„Hitler verkauft sich besser als Coca-Cola“

„Hitler verkauft sich besser als Coca-Cola“

Ein Buch mit Aussprüchen des deutschen Diktators beschäftigt die tschechische Justiz. Das zuständige Gericht sieht in der unkommentierten und kommerziell erfolgreichen Ausgabe keine Propaganda-Schrift

17. 9. 2014 - Text: Marcus HundtText: Marcus Hundt; Foto: Guidemedia

Der tschechische Buchverlag Guidemedia hatte die entscheidende Gerichtsverhandlung auf seiner Homepage als „Justizkomödie“ angekündigt. Auf einem Bild, das an ein Filmplakat erinnert, standen die Namen der Protagonisten, in der Mitte der alles überstrahlende „Führer“ des Dritten Reiches und darunter der Titel „Tag der Abrechnung: Hitlers Äußerungen“.

Die wenig filmreife Verhandlung endete am Mittwoch vergangener Woche mit einem Freispruch. Der Verlag hat den Streit vor dem Stadtgericht in Brünn gewonnen. Doch worum genau ging es eigentlich? Im Mittelpunkt stand das knapp 700 Seite starke Buch „Adolf Hitler: Projevy“, das Guidemedia bereits im Jahr 2012 herausgebracht hatte. Die Staatsanwaltschaft erkannte darin eine „Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts“. Das Buch würde den deutschen Diktator verherrlichen und den Genozid an den Juden gutheißen, hieß es in der Anklageschrift. Erklärungen zu den einzelnen Zitaten fielen entweder zu unkritisch aus oder würden gänzlich fehlen, bemängelte Staatsanwalt Jan Petrásek. „An einigen Stellen beschleicht einen das Gefühl, dass der Autor den Äußerungen Hitlers zustimmt oder zumindest versucht, diese zu rechtfertigen“, lautete einer der Vorwürfe.

Auf der Anklagebank nahmen deshalb nicht nur die Verleger Pavel Kamas und Lukáš Novák Platz, sondern auch der Publizist Stanislav Beer, der Hitlers Aussagen kommentiert hatte. Bei einer Verurteilung hätten den Angeklagten bis zu zehn Jahren Gefängnis gedroht. Dass sie nicht hinter Gittern landen würden, sei ihnen von Anfang an klar gewesen. „Mit dem Freispruch habe ich fest gerechnet. Selbst ein durchschnittlich gebildeter Orang-Utan wäre dahinter gestiegen, dass man mit so etwas nicht durchkommen kann“, sagte Kamas nach der Urteilsverkündung.

Hitler als netter Onkel
Tatsächlich jedoch hatte die Staatsanwaltschaft einige Unterstützer. Rechtsexperten und Historiker erachten das Buch, und nicht nur dieses, durchaus als problematisch. „Den unkritischen Zugang zur Thematik des Zweiten Weltkrieges und zum Nazismus kann man auch bei anderen Verlagen sehen. Es ist traurig, dass der tschechische Leser auch noch im 21. Jahrhundert mit einer solchen NS-Propaganda konfrontiert wird“, erklärt der Geschichtswissenschaftler Jan Uhlíř, dessen Meinung auch im Gerichtssaal gefragt war. Als Experte geladen, sagte er dort, „ein Kind, das dieses Buch in die Hände bekommt, gewinnt den Eindruck, dass Hitler ein netter Onkel war“. Solche Publikationen würden einzig und allein den ultrarechten Gruppen im Land in die Karten spielen, empörte sich Uhlíř.

Doch weder die Kritik der Experten noch die Indizien des Staatsanwalts konnten das Gericht überzeugen. „Die Behauptung, der Autor stimme mit den Äußerungen Hitlers überein, lässt sich nur schwer untermauern“, urteilte der Richter. Vielmehr stellte er sich auf die Seite der Angeklagten und wies darauf hin, dass sie im Vorwort äußerten, „Hitlers Gedanken wollen wir in keinster Weise bewerten, sie sollen dem Leser unverfälscht präsentiert werden“. Das Dubiose an dieser richterlichen Aussage ist, dass sich auch die Anklage und die Verteidigung darauf stützen.

„Der Leser wurde darauf aufmerksam gemacht, dass es sich nicht um eine Huldigung Adolf Hitlers handelt, sondern ausschließlich darum, historische Quellen zugänglich zu machen“, sagte Strafverteidiger Robert Cholenský. Den Vorwurf, der Verlag wolle aus der Faszination der Tschechen für Reich und „Führer“ vor allem Profit schlagen, lässt sich Miteigentümer Kamas gefallen. „Hitler ist eine bessere Marke als Coca-Cola und hat eine enorme suggestive Wirkung. Hitler verkauft sich eben“, sagte Kamas im Gerichtssaal. Er weiß anscheinend, wovon er spricht: Neben seiner Verlegertätigkeit betreibt er eine Werbeagentur in Prag.

Stapelweise Literatur
Wirft man einen Blick in die tschechischen Buchläden, fällt einem die Fülle an Literatur zum Dritten Reich und zum Zweiten Weltkrieg sofort auf. Meist werden die Bücher stapelweise am Eingangsbereich, sozusagen an vorderster Front, angepriesen. Das Faible der Tschechen für die Zeit des Nationalsozialismus bestätigt Literaturkritiker Ondřej Kavalír. „Insbesondere geschichtliche Darstellungen, die an der Grenze zwischen Sachbuch und Fachliteratur liegen, sind sehr beliebt. „Viel gelesen wird Literatur über den Zweiten Weltkrieg, über die Besatzungszeit, über den Widerstand“, sagt Kavalír. Kein Wunder also, dass solche Bücher regelmäßig in den Bestsellerlisten zu finden sind.

Die wohl bekannteste Schrift des deutschen Diktators Adolf Hitler „Mein Kampf“ gehört in Tschechien nicht zu den Verkaufsschlagern, gleichwohl man sie hierzulande – im Gegensatz zu Russland, Schweden oder Polen – legal erwerben kann. Vor zehn Jahren erregte die tschechische Übersetzung, von der an die 100.000 Exemplare verkauft wurden, ähnliches Aufsehen wie der aktuelle Streit um die Zitatsammlung. Der Verleger wurde damals vom Prager Stadtgericht zu einer Bewährungsstrafe von drei Jahren verurteilt, da er das Buch ohne wissenschaftliche Begleitung herausgegeben und sich „verfassungsfeindlicher Propaganda“ schuldig gemacht hatte. Auch der Beschuldigte von damals argumentierte damit, er habe doch „nur ein historisches Dokument veröffentlicht“. Schließlich teilte auch das Oberste Gericht in Brünn diese Ansicht und sprach den Angeklagten im März 2005 von den Vorwürfen frei.

Ob dem Verlag Guidemedia ein weiterer Prozess droht und die „Justizkomödie“ damit ihre Fortsetzung findet, hängt nun von der Staatsanwaltschaft ab. Diese wollte sich bisher nicht festlegen, ob sie Widerspruch gegen das jüngste Urteil einlegen und vor die nächste Instanz, das Kreisgericht in Brünn, ziehen wird. Wie auch immer es weitergeht, dem Verlag brachte der Rechtsstreit bislang nur Positives ein. Die öffentlichkeitswirksame Werbung für „Hitlers Äußerungen“ bescherte ihm eine Vielzahl von Neubestellungen. Die Erstauf­lage von 10.000 Exemplaren ist vergriffen, vor kurzem wurden Tausende Bücher nachgedruckt. Und auch der neueste Titel des Verlages verkauft sich überraschend gut. „Das Programm der NSDAP“ folgt dem gleichen Muster wie dem seines Vorgängers – ohne Kommentar.