommen aber auch immer wieder neue Verbände dazu, etwa aus dem musischen Bereich die Chorjugend. Dadurch ergibt sich eine ganz bunte Mischung.

Und wer kümmert sich um den Austausch von Schülern und Schulen, aus denen nicht selten größere Partnerschaften zwischen Kommunen entstehen?

Rudner: Schüleraustausch ist Ländersache. In Bayern gibt es zum Beispiel etwa 170 stabile deutsch-tschechische Partnerschaften zwischen Schulen aller Arten, die sich regelmäßig treffen und zusammenarbeiten. Wir sind zuständig für die Qualifizierung von Lehrkräften, die sich im Schüleraustausch engagieren, und versuchen, unsere Erfahrungen auch im schulischen Austausch unterzubringen.

Können Sie konkret weiterhelfen, wenn zum Beispiel eine Jugendfeuerwehr in der Oberpfalz nach einer Partnerwehr in Tschechien sucht?

Rudner: Ja, da helfen wir weiter. Sollte diese Jugendfeuerwehr schon einen tschechischen Partner haben, dann fördern wir ebenfalls Begegnungen, sofern gewisse Voraussetzungen erfüllt werden und der Antrag über den Bundesverband der Feuerwehr gestellt wird. Normalerweise werden fünf Programmtage gefördert, es gibt aber auch Geld und bestimmte Fördersätze für kleinere Projekte.

Verläuft der Austausch zwischen Deutschland und Tschechien für Sie zufriedenstellend?

Rudner: Gerade in den beiden angrenzenden Bundesländern Sachsen und Bayern könnte noch sehr viel mehr passieren. Seit der Gründung von Tandem 1997 und auch schon vorher hat sich der deutsch-tschechische Jugendaustausch bundesweit entwickelt. Nur ein Bundesland, nämlich Bremen, hat sich in den letzten zehn Jahren nicht daran beteiligt.

Was könnte noch passieren?

Rudner: Es könnte mehr Initiativen von unten geben. Jugendgruppen oder einzelne Jugendliche etwa in Oberfranken, der Oberpfalz oder Niederbayern könnten sich mehr für das Nachbarland interessieren. Auch in Sachsen sehen wir noch viel Potenzial nach oben im Jugendaustausch mit Tschechien. Wir finden sehr gut, dass Bayern gerade eine Vertretung in Prag eröffnet hat und sich stärker auf den Nachbarn zubewegt. Wir erhoffen uns durch die Vertretung eine Intensivierung der bayerisch-tschechischen Beziehungen, auch im Jugendaustausch (Sachsen unterhält bereits seit 2012 eine Vertretung in Prag, Anm. d. Red.).

Der Deutsch-Tschechische Jugendrat – zentrales Gremium für den deutsch-tschechischen Jugendaustausch – empfahl, die jeweilige Nachbarsprache stärker zu thematisieren. Ist die Sprache ein Hemmnis für den Ausbau des Jugendaustauschs?

Rudner: Man kann nicht erwarten, dass Tschechisch in Nordrhein-Westfalen eine Rolle spielt. Aber die Sprache sollte in den deutschen Grenzbezirken mehr beachtet werden. Dies gibt es bisher nur durch einzelne Initiativen, wie bei Realschulen in der Oberpfalz. Oder von Landräten wie in Freyung-Grafenau, der die tschechische Sprache an den Schulen besser verankern will. Aber es gibt dafür kein durchgängiges Konzept.

Tschechisch als Pflichtfach an den Schulen?

Rudner: Ein Zugang wäre, dass eine Schule jeder Schulart in jedem bayerischen Grenzlandkreis Tschechisch anbietet. Ein anderer Zugang ist der der Sigmund-Wann-Realschule in Wunsiedel, die Tschechisch als Wahl-Pflichtfach eingeführt hat. Schüler können sich für die Mittlere Reife darin prüfen lassen. Wichtig ist jedoch, dass es überhaupt Angebote gibt. Sprache und die direkte Begegnung sind auch im Computer-Zeitalter die entscheidenden Kommunikationsformen.

Gibt es dafür auch Tandem-Projekte?

Rudner: Im Rahmen von „Šprechtíme“ führen wir das Projekt „Nachbar. | Sprache? | Tschechisch!“ durch, das inzwischen viele Schulen vor allem in Tschechien erreicht hat. Außerdem „Gemeinsam in einem Boot“, in dem wir im Schüler- und Jugendaustausch Austauschgruppen, die in Englisch kommunizieren, zur Kommunikation in der jeweils eigenen Sprache bewegen wollen. In den Grenzgebieten hatten wir Vorschulprojekte für Kinder ab drei Jahren, um Begegnungen zu fördern und Grundsteine für ein besseres Zusammenleben dort zu legen.

2013 hat der Jugendrat die beiden Tandem-Büros damit beauftragt, neue Schwerpunkte zu setzen, um das Interesse am bilateralen Austausch zu erhöhen. Das klingt so, als ob es nachgelassen hätte.

Rudner: Nach dem EU-Beitritt Tschechiens entwickelte sich der Austausch in der Tat für kurze Zeit rückläufig. Das hat sich in den letzten Jahren wieder geändert. Trotzdem haben wir die Träger, die bei uns Anträge stellen, nach unserer Rolle befragt und sie haben uns erklärt, dass sie eine stärkere thematische Orientierung wünschen. Das haben wir zuletzt umgesetzt.

Ein aktuelles deutsch-tschechisches Problem ist die Modedroge Crystal. Auch ein Thema für Sie?

Rudner: Wir haben uns entschieden, dabei tatsächlich eine Rolle zu übernehmen, die normalerweise nicht unsere ist, nämlich durch Projekte zur Drogenprävention. Nach drei deutsch-tschechischen Fachdialogen und verschiedenen Arbeitstreffen bereiten wir gerade ein deutsch-tschechisches Projekt vor. Dabei soll die Frage erörtert werden, wie man gemeinsam Prävention im Grenzraum gestalten kann – und zwar nicht nur Drogenprävention. Crystal hat gezeigt, dass es dafür einen großen Bedarf gibt.

Wie soll das Projekt konkret ablaufen?

Rudner: Auf unsere Einladung hin werden etwa 40 deutsche und tschechische Teilnehmer von Suchtberatungsstellen oder aus der Jugendarbeit in den nächsten Tagen darüber beraten, wie sie besser zusammenarbeiten können. Dabei geht es auch um die Ausbildung von Leuten, die Prävention verankern sollen, zum Beispiel in Schulen, der Jugendarbeit oder Jugendherbergen. Daraus wird ein Förderantrag bei der EU resultieren. Wir wollen Mittel zur Verfügung stellen, damit jemand in Schulen gehen oder in der Jugendarbeit wirken kann, um dort Prävention vorzustellen. Wobei all unsere Projekte immer bilateral sind.

Stichwort bilateral: Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit dem Tandem-Büro in Pilsen?

Rudner: Wir haben ein gemeinsames Arbeitsprogramm, das der Deutsch-Tschechische Jugendrat jährlich beschließt. Das haben wir zusammen ausgearbeitet und daran halten wir uns gemeinsam. Dafür gibt es immer einen Kollegen auf der einen und der anderen Seite. Außer bei Sprachprojekten, dafür sitzt das Personal in Pilsen. Seit zwei Jahren verwaltet Tandem Pilsen erstmals ein kleines Förderprogramm nur für tschechische Antragsteller.

Das deutsche Koordinierungszentrum wird vom Bundesministerium für Familie und Jugend sowie von Bayern und Sachsen finanziert. Und das Zentrum in Pilsen erhält sein Geld vom tschechischen Ministerium für Schulwesen, Jugend und Sport. Wie stark nimmt die Politik damit Einfluss auf ihre Arbeit?

Rudner: Wir arbeiten sehr eng mit den Ministerien zusammen und stimmen uns ab. Ebenso sind wir mit Abgeordneten in den Parlamenten im Gespräch. Man informiert sich über unsere Arbeit und fragt nach Entwicklungen. Doch wir sind nicht am Gängelband der Politik. Was wir entwickeln, wird in der Regel positiv aufgenommen.

Ist es für Tandem Regensburg nicht trotzdem kompliziert, die Interessen von Bund und zwei Bundesländern unter einen Hut zu bringen?

Rudner: Dafür gibt es einen Lenkungsausschuss, wo man ausgehend von eigenen Interessen gemeinsame Schwerpunkte festlegt und über die Finanzierung berät. Dort bin ich als Gast beteiligt. Das ist in der Regel eine sehr harmonische Diskussion. Ich kann mich nicht erinnern, dass sich Bund und Länder dort mal nicht einig geworden wären.

Überall wird gespart – auch bei Ihnen?

Rudner: Unsere Mittel sind in den letzten Jahren gleich geblieben. Bei uns gab es keine Sparrunden. Und wir haben in dieser Hinsicht auch keine großen Befürchtungen. Die internationale Jugendarbeit wird bei uns sehr gut gefördert, auch wenn man natürlich über Sinn und Nutzen einzelner Programme diskutiert. Doch die Politik spart nicht auf Kosten junger Leute, die im deutsch-tschechischen Jugendaustausch aktiv sind.

Sie vergaben im Jahr 2014 Fördermittel in Höhe von 714.000 Euro. Damit kommen sie also zurecht?

Rudner: Ja. Es ist ja auch nicht so, dass der deutsch-tschechische Jugendaustausch explodiert.

Sie beobachten auch die Zusammenarbeit zwischen Partnergemeinden und -städten. Derzeit gibt es kaum 100 solcher Partnerschaften zwischen Bayern und Tschechien. Warum nicht mehr?

Rudner: Das ist keine konkrete Aufgabe von uns, sondern wir haben nur mal beobachtet, welche Partnerschaften aktiv sind und denen Angebote gemacht, sich an unseren Seminaren zu beteiligen. Solche Partnerschaften sind stark davon abhängig, wie sie in der Praxis gelebt werden. Und sie hängen sehr oft von konkreten Personen ab, die ein Gegenüber finden und diese Partnerschaft gemeinsam voranbringen und Begegnungen auf allen Ebenen initiieren. Wenn einer von beiden nicht mehr zur Stelle ist, aus welchem Grund auch immer, dann schläft das ein. Das gibt es sicher öfter, gerade in kleineren Gemeinden.

Sie bilden auch Erwachsene aus. Wen genau und in welcher Form?

Rudner: Wir haben Seminare zu einzelnen Themen für Lehrkräfte, Multiplikatoren in der Jugendarbeit, Ausbilder in der beruflichen Bildung. Dabei geht es um praktische Dinge wie Planung von Begegnungen, Förderanträge, Öffentlichkeitsarbeit oder Landeskunde.

Sie sind seit 2006 Leiter von Tandem in Regensburg. Gab es in diesen Jahren eine besonders schöne Begegnung oder einen Menschen, der Ihnen wichtig ist?

Rudner: Es gibt einen Menschen, den ich herausheben möchte, der schon bei der Gründung von Tandem dabei war und bis heute in verschiedenen Ämtern wirkt, nämlich Jindřich Fryč. Er war ein Wegbereiter und ist für die deutsch-tschechischen Beziehungen gerade im Bildungsbereich und bei Jugend und Schule eminent wichtig.