Himmel, Hölle und das Paradies
„Das verlorene Gässchen“ von Bohumil Hrabal erscheint in zweisprachiger Ausgabe
31. 8. 2016 - Text: Volker Strebel, Titelbild: Felix Mittermeier, CC0
Der vorliegende Band ist eine Überraschung. Erstmals erscheinen die frühen Gedichte Bohumil Hrabals (1914–1997) in deutscher Übersetzung. Der Autor selbst hatte sie einst zusammengestellt; 1948 sollten sie in der Druckerei Hrádek im mittelböhmischen Nymburk veröffentlicht werden. Der kommunistische Machtumsturz im Februar 1948 verhinderte jedoch das Zustandekommen dieser Ausgabe im Selbstverlag. Obwohl sich Hrabal im Laufe der folgenden Jahrzehnte zu den bedeutendsten tschechischen Schriftstellern entwickelte, konnte „Ztracená ulička“ („Das verlorene Gässchen“) in seiner Heimat erst 1991, mit mehr als 40 Jahren Verspätung, veröffentlicht werden.
Umso mehr erstaunt die existenzielle Dichte dieser Verse, die nichts von ihrer Kraft eingebüßt haben. Sie künden von einer spürbaren Lebensfreude; die Sinnlichkeit der Wahrnehmungen mutet zuweilen exotisch an. In „Abend“ erzählt Hrabal von einem Nachtschmetterling, „mit dem Monokel, grün und blau, auf seinen Flügeln“. Die aufmerksame Beobachtungsgabe des Autors sorgt für ungewöhnliche Blickwinkel auf die Wirklichkeit, die zuweilen auch in surrealistische Momente umkippen.
Immer wieder finden sich in Hrabals Versen die Motive Liebe, Rose, Sterne und Nacht, die das lyrische Ich in Form von Dialogen verhandelt. Im Gedicht „Die Leserin“ kommt der Beobachter zu dem Schluss, „dass es müßig ist zu fragen, warum der Vogel beim Singen die Augen verengt“. Und ebenso vergeblich bleibt das Nachsinnen darüber, „warum Du, wenn Du Dich ins Buch versenkst,/den Kopf zur Seite wendest,/als tanztest Du mit dem Gedanken Walzer“.
Mitunter spiegelt sich in den Versen auch die Frage nach dem Sinn des Lebens wider und die Suche nach dem Geheimnis des eigenen Seins. In „Falle mit Ausblick auf das Meer“ bewegt sich das lyrische Ich zwischen Meer und Hochgebirge, zwischen Morgen und Abend sowie zwischen Taufschein und Totenschein. Ganz nüchtern führt es die konkrete Nummer seines Arbeitsbuches als Nachweis seiner Existenz an. Die Gewissheit, dass auch Hoffnung, Liebe und Sehnsucht vergänglich sind, wird ohne jede Verzweiflung evoziert: „Möge Ziffer um Ziffer verbleichen,/wie das Spiel Himmel – Hölle – Paradies/bei einem Wolkenbruch im Sommer“.
Unwillkürlich drängt sich in solchen Passagen eine Selbsteinschätzung Hrabals auf, die die Schriftstellerin und Übersetzerin Monika Zgustová in ihrer Hrabal-Biographie wiedergab: „Im Grunde bin ich ein optimistischer Pessimist und ein pessimistischer Optimist. Ich bin amphibisch, doppelgehäusig. Das Lachen von Rabelais, das Weinen von Heraklit. Das große JA und das große NEIN gehören nämlich zusammen.“
Eine Vorrede von Hrabal sowie ein ausführliches Nachwort des Kunsthistorikers Josef Kroutvor unterstreichen die sorgfältige Aufbereitung dieser von Maria Hammerich-Maier vorzüglich ins Deutsche übertragenen Sammlung, die auch die tschechischen Originale enthält.
Bohumil Hrabal: Ztracená ulička/Das verlorene Gässchen. Aus dem Tschechischen von Maria Hammerich-Maier, Verlag Kaplanka, Nymburk 2016, 125 Seiten, 10 Euro, ISBN: 978-80-87523-12-1
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?