Im Leinwandfieber

Im Leinwandfieber

Das Internationale Filmfestival in Karlsbad präsentiert mehr als 200 Beiträge aus aller Welt

29. 6. 2016 - Text: Milena FritzscheText: Milena Fritzsche; Foto: KVIFF und Sasha Kargaltsev/CC BY 2.0

Normalerweise sieht es in Karlsbad (Karlovy Vary) so aus: Ältere Kurgäste flanieren zwischen den Jugendstilfassaden, in den Händen eine Schnabeltasse aus Porzellan, aus der sie hin und wieder einen Schluck Wasser aus einer der Heilquellen nehmen. Einmal im Jahr wird das Straßenbild auf den Kopf gestellt und der westböhmische Kurort verwandelt sich in eine Hollywoodkulisse. Zum Internationalen Filmfestival liefen bereits Robert Redford, Susan Sarandon und Mel Gibson über den roten Teppich ins Hotel Thermal. Von Freitag, 1. Juli bis Samstag, 9. Juli werden wieder bekannte Schauspieler und Regisseure erwartet; mehr als 200 Filme flimmern über die Leinwände der Stadt.

Eröffnet wird der 51. Jahrgang des Festivals mit einer Welt­premiere: Der Film „Anthropoid“ erzählt die wahre Geschichte des Attentats der zwei Fallschirmspringer Jan Kubiš und Jozef Gabčík auf Reinhard Heydrich. Der britische Regisseur Sean Ellis verfilmte die unter dem Decknamen „Operation Anthro­poid“ 1942 geplante Aktion mit dem irischen Schauspieler Cilian Murphy und dem Briten Jamie Dornan in den Hauptrollen. Die Pragerin Anna Geislerová ist als Partnerin von Gabčík zu sehen.

Für seinen künstlerischen Beitrag zum Film wird in diesem Jahr der US-amerikanische Schauspieler Willem Dafoe geehrt. Dem 68-Jährigen zu Ehren wird Abel Ferraras „Pasolini“ gezeigt (2. Juli, 10.30 Uhr), in dem Dafoe den italienischen Regisseur Pier Paolo Pasolini spielt. Außerdem ist „Die letzte Versuchung Christi“ zu sehen (3. Juli, 11 Uhr). Die Verfilmung von Martin Scorsese basiert auf dem gleichnamigen Roman des griechischen Schriftstellers Nikos Kazantzakis. Wie das Buch stieß auch der Film auf heftige Kritik. Jesus – verkörpert von Dafoe – wird als ein mit seinem Schicksal Hadernder dargestellt, der an seinem Glauben zweifelt.

Der Preis des Festivalpräsidenten geht an den amerikanischen Drehbuchautoren, Regisseur und Produzenten Charlie Kaufman. Im Jahr 2005 gewann Kaufman mit seinen zwei Co-Autoren für den Film „Vergiss mein nicht!“ den Oscar in der Kategorie „Bestes Originaldrehbuch“.

Willem Dafoe spielte in mehr als 100 Filmen mit und war zweimal für den Oscar nominiert. In Karlsbad wird er mit dem Kristallglobus geehrt.

Traumata und Fußballträume
Vom im März verstorbenen tschechischen Filmemacher Jan Němec ist neben elf weiteren Beiträgen im Hauptwettbewerb „Der Wolf aus der königlichen Weinberg-Straße“ (2. Juli, 17 Uhr) zu sehen. Die Handlung trägt autobiographische Züge: Der Regisseur John Jan kommt von den Filmfestspielen in Cannes 1968 nach Prag, geht nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen jedoch ins Exil und kehrt erst nach dem Fall des kommunistischen Regimes zurück. Němec selbst sagte darüber: „Der Film trägt den Wolf im Titel, eine wilde und gerissene Kreatur. Ein Wolf im Schafspelz und umgekehrt. Sie werden erfahren, wo sich alles abspielte, authentische Dialoge hören, originale Kommentare, echte Archivmaterialien und erfundene Dinge. Alles im Film ist wirklich passiert und John Jan hat es erlebt. Allerdings bläst er hin und wieder die Dinge ein bisschen auf.“

Fans des deutschsprachigen Films können sich auf den Schauspieler Ulrich Tukur freuen, der seinen neuen Streifen präsentiert: Das Liebesdrama „Gleißendes Glück“ (2. Juli, 20 Uhr) läuft ebenfalls im Hauptwettbewerb. Der Film erzählt die Geschichte der unglücklichen Helene Brindel (Martina Gedeck), deren Ehe gescheitert ist und die sich dennoch nicht von ihrem Mann trennen kann. Trost findet sie beim angesehenen Psychologen Eduard E. Gluck (Ulrich Tukur), in dem sie den Schlüssel zu ihrer Selbstbefreiung sieht.

Neugierig darf man auf die Filme der Reihe „East of the West“ sein. Dieser Teil des Programms ist das Aushängeschild des Festivals und wird mit „Kills on Wheels“ des ungarischen Regisseurs Attila Till eröffnet (2. Juli, 18.30 Uhr). Darin schließen sich drei Rollstuhlfahrer zusammen, um sich in den Dienst der Mafia zu stellen. Die Komödie hat einen ernsten Hintergrund und setzt sich mit der Situation von Menschen mit Behinderung auseinander. Außerdem sind in der Reihe zehn Debüts zu sehen. Etwa ein Film der estnischen Regisseurin Triin Ruumet, die bereits beim Kurzfilmfestival in Prag auf sich aufmerksam machte und nun mit „The Days that Confused“ ihren ersten Spielfilm präsentiert (4. Juli, 18.30 Uhr). Auch Rusudan Glurjidze aus Georgien feiert ihr Debüt. „House of Others“ (5. Juli, 18.30 Uhr) dreht sich um zwei Familien, die den georgischen Bürgerkrieg um die Region Abchasien überlebt haben und nun in die leeren Häuser vertriebener Menschen einziehen. Dort werden sie aber bald von der Vergangenheit und den Traumata des Krieges eingeholt.

In der Dokumentarfilmreihe sind unter anderem zwei Filme tschechischer Regisseure zu sehen. Bei „FC Roma“ (5. Juli, 15.30 Uhr), gedreht von Tomáš Bojar und Rozálie Kohoutová, wurde ein Fußballklub in der untersten tschechischen Fußballliga begleitet, dessen Spieler fast ausschließlich Roma sind und die deshalb von den meisten gegnerischen Mannschaften boykottiert werden. Trotz aller Widerstände bleiben die Spieler bei ihrer Leidenschaft und schaffen den Aufstieg in die höhere Liga. Der „Normal Autistic Film“ (2. und 3. Juli, 18.30 Uhr und 17 Uhr)begleitet fünf autistische Kinder.

Das Festival lockt außerdem mit einem umfangreichen Begleitprogramm. Zur Erholung zwischen den Filmen oder zum abendlichen Ausklang laden Ausstellungen, Konzerte, Open-Air-Theater und Klubnächte ein.

Mezinárodní filmový festival Karlovy Vary. 1. bis 9. Juli, Filmticket: 80 CZK (ermäßigt 60 CZK), Tageskarte: 250 CZK, Festivalticket 1.200 Kronen, www.kviff.com