Im Rausch der Klänge

Auf der Bühne bringt Ventolin das Publikum zum Tanzen. Tagsüber lehrt er als David Doubek an der Karls-Universität
26. 7. 2016 - Text: Sabina PoláčekText: Sabina Poláček; Fotos: David Doubek/Ventolin
David Doubek lehrt tagsüber Kulturanthropologie an der Prager Karls-Universität. Abends auf der Bühne heißt er Ventolin. „Ich schwitze kalten Schweiß. Ich habe mein Totem verloren“, singt er ins Mikrofon – offenbar zusammenhanglose Sätze, die sich im Tschechischen immerhin reimen. „Potím se studeným potem. Ztratil jsem svůj totem.“ Dazu zucken seine Arme wie die eines Roboters. Er hüpft im Rhythmus seiner elektronischen Klänge, dreht eifrig an den Knöpfen und Reglern seiner analogen Synthesizer.
Mit Koteletten, goldenem Umhang und eckiger Retro-Brille, die er schon als Siebtklässler getragen hat, wirkt er in einem Musikvideo beinahe wie ein Schlagerstar. Das ist er jedoch nicht, und ein DJ erst recht nicht – darauf besteht der 44-Jährige. Er macht seiner Meinung nach Live-Musik. Denn er legt nicht einfach nur Techno-Platten auf, sondern greift musikalisch direkt ins Geschehen ein.
Nicht der perfekte Klang zieht Ventolin magisch an, sondern im Gegenteil das Rauschen, die unkontrollierte Resonanz, das Verzerrte. Deshalb sind für ihn die „primitiven“ Klänge alter, analoger Synthesizer unabdingbar. Beim Anblick dieser grauen Geräte – Akai MPC 1000 und 2000 – erinnern die Sequenzregler an die Zeiten des Computers Commodore. „Ich muss an den Geräten üben und sie gut in Schuss halten. Deshalb überprüfe ich regelmäßig alle Kabel und Teile“, sagt Ventolin, der sich auf jedes Konzert mental vorbereitet. „Ich konzentriere mich auf die Musik und den Augenblick.“
Wenn er in einem Club oder bei einem Festival auf der Bühne steht, vergisst er, dass er tagsüber als David Doubek Kulturanthropologie lehrt. „Meine Studenten besuchen hin und wieder meine Konzerte“, sagt er. Auch seine Kollegen seien nicht überrascht gewesen, als sie im vergangenen Jahr einen Dokumentarfilm über den exzentrischen Dozenten sahen. Gedreht hatte ihn Tomáš Frkal, Student der Prager Filmhochschule.
Wissenschaftlich befasste sich Doubek, der in Rakovník geboren und in Prag aufgewachsen ist, kürzlich mit sozialer Ausgrenzung. „Aber ich fühle mich nicht als Wissenschaftler“, erklärt er. „Und ich weiß, dass ich nichts weiß. Ich unterhalte mich einfach gerne mit den Studenten, und Ethnographie macht mir Spaß.“ Anfangs dachte er, dass er Beruf und Hobby trennen und seine Auftritte verheimlichen müsse. Heute weiß er, dass er seine Bühnenerfahrung für seine Vorlesungen gut nutzen kann, um die Aufmerksamkeit im Saal zu erhöhen.
Japan-Tournee geplant
Die Bühnenfigur Ventolin – benannt nach einem Asthmaspray – wurde zufällig geboren. Als die Mitglieder seiner Band „Undo“ im Jahr 2006 zu einem kleinen Musik- und Theaterfestival in Pardubice nicht erschienen, improvisierte er allein, um die Zuschauer nicht hängen zu lassen. Das kam gut an. 2007 wurde Ventolin zum Festival „Bohemian Like You“ in Prag eingeladen, weitere Events folgten.
Heute gehört er längst zur tschechischen und slowakischen elektronischen Musikszene. Nach mehreren Songs und dem erfolgreichen Album „Totem“ 2012 sowie Auftritten in Tschechien, der Slowakei, Polen und Holland, plant er für Mitte September eine Japan-Tournee. Auch in Deutschland würde er gern auftreten. „In jedem Fall wäre ich gerne beim Technofestival Nachtdigital dabei und bei der Fusion, Her Damit, Melt oder Sputnik Springbreak“, so der Universitätsdozent, der schon als Teenager Folk- und Bassgitarre sowie Schlagzeug und Akkordeon erlernte und später in der Postpunkband „Kazety“ spielte.
Derzeit arbeitet der Kulturanthropologe mit den Grafikdesignern „The Rodina“ in Amsterdam an einem neuen Album und Videoclip. „Mich inspiriert alles, was um mich herum geschieht und was sich nach vorne oder nach hinten bewegt. Mein neues Album befasst sich mit digitalem Voyeurismus, aber auch mit neuen, vergessenen oder verloren gegangenen Pfaden.“
Ventolin bezeichnet sich als Songwriter und möchte sich nicht auf eine Musikrichtung festlegen. „Ob Techno, House, 8bit, Acid oder Disco – da ist alles drin. Ich improvisiere viel, deshalb weiß ich nie, was dabei herauskommt. Ich mag es, wenn sich meine Musik in eine unerwartete Richtung entwickelt.“ Er tanzt gern und freut sich, wenn das Publikum mittanzt und sich die Atmosphäre langsam aufheizt. Doch in seinem tiefsten Inneren ist er zurückhaltend. „Ich bin auf keinen Fall extrovertiert“, meint Doubek im Dokumentarfilm. „Ich schweige gern.“
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?